Kneipen, Bars, Cafés – davon gibt es jede Menge im Wedding. Aber ein Anti-Café? Das ist mal was anderes. Mit dem be’kech haben Louna und Nina in der Weddinger Exerzierstraße das erste Café dieser Art in Berlin eröffnet. Wir haben es ausprobiert.
Berlin trifft Marrakech im be’kech
Ein heller Raum, eine Holztreppe ins Untergeschoss, sichtbares Mauerwerk und eine Bar aus Holzbrettern: auf den ersten Blick sieht das Be’kech aus wie viele hübsche Cafés in Berlin. Doch am Tresen bekommt jeder Gast als erstes eine kleine Tajine, ein marokkanisches Tongefäß. Darin legen die Betreiberinnen einen kleinen Zettel, auf dem die Ankunftszeit notiert ist. Und genau darin liegt das Besondere: „Es geht um das Wertvollste, was wir haben“, erklärt Louna. Sie meint die Zeit, und die spielt hier eine ganz besondere Rolle.
Die 30-Jährige Louna hat marokkanische Wurzeln, die sich in den Tajines, in den Bildern an der Wand und auch in der Hintergrundmusik zeigen. Ihre Geschäftspartnerin Nina und Louna haben sich in Beirut kennengelernt. „Wir wohnen am Gesundbrunnen und wollten unbedingt im Wedding ein Café eröffnen“, sagt Louna. Ausgerechnet in dieser unwirtlichen Straße: Einbruchsspuren an der Tür und ein alter Tresor waren Relikte aus der Vergangenheit des Ladens. „Als wir das ehemalige Spielcasino entdeckten, wussten wir: das ist der richtige Ort für unsere Idee“, erzählt Louna. Der Clou des aus Südostasien und einigen anderen europäischen Städten bekannten Anti-Café-Prinzips ist: man zahlt nicht für den Konsum, sondern für die verbrachte Zeit.
Nach Herzenslust
Auch wenn nach der im Café verbrachten Lebensdauer abgerechnet wird, gibt es keine einzige Uhr in den beiden Gasträumen im Erdgeschoss und im Souterrain. Pro Minute werden nur 5 Cent fällig, maximal 15 Euro kostet der ganze Tag, und wer Mitglied wird, zahlt 220 Euro im Monat. Dafür kann man sich am Buffet und bei den kalten und warmen Getränken nach Herzenslust bedienen. „Wir achten auf fair gehandelten Kaffee aus einer Kooperative im Kongo, Soli-Mate und vegan-vegetarisches Essen“, so beschreibt Louna das Café-Konzept. Saisonale und regionale Lebensmittel betonen den nachhaltigen Ansatz der Betreiber, die sich als antikapitalistisch verstehen. Die Preise sind bewusst niedrig gehalten, denn das Be’kech will den Weddinger Kiez zusammenbringen und keine abgehobene Klientel bedienen. Und weil es nicht allzu teuer ist, wird hier Entschleunigung gelebt. Inzwischen gibt es samstags und sonntags auch ein vegan-vegetarisches Brunch, wo die Essensauswahl auch noch erheblich größer ist als sonst. Das Essen wird übrigens auchmit Zutaten gefertigt, die vom Supermarkt SirPlus für gerettete Lebensmittel geliefert werden. Einige Produkte im be’kech stammen außerdem aus solidarischer Landwirtschaft.
Ein schöner Arbeitsplatz
Der Coworking-Space mit Café, einem separat für bis zu zehn Leuten buchbaren Meeting Room und Skype- oder Telefonkabinen richtet sich an alle, die stundenweise einen Arbeitsplatz mit kostenlosem Internet brauchen. Drucken und scannen sind ebenfalls möglich.
Maghreb trifft DDR
Die Einrichtung ist eine Reminiszenz an Marokko, aber auch an die ehemalige DDR, aus der Nina stammt. Die Sitzmöbel sind im sozialistischen Retro-Look, das Holz der Theke stammt von einem Berliner Schrottplatz. Auf zwei Ebenen, wobei das Untergeschoss mit seiner schummrigen Büchersitzecke marokkanische Gemütlichkeit ausstrahlt, findet hier jeder Gast sein Plätzchen, wo er das Wertvollste ausgibt: seine Zeit.
Seit März 2018 gibt es auch eine rauchfreie Bar mit Abendveranstaltungen im be’kech. Auch ene Auswahl an alkoholischen Getränken zu bezahlbaren Preisen gehört zum Konzept. Als Programm sind Konzerte, Workshops, Lesungen, Filmabende, Panels, Ausstellungen und vieles mehr geplant.
Das Be’kech versteht sich als Anti-Café. Anti-Cafés sind um 2011 in Russland entstanden. Sie sind eine Art Coworking-Cafés ohne Verzehrzwang.
Exerzierstr. 14
Mo-Fr: 09–19 Uhr, Sa+So: 11–19 Uhr
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