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Flüchtlingskind Lana wohnt jetzt im Wedding

9. Dezember 2017
Lana aus Syrien (rechts) mit Svenja und ihrem Bruder Layth. Foto: Oertel
Lana aus Syri­en (rechts) mit Sven­ja und ihrem Bru­der Lay­th. Foto: Oertel

Wo sind eigent­lich die vie­len Flücht­lin­ge, die in den ver­gan­ge­nen zwei Jah­ren zu uns gekom­men sind? Laut Sta­tis­tik kamen in den Jah­ren 2015 und 2016 ins­ge­samt 1,2 Mil­lio­nen Asyl­su­chen­de nach Deutsch­land, doch wenn ich durch mei­nen Kiez lau­fe, sehe ich kei­nen von ihnen. Viel­leicht, weil Wed­ding mul­ti­kul­tu­rell ist und die Geflüch­te­ten im Stra­ßen­bild nicht auf­fal­len? Ich mache mich auf die Suche nach den Neu­an­kömm­lin­gen und ler­ne die 17-jäh­ri­ge Lana aus Syri­en kennen.

Syrien, Sudan, Italien – Brunnenviertel

Lana kam vor zwei Jah­ren aus Damas­kus, ist 17 Jah­re und wohnt jetzt mit ihrer Fami­lie im Brun­nen­vier­tel. Nach dem Aus­bruch des Krie­ges und dem Erstar­ken der Ter­ror­or­ga­ni­sa­ti­on Isla­mi­scher Staat sah ihr Vater kei­ne siche­re Zukunft mehr in Syri­en und mach­te sich auf den Weg in Rich­tung Euro­pa. Es folg­te eine Odys­see mit Sta­tio­nen im Liba­non, dem Sudan, Liby­en und Ita­li­en. Als der Tän­zer und Cho­reo­graph in Ber­lin ankam, hol­te er sei­ne Frau, Lana und Sohn Lay­th nach. Lana hat in den ers­ten Mona­ten viel geweint. Da waren die Bil­der von Tod und Zer­stö­rung sowie eine völ­lig frem­de Umge­bung. Nur zum Ver­gleich: Mit 15 war mei­ne ein­zi­ge Kriegs­er­fah­rung die des Kal­ten Krie­ges und mei­ne größ­te Sor­ge war, dass ich wohl nie mit der schö­nen Mar­ti­na aus mei­ner Klas­se zusammenkomme.

Ein Beitrag zur Integration im Wedding
Lana bei der Spendenübergabe. Foto: Oertel
Lana bei der Spen­den­über­ga­be. Foto: Oertel

Auf mei­ner Suche ler­ne ich auch Sven­ja ken­nen. Sie hat über den Ver­ein „Wir Gestal­ten“ mit Sitz in der Mül­lerstra­ße eine Paten­schaft für Lana über­nom­men. Ich fra­ge die zwei­fa­che Mut­ter, war­um sie die­se zusätz­li­che Auf­ga­be über­nom­men hat. Ihr Antrieb: Nach­dem sie die Kriegs­bil­der und die unmensch­li­chen Flücht­lings­kon­vois in den Medi­en sah, muss­te die Kör­per­the­ra­peu­tin etwas tun. Ihre Lösung für die Flücht­lings­kri­se klingt plau­si­bel: „Inte­gra­ti­on fin­det statt, wenn jeder nur einen Kon­takt her­stellt.“ Sven­ja und Lana tref­fen sich wöchent­lich und ich habe nicht das Gefühl, dass ihre Bezie­hung ein­sei­tig ist. „Lana strotzt vor Ener­gie! Wenn ich zu müde für das geplan­te Pick­nick bin, nimmt sie die Orga­ni­sa­ti­on in die Hand. Und Lay­th unter­hält dann ein­fach mal den kom­plet­ten Wein­berg­spark mit einer spon­ta­nen Pia­no-App-Per­for­mance“, freut sich Svenja.

Viele Pläne für die Zukunft in Deutschland und Syrien
Lanas Berlin-Story auf einem Plakat. Foto: Oertel
Lanas Ber­lin-Sto­ry auf einem Pla­kat. Foto: Oertel

Lana ist eine jun­ge Frau mit vie­len und gro­ßen Plä­nen. Sie möch­te Medi­zin stu­die­ren, um Neu­ro­lo­gin zu wer­den. Wenn ich das Tem­po sehe, mit dem sie die deut­sche Spra­che erlernt hat, traue ich ihr das zu. Ich fra­ge sie, ob sie als Ärz­tin wie­der nach Syri­en zurück­keh­ren will. „Ich möch­te ein Kran­ken­haus in Damas­kus grün­den. Das Gebäu­de baut mein Bru­der, der Archi­tekt wer­den will. Dann pend­le ich zwi­schen Deutsch­land und Syri­en hin und her“, träumt die Neunt­kläss­le­rin. Ich will wis­sen, ob Lana Pro­ble­me mit ras­sis­ti­schen Anfein­dun­gen hat und ob sie die Angst ver­steht, die eini­ge Deut­sche vor den Flücht­lin­gen haben. Ihre Ant­wort ist ermu­ti­gend: Bis heu­te wur­de Lana nicht wegen ihrer Her­kunft dis­kri­mi­niert. Die Ängs­te man­cher Deut­schen kann sie aber ver­ste­hen und erklärt das mit der Bericht­erstat­tung in den Medi­en: „Durch die Bil­der von Gewalt und Ter­ror in Syri­en kann schnell ein fal­scher Ein­druck von uns entstehen“.

Den Wedding gestalten
Ein Gemälde im Vorraum des Vereins "Wir Gestalten e.V." Foto: Oertel
Ein Gemäl­de im Vor­raum des Ver­eins “Wir Gestal­ten e.V.” Foto: Oertel

Ken­nen­ge­lernt habe ich Lana bei einer Akti­on des „Wir Gestal­ten e.V.“ in der Mül­lerstra­ße, die vom japa­ni­schen Phar­ma­kon­zern Take­da unter­stützt wur­de. Im Rah­men die­ser Akti­on waren Kin­der und Jugend­li­che ein­ge­la­den, ihre Geschich­te zu erzäh­len. Als Beloh­nung wink­te ein zwar gebrauch­tes, aber voll funk­ti­ons­tüch­ti­ges iPho­ne. Mit dem Smart­phone soll das Erler­nen der deut­schen Spra­che unter­stützt wer­den. Dabei lern­te ich das Flücht­lings­kind Lana kennen.

Der Ver­ein „Wir Gestal­ten“ enga­giert sich für Kin­der und Jugend­li­che mit Migra­ti­ons­hin­ter­grund und för­dert das Zusam­men­le­ben unter­schied­li­cher Kul­tu­ren und Reli­gio­nen im ehe­ma­li­gen Bezirk Wed­ding. Im Rah­men des Pro­jek­tes „Kiez­pa­ten­schaf­ten“ kön­nen Inter­es­sier­te zum Bei­spiel jun­gen Men­schen bei Haus­auf­ga­ben, Behör­den­gän­gen oder der Suche nach einem Aus­bil­dungs­platz hel­fen – ehren­amt­lich. Ganz neben­bei ent­ste­hen zum Teil lang­jäh­ri­ge Freundschaften.

Text und Fotos: Andre­as Oertel

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