Im wichtigsten Ausstellungsstück des Anti-Kriegs-Museums kann man stehen. Ein Glockenspiel läutet, wenn man es betritt. Vitrinen reihen sich an den Wänden, große Augen schauen von Fotos, Wikipedia-Ausdrucke und Karten rascheln beim Reinkommen. Das wichtigste Ausstellungsstück hat eine lange Wanderung hinter sich, es ist oft umgezogen, wurde vertrieben und nicht gewollt und fand sich schließlich in der Brüsseler Straße 21 wieder. Das wichtigste Ausstelungsstück ist (da kann man keine galantere Pointe ziehen als die Wahrheit) das Anti-Kriegs-Museum selbst. Ein Museum für den Frieden, das dafür aber den Krieg zeigt.
Die Geschichte des Anti-Kriegs-Museums
Die Geschichte des Anti-Kriegs-Museum ist verwoben mit der Geschichte des Krieges. Ein kurzer Film erzählt sie, zehn Minuten schnell zusammengeschnittenes Material. Im Mittelpunkt: Der Antimilitarist Ernst Friedrich. Im Jahr 1923 gründet er das Anti-Kriegs-Museum – es soll anhand von Fotos und Ausstellungstücken schonungslos die Wirklichkeit des ersten Weltkrieges zeigen. Nur zehn Jahre später wird es von den Nazis geschlossen, die Sammlung zerstört und das Gebäude von der SA genutzt. 1936 eröffnet er ein neues Anti-Kriegs-Museum in Brüssel. 1940 wird es von deutschen Truppen in Belgien erneut zerstört. Lange Zeit fand es keine neue Heimat.
Zwei Hände, die ein Gewehr zerbrechen
Im Jahr 2019 steht Tommy Spree, ein Enkel von Ernst Friedrich, im Museum in der Brüssler Straße 21. An seinem Jackett trägt er eine Brosche. Sie zeigt zwei Hände, die ein Gewehr zerbrechen. Das Friendessymbol zierte bereits die Eingangstür des ersten Anti-Kriegs-Museums und findet sich auch heute in der Ausstellung wieder. 1982 eröffnet Tommy Spree mit Kollegen das Anti-Kriegs-Museum erneut in Berlin. Nach mehrfachen Standortwechsel kommt es 1998 in den Wedding. Im Keller befindet sich ein ehemaliger Luftschutzkeller, original eingerichtet. „Neulich sagte ein Besucher: Da gehe ich nicht runter. Ich bin als Kind zweimal verschüttet worden. Wenn ich nur daran denke, fange ich an zu zittern“, erzählt Tommy Spree und sagt den Satz, den er noch mehrmals wiederholen wird: „Denn Krieg macht krank.“ Er erinnert uns noch daran, beim Runtersteigen nicht den Kopf zu stoßen. Und so steigen wir mit gesenktem Kopf die knarzenden Treppenstufen herunter.
Bombennacht in Berlin
Im Keller sitzen wir auf Holzstühlen. Schummriges Licht, Kellergefühl, Kellergeruch. Die Wände wirken verrußt. Eine alte Holztür lehnt an der Wand. Auf sie hat eine Berlinerin die einzelnen Luftangriffe notiert, lauter mit kleinen Daten versehene Striche ziehen sich über das alte Holz. Das Radio rauscht eine Originalaufnahme in den Raum: „ Achtung Achtung! Die gemeldeten Bomberverbände finden sich im Raum Hannover/Braunschweig!“ Sirenengeheul erklingt. Tommy Spree kommentiert und erzählt, für einen kurzen Moment hängt der Luftschutzkeller im zweiten Weltkrieg fest. „Was da so pfeift: das waren die britischen Brandbomben, die bombardierten Berlin in der Nacht.“ Die Striche bedecken fast die gesamte Holztür.„Jetzt sitzen wir hier ganz gemütlich und ich gebe ihnen das Versprechen: In den nächsten zehn Minuten werden Sie hier lebend rauskommen.” Die Wirklichkeit sah anders aus. Der letzte Strich an der Tür wurde am 20.04.1945 gemacht.
Über Frieden reden
Tommy Spree ist ehemaliger Geschichtslehrer. Zu allen Gegenständen im Museum kann er etwas erzählen, Fakten eingebettet in Episoden und unterbrochen von kurzen Fragen an die Zuhörenden. Was war Tolstois Hauptwerk? Was ist auf diesem Bild zu sehen? Tommy Spree ist also eigentlich immer noch Geschichtslehrer. Seine Schülerinnen und Schüler trifft er jedoch nicht mehr im Klassenzimmer, sondern im Museum. Er zeigt ihnen, wie sich die Leute versuchten, den Luftschutzkeller gemütlich zu machen, mit Teppichen und allem was sie finden konnten. Er demonstriert ihnen eine Gasmaske für Babys. Zeigt Bilder und erzählt ihnen wie das war, im Krieg. Und wie es heute wäre. Eine große heutige Bedrohung lässt sich nicht symbolisch von zwei Händen zerbrechen. Vor dem Luftschutzkeller hängt eine Karte, die zeigt, was mit Berlin passieren würde, wenn in seinem Zentrum eine Atombombe explodieren würde. Sofort suchen die Augen die eigene Wohnung auf der Karte. Oder was davon übrig bliebe. Die Besucherinnen und Besucher sollen nachdenken. Ins Gespräch kommen. Auch über den Frieden. „Wir wollen nicht nur Schreckliches zeigen. Wir haben einen Raum mit Menschen, die Visionen für den Frieden haben.“ In der Peace Gallery findet man in der Ausstellung Von Laotse bis Willy Brandt ein Gegenstück zu den Schrecken des Krieges. Seit an Seit hängen die Friedensdenker*innen an den Wänden. So manche Biografie und Gedanken erscheinen hier im neuen Licht. “Man lernt tolle Menschen durch die Arbeit mit Frieden kennen”, sagt Tommy Spree beim Abschreiten der Galerie.
Persönliche Geschichten vor Glasvitrinen
Das Anti-Kriegs-Museum ist ein ehrenamtliches Projekt. Man sieht der Ausstellung an, dass sie über die Jahre gewachsen ist, dass sich manche Beschreibungstexte vergilbt wellen und die Vitrinen unter der Last der Ausstellungsstücke und der Schwere des Gezeigten ächzen. Manche dicht beschriebenen Texte wurden zusammengebastelt und aufgeklebt. Manche Ausstellungsstücke bleiben namenlos. Und manches ergibt erst nach der Führung Sinn. Es wirkt zusammengewürfelt, die Gegenstände, die Kriege, das Leid, die Geschichten. Aber vielleicht ist das auch in Ordnung. Vielleicht geht es genau darum, dass das Leid und die Geschichten des Krieges sich ähneln, sich wiederholen. Dass dieses historische Potpourri einen Grundklang erzeugt, der später in den Gedanken rauscht. Viele Menschen beginnen zu erzählen, wenn sie die Ausstellung sehen. Sie teilen ihre Erfahrungen aus ihrer Kindheit und mit dem Krieg. Die Ehrenamtlichen sind immer für ein Gespräch bereit.
Auch Praktika sind beim Anti-Kriegs-Museum möglich. Sophie Pohle studiert Geschichte, unterstützt die Ausstellung und digitalisiert Feldpost. Da stehen sie nebeneinander, Tommy Spree, pensionierter Lehrer und Sophie Pohle, eine neunzehnjährige Studentin. Zwei Generationen in einem Museum, dessen Idee sich seit bald hundert Jahren hält, das einen Weltkrieg und den Kalten Krieg überlebt hat. Das immer wieder seine Geschichte erzählt, um die Fortsetzung zu verhindern.
„Broken Rifle“ heißt das Kunstwerk von Angelo Monitillo, ein roboterähnliches Wesen, das über seinem Kopf ein Gewehr zerbricht. Geschaffen hat es der italienische Bildhauer Angelo Monitillo. „Als im Jahr 2000 die Promenade nach meinem Großvater, dem Museumsgründer Ernst Friedrich, benannt worden ist, kam ich auf die Idee, eine Skulptur vor unser Museum zu stellen, die den Antikriegsgedanken aufnimmt“, erklärt Tommy Spree.