Auf der Müllerstraße gibt es natürlich Döner. Und die Gespräche drehen sich im Stadtteil gern darum, welcher der beste, der echteste, der wahre Döner ist. Der Weddinger ist kulinarisch gesehen schlicht und würde vermutlich eher nicht Gazpacho vom Kürbis mit Blaubeeren mit einem Hauch geräucherter Forelle bestellen. Daher meiden die Feinschmecker der Stadt den Wedding. Hier gibt es zu wenig für sie. Am Freitag (19.2.) jedoch zeigte der Wedding im Centre Francais, dass er auch anspruchsvollen Gaumen einen schönen Abend bereiten kann. „Berlinale goes Kiez“ hatte Feinschmecker aus Steglitz, Neukölln und Detroit in einen Stadtteil geführt, der für sie kein Begriff ist und den sie nur dank der U6 auf dem Stadtplan haben finden können.
Überrascht kosteten die Gäste von außerhalb, was sich Pastis-Chefkoch Vincent Garcia für das Kulinarische Kino genannte Event im Rahmen der Berlinale ausgedacht hatte. Neben dem Gazpacho wurde als zweiter Gang ein Zanderfilet an Purée aus weißen Bohnen, Senfgurkensauce und gebratenem Mini-Mais serviert. Als Dessert wurde Pekannuss-Tarte mit Ahornsirup gereicht. Dazu gab es guten Wein und gutes Wasser. Was der Feinschmecker nicht merkte: Das Team des Pastis hatte an diesem Tag eine Bewährungsprobe zu bestehen. Ein voll besetztes Restaurant mit 100 anspruchsvollen Gästen ist selten in der Müllerstraße 74, doch die Pastis-Crew zeigte sich als guter und aufmerksamer Gastgeber.
An den Tischen wurde gegessen, getrunken und geredet. Dabei ging es um die Berlinale, um tolle Filme, um Schauspieler und Regisseure. An einem Tisch versuchte eine junge Frau einem zufällig zugelosten Tischnachbarn aus dem englischsprachigen Raum zu erklären, wo er sich gerade befindet. Wedding, armer Stadtteil, Döner und so. Sein Blick blieb ratlos. Er hing wohl am Begriff „Wedding“ fest. Ehe er verstanden hat, dass das nichts mit Heiraten zu tun hat, hatte er bereits ein frisches Glas Weißwein und einen weiteren Gang aus der Küche vor sich, wandte sich der Tischnachbarin auf der anderen Seite zu. Ist ja auch nicht so wichtig, Hauptsache, es schmeckt.
An anderen Tischen drehte sich das Gespräch um den Film, denn ja, beim Kulinarischen Kino kommt entgegen der Wortreihenfolge erst das Kino und dann das Kulinarische. Für den Aperetif, den cineastischen Teil war das City Kino Wedding zuständig, vor seiner Tür hatte das Kulinarische Kino seinen Fliegenden Roten Teppich ausgerollt. Während das Publikum nicht wagte, ihn zu betreten und vorsichtig drum herum in den Kinosaal schlich, gingen die Ehrengäste des Tages selbstverständlich über den roten Laufsteg. Zu Gast war der Filmemacher Detlev Buck, der seinen 1990 gedrehten Kurzfilm „Schwarzbunt Märchen“ mitgebracht hatte. Die Kinobetreiberinnen Anne Lakeberg und Wiebke Wonder posierten mit Detlev Buck vor dem leuchtenden Berlinale-Bären. Dazu gesellte sich die Crew des Films „The Singhampton Project“, der als Hauptfilm des Abends im für sich sehenswerten schönen City Kino gezeigt wurde.
Spätestes beim Ahornsirup wurde dem letzten Feinschmecker klar, wie das hier mit der Verbindung von Film und Menu gemeint war. Denn der Protagonist von „The Singhampton Project“, der Koch Michael Stadtländer, kommt wie der Sirup aus Kanada. Er gilt dort als Pionier der regionalen und saisonalen Küche. Im Film dokumentierte Jonathan Staav wie der Koch Michael Stadtländer zusammen mit dem Künstler Jean Paul Ganem auf seiner Farm ein Garten- und Foodfestival kreierte: einen Garten anlegte, selbst Gemüse pflanzte und selbst erntete und am Ende mit einem Menü mit Zutaten nur aus dem eigenen Garten 400 Menschen unter freiem Himmel bekochte.
Regional und saisonal sind auch in Berlin keine unbekannten Worte. Viel Sympathie schwang darum auch bei den Tischgesprächen für den Film und für den redegewandten und charmanten Koch aus Kanada mit. Einige Berlinale-Besucher nahmen sich, beflügelt von einem schönen Berlinale-Abend, das aktuelle Programm des City Kinos mit. Auch das Restaurant Pastis wurde an diesem Abend viel gelobt. Vielleicht wird sich der eine oder andere Feinschmecker die Adresse merken: Pastis, Müllerstraße 74, Wedding.
Text und Fotos: Dominique Hensel
Es gibt auch einige Oasen in der kulinarischen Wüste des Wedding. Zum Beispiel das Escargot in der Brüsseler Straße.
Das stimmt. Das hat sich aber noch nicht bis nach Neukölln und Steglitz herumgesprochen. Dominique (für den Weddingweiser)