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Kommentar: Falsch verstandener Denkmalschutz

20. April 2016
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War­um die “Beam­ten­lauf­bahn” weg kann

wp-1460131102890.jpegSie wird nicht mehr gebraucht, und sie stört: Der Ver­bin­dungs­gang zwi­schen dem Rat­haus Wed­ding und dem jet­zi­gen Job­cen­ter, iro­nisch “Beam­ten­lauf­bahn” getauft, blo­ckiert die Blick­ach­se zwi­schen Mül­lerstra­ße und dem Cam­pus der Beuth-Hoch­schu­le für Technik.

Er zer­schnei­det die Lim­bur­ger Stra­ße, die in den 1960er Jah­re noch erfahr­bar am Rat­haus Wed­ding in die Mül­lerstra­ße mün­de­te – bis zwi­schen 1964 und 1966 der Rat­haus­neu­bau samt Ver­bin­dungs­brü­cke gebaut wur­de, die Mit­ar­bei­tern und Besu­chern einen ein­fa­chen Über­gang zwi­schen Alt- und Neu­bau gewährleistete.

Die­se Brü­cke ist jetzt nicht mehr erfor­der­lich. Ein Abriss wäre nur kon­se­quent, auch weil der öffent­li­che Raum, den der Gang zer­schnei­det, der­zeit neu geord­net und gestal­tet wird. Das “Bil­dungs­band”, das sich vom Zep­pe­lin­platz über den Platz am Rat­haus (»Eli­se-und-Otto-Ham­pel-Platz«) bis zum Leo­pold­platz zie­hen soll, wird hier unter­bro­chen. Für die Ent­fer­nung die­ser Bar­rie­re plä­dier­ten nicht nur die Land­schafts­ar­chi­tek­ten, die die Pla­nun­gen für das neue Rat­haus­um­feld ent­wi­ckel­ten, son­dern auch die meis­ten Bür­ger, die an den Work­shops und Infor­ma­ti­ons­ver­an­stal­tun­gen teilnahmen.

Der Denk­mal­schutz jedoch sieht das anders. Für ihn gehört die »Beam­ten­lauf­bahn« zum schüt­zens­wer­ten Ensem­ble aus Rat­haus­neu­bau und altem Wed­din­ger BVV-Saal, das von Fritz Born­emann ent­wor­fen wur­de. Born­emann war der viel­leicht wich­tigs­te Archi­tekt der West­ber­li­ner Nach­kriegs­mo­der­ne. Er ent­warf die Ame­ri­ka-Gedenk­bi­blio­thek, die Deut­sche Oper, die Freie Volks­büh­ne, die Muse­en in Dah­lem – und auch die Dan­kes­kir­che am Wed­ding­platz, die man unbe­dingt besich­ti­gen soll­te. Der Archi­tekt starb im Jahr 2007 im Alter von 95 Jah­ren. Man kann ihn also nicht mehr befra­gen. Es ist aber nur schwer vor­stell­bar, dass Born­emann einem Abriss in die­ser kon­kre­ten Situa­ti­on wider­spre­chen wür­de. Der Leit­spruch der Moder­ne »Form fol­lows func­tion« galt näm­lich auch für ihn. Orna­men­te moch­te er nicht – und zum blo­ßen Orna­ment ist die »Beam­ten­lauf­bahn« ohne kon­kre­te Funk­ti­on degra­diert, auch wenn man sie mit Licht­in­stal­la­tio­nen auf­hüb­schen wür­de, wie eini­ge vor­schla­gen. Dage­gen lag Born­emann sehr viel am frei­en Blick. Die Deut­sche Oper zum Bei­spiel ist berühmt dafür, dass man auch auf den bil­ligs­ten Plät­zen eine gute Sicht auf die Büh­ne und eine gute Akus­tik hat. Begrif­fe wie »demo­kra­ti­sche Archi­tek­tur«, »frei­f­lu­ten­de Räu­me«, »durch­sich­ti­ge Archi­tek­tu­ren« und »die­nen­de Archi­tek­tur« wer­den mit Born­emann in Ver­bin­dung gebracht.
Es ist wich­tig und rich­tig, die unter­schied­li­chen his­to­ri­schen Epo­chen im Stadt­bild sicht­bar zu hal­ten und schüt­zens­wer­te Bau­ten und Ensem­bles zu bewah­ren – gera­de die Nach­kriegs­mo­der­ne war in den letz­ten 20 Jah­ren vie­len aggres­si­ven Atta­cken aus­ge­setzt und muss­te ver­tei­digt wer­den. Aber es wäre ein Feh­ler, Denk­mal­schutz nur um des Prin­zips wil­len gegen alle Abwä­gun­gen, Argu­men­te und neue Situa­tio­nen durch­zu­ex­er­zie­ren. Denn dann läuft die Denk­mal­pfle­ge Gefahr, nur noch als Hin­der­nis wahr­ge­nom­men zu wer­den und an Über­zeu­gungs­kraft zu verlieren.
Autor: Chris­tof Schaffelder
Der Kom­men­tar erschien zuerst in der Ecke Mül­lerstra­ße, Aus­ga­be März/April 2016

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1 Comment

  1. War­um muß alles weg??? War­um nicht als öffent­li­chen Raum nutzen??

    Und was heißt eigent­lich ” Bildungsband “???
    Alles nur Wort­hül­sen ohne kon­kre­te Inhalte.
    Dann kann man doch auch fra­gen, war­um der Brun­nen auf dem Leo­pold­platz ver­schwun­den ist???

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