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“Krieg macht krank” – Das Anti-Kriegs-Museum

21. Mai 2019
Fassade eines Museums
Anti-Kriegs-Muse­um Fas­sa­de / Foto: Aria­ne Hussy

Im wich­tigs­ten Aus­stel­lungs­stück des Anti-Kriegs-Muse­ums kann man ste­hen. Ein Glo­cken­spiel läu­tet, wenn man es betritt. Vitri­nen rei­hen sich an den Wän­den, gro­ße Augen schau­en von Fotos, Wiki­pe­dia-Aus­dru­cke und Kar­ten rascheln beim Rein­kom­men. Das wich­tigs­te Aus­stel­lungs­stück hat eine lan­ge Wan­de­rung hin­ter sich, es ist oft umge­zo­gen, wur­de ver­trie­ben und nicht gewollt und fand sich schließ­lich in der Brüs­se­ler Stra­ße 21 wie­der. Das wich­tigs­te Aus­ste­lungs­stück ist (da kann man kei­ne galan­te­re Poin­te zie­hen als die Wahr­heit) das Anti-Kriegs-Muse­um selbst. Ein Muse­um für den Frie­den, das dafür aber den Krieg zeigt.

Die Geschichte des Anti-Kriegs-Museums

Exponate
Luft­schutz Apo­the­ke im Anti-Kriegs-Museum

Die Geschich­te des Anti-Kriegs-Muse­um ist ver­wo­ben mit der Geschich­te des Krie­ges. Ein kur­zer Film erzählt sie, zehn Minu­ten schnell zusam­men­ge­schnit­te­nes Mate­ri­al. Im Mit­tel­punkt: Der Anti­mi­li­ta­rist Ernst Fried­rich. Im Jahr 1923 grün­det er das Anti-Kriegs-Muse­um – es soll anhand von Fotos und Aus­stel­lung­s­tü­cken scho­nungs­los die Wirk­lich­keit des ers­ten Welt­krie­ges zei­gen. Nur zehn Jah­re spä­ter wird es von den Nazis geschlos­sen, die Samm­lung zer­stört und das Gebäu­de von der SA genutzt.  1936 eröff­net er ein neu­es Anti-Kriegs-Muse­um in Brüs­sel. 1940 wird es von deut­schen Trup­pen in Bel­gi­en erneut zer­stört. Lan­ge Zeit fand es kei­ne neue Heimat. 

Zwei Hände, die ein Gewehr zerbrechen

Bild
Frie­dens­sym­bol im Anti-Kriegs-Museum

Im Jahr 2019 steht Tom­my Spree, ein Enkel von Ernst Fried­rich, im Muse­um in der Brüss­ler Stra­ße 21. An sei­nem Jackett trägt er eine Bro­sche. Sie zeigt zwei Hän­de, die ein Gewehr zer­bre­chen. Das Fri­en­de­ssym­bol zier­te bereits die Ein­gangs­tür des ers­ten Anti-Kriegs-Muse­ums und fin­det sich auch heu­te in der Aus­stel­lung wie­der. 1982 eröff­net Tom­my Spree mit Kol­le­gen das Anti-Kriegs-Muse­um erneut in Ber­lin. Nach mehr­fa­chen Stand­ort­wech­sel kommt es 1998 in den Wed­ding. Im Kel­ler befin­det sich ein ehe­ma­li­ger Luft­schutz­kel­ler, ori­gi­nal ein­ge­rich­tet. „Neu­lich sag­te ein Besu­cher: Da gehe ich nicht run­ter. Ich bin als Kind zwei­mal ver­schüt­tet wor­den. Wenn ich nur dar­an den­ke, fan­ge ich an zu zit­tern“, erzählt Tom­my Spree und sagt den Satz, den er noch mehr­mals wie­der­ho­len wird: „Denn Krieg macht krank.“ Er erin­nert uns noch dar­an, beim Run­ter­stei­gen nicht den Kopf zu sto­ßen. Und so stei­gen wir mit gesenk­tem Kopf die knar­zen­den Trep­pen­stu­fen herunter.

Bombennacht in Berlin

Im Kel­ler sit­zen wir auf Holz­stüh­len. Schumm­ri­ges Licht, Kel­ler­ge­fühl, Kel­ler­ge­ruch. Die Wän­de wir­ken ver­rußt. Eine alte Holz­tür lehnt an der Wand. Auf sie hat eine Ber­li­ne­rin die ein­zel­nen Luft­an­grif­fe notiert, lau­ter mit klei­nen Daten ver­se­he­ne Stri­che zie­hen sich über das alte Holz. Das Radio rauscht eine Ori­gi­nal­auf­nah­me in den Raum: „ Ach­tung Ach­tung! Die gemel­de­ten Bom­ber­ver­bän­de fin­den sich im Raum Hannover/Braunschweig!“ Sire­nen­ge­heul erklingt. Tom­my Spree kom­men­tiert und erzählt, für einen kur­zen Moment hängt der Luft­schutz­kel­ler im zwei­ten Welt­krieg fest. „Was da so pfeift: das waren die bri­ti­schen Brand­bom­ben, die bom­bar­dier­ten Ber­lin in der Nacht.“ Die Stri­che bede­cken fast die gesam­te Holztür.„Jetzt sit­zen wir hier ganz gemüt­lich und ich gebe ihnen das Ver­spre­chen: In den nächs­ten zehn Minu­ten wer­den Sie hier lebend raus­kom­men.” Die Wirk­lich­keit sah anders aus. Der letz­te Strich an der Tür wur­de am 20.04.1945 gemacht.

Über Frieden reden

Tom­my Spree ist ehe­ma­li­ger Geschichts­leh­rer. Zu allen Gegen­stän­den im Muse­um kann er etwas erzäh­len, Fak­ten ein­ge­bet­tet in Epi­so­den und unter­bro­chen von kur­zen Fra­gen an die Zuhö­ren­den. Was war Tol­stois Haupt­werk? Was ist auf die­sem Bild zu sehen? Tom­my Spree ist also eigent­lich immer noch Geschichts­leh­rer. Sei­ne Schü­le­rin­nen und Schü­ler trifft er jedoch nicht mehr im Klas­sen­zim­mer, son­dern im Muse­um. Er zeigt ihnen, wie sich die Leu­te ver­such­ten, den Luft­schutz­kel­ler gemüt­lich zu machen, mit Tep­pi­chen und allem was sie fin­den konn­ten. Er demons­triert ihnen eine Gas­mas­ke für Babys. Zeigt Bil­der und erzählt ihnen wie das war, im Krieg. Und wie es heu­te wäre. Eine gro­ße heu­ti­ge Bedro­hung lässt sich nicht sym­bo­lisch von zwei Hän­den zer­bre­chen. Vor dem Luft­schutz­kel­ler hängt eine Kar­te, die zeigt, was mit Ber­lin pas­sie­ren wür­de, wenn in sei­nem Zen­trum eine Atom­bom­be explo­die­ren wür­de. Sofort suchen die Augen die eige­ne Woh­nung auf der Kar­te. Oder was davon übrig blie­be.
Die Besu­che­rin­nen und Besu­cher sol­len nach­den­ken. Ins Gespräch kom­men. Auch über den Frie­den. „Wir wol­len nicht nur Schreck­li­ches zei­gen. Wir haben einen Raum mit Men­schen, die Visio­nen für den Frie­den haben.“  In der Peace Gal­lery fin­det man in der Aus­stel­lung Von Lao­tse bis Wil­ly Brandt ein Gegen­stück zu den Schre­cken des Krie­ges. Seit an Seit hän­gen die Friedensdenker*innen an den Wän­den. So man­che Bio­gra­fie und Gedan­ken erschei­nen hier im neu­en Licht. “Man lernt tol­le Men­schen durch die Arbeit mit Frie­den ken­nen”, sagt Tom­my Spree beim Abschrei­ten der Galerie.

Persönliche Geschichten vor Glasvitrinen

Das Anti-Kriegs-Muse­um ist ein ehren­amt­li­ches Pro­jekt. Man sieht der Aus­stel­lung an, dass sie über die Jah­re gewach­sen ist, dass sich man­che Beschrei­bungs­tex­te ver­gilbt wel­len und die Vitri­nen unter der Last der Aus­stel­lungs­stü­cke und der Schwe­re des Gezeig­ten äch­zen. Man­che dicht beschrie­be­nen Tex­te wur­den zusam­men­ge­bas­telt und auf­ge­klebt. Man­che Aus­stel­lungs­stü­cke blei­ben namen­los. Und man­ches ergibt erst nach der Füh­rung Sinn. Es wirkt zusam­men­ge­wür­felt, die Gegen­stän­de, die Krie­ge, das Leid, die Geschich­ten. Aber viel­leicht ist das auch in Ord­nung. Viel­leicht geht es genau dar­um, dass das Leid und die Geschich­ten des Krie­ges sich ähneln, sich wie­der­ho­len. Dass die­ses his­to­ri­sche Pot­pour­ri einen Grund­klang erzeugt, der spä­ter in den Gedan­ken rauscht. Vie­le Men­schen begin­nen zu erzäh­len, wenn sie die Aus­stel­lung sehen. Sie tei­len ihre Erfah­run­gen aus ihrer Kind­heit und mit dem Krieg. Die Ehren­amt­li­chen sind immer für ein Gespräch bereit.

Auch Prak­ti­ka sind beim Anti-Kriegs-Muse­um mög­lich. Sophie Poh­le stu­diert Geschich­te, unter­stützt die Aus­stel­lung und digi­ta­li­siert Feld­post. Da ste­hen sie neben­ein­an­der, Tom­my Spree, pen­sio­nier­ter Leh­rer und Sophie Poh­le, eine neun­zehn­jäh­ri­ge Stu­den­tin. Zwei Gene­ra­tio­nen in einem Muse­um, des­sen Idee sich seit bald hun­dert Jah­ren hält, das einen Welt­krieg und den Kal­ten Krieg über­lebt hat. Das immer wie­der sei­ne Geschich­te erzählt, um die Fort­set­zung zu verhindern.

Skulptur aus Metall
Skulp­tur “Bro­ken Rif­le” gegen­über des Museums

„Bro­ken Rif­le“ heißt das Kunst­werk von Ange­lo Moni­til­lo, ein robo­ter­ähn­li­ches Wesen, das über sei­nem Kopf ein Gewehr zer­bricht. Geschaf­fen hat es der ita­lie­ni­sche Bild­hau­er Ange­lo
Moni­til­lo. „Als im Jahr 2000 die Pro­me­na­de nach mei­nem Groß­va­ter, dem Muse­ums­grün­der Ernst Fried­rich, benannt wor­den ist, kam ich auf die Idee, eine Skulp­tur vor unser Muse­um zu stel­len, die den Anti­kriegs­ge­dan­ken auf­nimmt“, erklärt Tom­my Spree.

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