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Kommentar: Beschämend – wer benennt Straßen und Plätze?

15. Februar 2015
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Simit Evi vor dem Rathaus WeddingSoso. Die BIM (Ber­li­ner Immo­bi­li­en­ma­nage­ment GmbH) hat also offen­bar kei­ne ande­ren Pro­ble­me als zu ver­hin­dern, dass der Platz neben dem Rat­haus Wed­ding einen wür­di­gen Namen erhält, näm­lich „Eli­se und Otto Ham­pel-Platz“. Eli­se und Otto Ham­pel waren ein Wed­din­ger Arbei­ter-Ehe­paar, die nach dem Tod ihres ein­zi­gen Soh­nes im Zwei­ten Welt­krieg muti­gen Wider­stand gegen die Nazis leis­te­ten, mit schlich­tes­ten Mit­teln. Sie ver­teil­ten heim­lich hand­ge­schrie­be­ne Post­kar­ten gegen den Krieg, bis die Gesta­po sie nach lan­ger Suche ver­haf­te­te. Bei­de wur­den von den Nazis hin­ge­rich­tet. Hans Fal­la­da wid­me­te ihnen sei­nen welt­be­rühm­ten Roman „Jeder stirbt für sich allein“.

Rathaus saniertNun nimmt der (bis­lang namen­lo­se) Wed­din­ger Rat­haus­vor­platz neue Gestalt an, in das sanier­te Hoch­haus zieht das Job­cen­ter ein, die Biblio­thek erhält einen Neu­bau. Und die BIM (eine hun­dert­pro­zen­ti­ge Toch­ter­ge­sell­schaft des Lan­des Ber­lin) als Eigen­tü­me­rin des Hoch­hau­ses sowie eines Stück­chens des Plat­zes will jetzt nicht, dass der bis­lang namen­lo­se Platz nach Eli­se und Otto Ham­pel benannt wird – obwohl Anwoh­ner, Stadt­teil­ver­tre­tung und auch die BVV klar für die­se Neu­be­nen­nung votierten.

Zwei Jobcenter an der gleichen Straße

Doch dies, so das BIM-Argu­ment, wür­de auch „eine Adress­än­de­rung für das Job­cen­ter“ bedeu­ten, für des­sen Kun­den die Ori­en­tie­rung nicht erschwert wer­den sol­le – denn die wür­den die Mül­lerstra­ße 147 leich­ter finden.

Agentur für Arbeit Müllerstr.
Agen­tur für Arbeit Müllerstr.

Das ist in viel­fa­cher Hin­sicht ein unsin­ni­ges Argu­ment. Ers­tens muss das Job­cen­ter sowie­so sei­ne Geschäfts­adres­se und sämt­li­che Druck­sa­chen ändern, weil es an die­sem Ort ja völ­lig neu ist. Zwei­tens müs­sen die Kun­den des Job­cen­ters sowie­so eine für sie neue Adres­se auf­su­chen. Hält man sie für so dumm, dass sie einen neu­be­nann­ten Platz nicht fin­den? Drit­tens wür­de die Namens­ge­bung für den Platz im Gegen­teil für mehr Ori­en­tie­rung sor­gen – schließ­lich gibt es mit der Mül­lerstra­ße 16 noch ein wei­te­res Job­cen­ter für einen ande­ren Ein­zugs­be­reich. Das sorgt viel eher für Ver­wir­rung. Man­che nen­nen die Mül­lerstra­ße des­halb auch scherz­haft „Job­cen­ter-Bou­le­vard“. Als „Job­cen­ter Ber­lin Mit­te Mül­lerstra­ße“ fir­miert jeden­falls bereits die Mül­lerstra­ße 16 sowohl bei der Arbeits­agen­tur als auch in den Tie­fen des Inter­nets: Ter­min ver­passt, lie­ber Kun­de, weil im fal­schen Job­cen­ter vor­ge­spro­chen? Pech gehabt, die Leis­tung wird gekürzt!
Vier­tens durf­te das Argu­ment der angeb­lich unzu­mut­ba­ren Adress­än­de­rung jeden­falls im Ost­teil der Stadt nie­mals gel­ten, als nach der Wie­der­ver­ei­ni­gung zahl­lo­se Stra­ßen rück­be­nannt wur­den: Auch die städ­ti­schen Woh­nungs­bau­ge­sell­schaf­ten wur­den nicht gefragt, ob es gro­ßen Auf­wand bedeu­te, wenn bei­spiels­wei­se die Wil­helm-Pieck-Stra­ße in Tor­stra­ße rück­be­nannt wird und ihre Häu­ser und Vor­gärt­chen davon betrof­fen waren.

Sollten nicht die Volksvertreter entscheiden?

Rathausvorplatz mit SchillerbibliothekUnd war­um schwingt sich die BIM – eine lan­des­ei­ge­ne Gesell­schaft, deren Auf­ga­be ledig­lich in Immo­bi­li­en­ver­wal­tung besteht – über­haupt zum „Spre­cher“ des Job­cen­ters auf ? Soll wirk­lich die BIM mehr Stim­me haben als die Bür­ger, die Stadt­teil­ver­tre­tung und ihre demo­kra­tisch gewähl­ten Ver­tre­ter in der BVV, die mit gro­ßer Mehr­heit für die Benen­nung des namen­lo­sen Rat­haus­vor­plat­zes in Eli­se und Otto Ham­pel-Platz stimm­ten? Wel­che geschichts­ver­ges­se­ne, büro­kra­ti­sche Hal­tung offen­bart sich hier – aus­ge­rech­net 70 Jah­re nach dem Ende der Nazi­herr­schaft, wo es end­lich an der Zeit wäre, auch die stil­len Hel­den des Wider­stands zu würdigen?

Verheerendes Signal gegen Zivilcourage

Was ist das für ein Signal an jene Bür­ger, die immer­fort zu Zivil­cou­ra­ge auf­ge­for­dert wer­den? Für Zivil­cou­ra­ge wäre das Ehe­paar Ham­pel ja wohl das bes­te Vor­bild – als ein­fa­che Wed­din­ger und spä­te, aber tap­fe­re Geg­ner des Nazi­re­gimes, die im trau­rigs­ten Wort­sinn für ihren Mut den Kopf hin­hiel­ten und kurz vor Kriegs­en­de unter dem Fall­beil starben.
Auch des­halb soll­te sich der Bezirk gegen das BIM-Begeh­ren weh­ren – aus Respekt.

Autorin: Ulri­ke Steglich

Die­ser Arti­kel erschien in der Sanie­rungs­zei­tung “Ecke Mül­lerstra­ße” Nr. 1/2015. Nach­druck mit freund­li­cher Geneh­mi­gung der Autorin.

Gastautor

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6 Comments

  1. […] An Vor­schlä­gen hat es nicht geman­gelt, und am Ende waren sich sogar Anwoh­ner, die Stadt­teil­ver­tre­tung Mül­lerstra­ße und die Bezirks­ver­ord­ne­ten von Ber­lin-Mit­te einig: der bis­lang namen­lo­se Platz zwi­schen altem Rat­haus Wed­ding, dem zukünf­ti­gen Job-Cen­ter und der neu­en Schil­ler-Biblio­thek soll nach Eli­se und Otto Ham­pel benannt wer­den. Das Ehe­paar aus der Ams­ter­da­mer Stra­ße leis­te­te am Ende des Zwei­ten Welt­kriegs Wider­stand gegen das Nazi­re­gime, wur­de ent­deckt und dafür hin­ge­rich­tet. Doch die BIM, das lan­des­ei­ge­ne Immo­bi­li­en­ma­nage­ment und neu­er Ver­wal­ter des Hoch­hau­ses, lehnt den demo­kra­tisch gefass­ten Beschluss ab (wir berichteten). […]

  2. Nur zur voll­stän­di­gen Infor­ma­ti­on und ohne Wer­tung, was dar­aus fol­gen soll: Es han­delt sich offen­sicht­lich um “Pri­vat­ei­gen­tum” (in Anfüh­rungs­zei­chen, da mit­tel­bar natür­lich städ­tisch), auf des­sen Namens­ge­bung der Bezirk nur auf Antrag des Eigen­tü­mers Ein­fluss hat – genau den hat die BIM aber nicht gestellt/zurückgezogen.

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