Außerordentlich reich an Baudenkmälern ist der Ortsteil Gesundbrunnen. Aber auch sonst hat dieser Teil der Stadt eine bewegte Geschichte. Wir streifen die Badstraße entlang, gehen durch den Humboldthain und das Brunnenviertel, um den Spaziergang im Soldiner Kiez zu beenden.
Viel 19. Jahrhundert an der Badstraße
Unser Rundgang beginnt an der Badstraßenbrücke über die Panke. Wir biegen in die Badstraße ein, wo es auf dem Abschnitt bis zur Pankstraße noch eine geschlossene gründerzeitliche Bebauung mit reich verzierten Wohnhäusern gibt (z.B. Vorderhaus des Marienbads Badstraße 35–36; aus dem Jahr 1904⁄05 mit einer Hermes-Skulptur über einem Bogen). Ein stilprägender Kirchenbau ziert die Ecke Badstraße/Pankstraße. Die St.Pauls-Kirche von 1835 wurde als eine von vier Nordberliner Kirchen durch Karl Friedrich Schinkel geplant. Zu dieser Gruppe gehört auch die alte Nazarethkirche. Der klassizistisch-nüchterne Hallenbau wurde erst 1889⁄90 um einen Glockenturm und 1910⁄11 durch ein Gemeindehaus ergänzt. Da die Kirche im Zweiten Weltkrieg ausgebrannt war, wurde sie äußerlich originalgetreu, innen aber von 1952–57 im zeitgenössischen Stil wieder aufgebaut (Architekt H.Wolff-Grohmann). Dieser steht als Zeugnis der Architektur der 1950er Jahre selbst unter Denkmalschutz.
Wir gehen weiter bis zur nächsten Straße. In der Stettiner Straße stehen einige sehenswerte denkmalgeschützte Wohnhäuser aus den 1860er Jahren. Sie sind noch viel niedriger als die Gründerzeitgebäude. Sehenswert sind die Häuser Stettiner Str. 26, 53, 61 – 65, die meist klassizistische Formen besitzen. Einkehren kann man in der Hausnummer 63 in der Kaffee-Bar Il Milanese. Insgesamt vermittelt die Straße einen Eindruck davon, wie diese vorstädtische Gegend kurz nach der Eingemeindung nach Berlin 1861 bebaut wurde. Wir gehen in die Stettiner Straße hinein und biegen rechts in die Bellermannstraße. Diese breite Straße, in der manches Haus sogar einen Vorgarten hat, steigt leicht an.
Gartenstadt ohne Gärten
Bereits die nächste Straße (Grüntaler Str.) ist ungewöhnlich breit. Hier führte früher die Berlin-Stettiner Eisenbahn mitten durch die Stadt, was man an den Schuppen und Flachbauten erkennen kann. Heute hat man den Verlauf der Eisenbahn als langgezogene Promenade mit zahlreichen thematischen Spielplätzen und Wandbemalungen gestaltet. Der Bahnbetrieb in der immer dichter besiedelten Gegend erforderte ständige Sperrungen der Badstraße, weshalb die Bahn in den 1890er Jahren den heutigen, südöstlichen Verlauf im Einschnitt erhielt.
Wir gehen die Bellermannstraße weiter hoch und biegen rechts in die Heidebrinker Straße ein. Die Siedlung in Dreiecksform zwischen Heidebrinker/Bellermann-/Behmstraße heißt “Gartenstadt Atlantic” und wurde von 1925–28 von Rudolf Fränkel erbaut. Die dicht bebaute Siedlung hat mit einer Gartenstadt wenig gemein, ist aber ein gelungenes Beispiel für eine nach modernen Gesichtspunkten angelegte Mehrfamilienhaussiedlung. Die “Lichtburg”, nach der das Café an der Ecke zur Behmstraße benannt ist, war das größte der vielen Kinos am Gesundbrunnen. Es war mit einer “Fassade aus Licht” an sich schon eine Sehenswürdigkeit, wurde aber vor einigen Jahrzehnten leider abgerissen. Die Fassaden der Gartenstadt und der Straßenraum sind mit großem Geschick gestaltet worden, wobei auch der monumentale Bau des Gesundbrunnen-Centers eine starke Sichtbeziehung zu dem Ensemble hat.
Ganz großer Bahnhof
Das Shopping-Center ist 1997 von den Architekten Hering und Starek im Stil eines Ozeandampfers errichtet worden. Es dominiert auch den Vorplatz des Bahnhofs Gesundbrunnen, der 2006 wieder für den Fern- und Regionalverkehr eröffnet wurde. Allerdings hatte man anfangs das Bahnhofsgebäude “vergessen”. Seit 2014 steht ein Zugangsbauwerk auf der Platte, das Deutschlands einzigen ICE-Bahnhof ohne Empfangsgebäude halbwegs angemessen ergänzt. Immerhin konnte verhindert werden, dass das historische U‑Bahn-Zugangsbauwerk an der Brunnenstr./Ecke Behmstraße abgerissen wurde. Der U‑Bahnhof wurde 1928–30 von U‑Bahn-Hausarchitekt Alfred Grenander als Endstation der Gesundbrunnen-Neukölln-Linie (heute U 8) errichtet. Er liegt wegen der zu unterquerenden, selbst schon im Einschnitt liegenden, S- und Fernbahngleise für Berliner Verhältnisse sehr tief. Daher wurde hier auch die erste, sehr lange Rolltreppe im Berliner Nahverkehr eingebaut.
Wir überqueren die Gleise auf der Brunnenstraßenbrücke. Rechts von uns liegt der Volkspark Humboldthain (angelegt 1870), der schon wegen des Rosengartens einen eigenen Besuch wert ist. Nach schweren Kriegszerstörungen wurde der Park rund um zwei Trümmerberge angelegt. Der nördliche Berg wurde auf der 1948 gesprengten Ruine eines Flakturms aus dem Zweiten Weltkrieg angeschüttet und ist heute mit 85 Metern Höhe der höchste Punkt in Wedding und Gesundbrunnen. Oben befindet sich eine Aussichtsplattform, die einen hervorragenden Rundumblick erlaubt. Die Bunkeranlagen können im Rahmen der Veranstaltungen des Vereins Berliner Unterwelten besichtigt werden. Im Park befindet sich neben einem Freibad, dem Rosengarten und einer Rodelbahn auch die Himmelfahrtskirche, ein Neubau des im Krieg an anderer Stelle zerstörten Kirchenbaus.
Wenig alte Bausubstanz
Geht man die Brunnenstraße weiter und überquert dann die Gustav-Meyer-Allee, findet man auf der rechten Straßenseite nach einigen Metern das “Beamtentor” der AEG, das im Jahr 1897 von Architekt Franz Schwechten errichtet wurde. Die verwendete Bildsprache der Ornamente hat die Elektrotechnik zum Thema. Um das Tor herum sind Ende der 1990er Jahre von Architekt Josef Kleihues Bürogebäude errichtet worden. Im ganzen dahinter liegenden Straßenblock befindet sich die Anlage des AEG-Werks (Teile wurden 1909 von Architekt Peter Behrens errichtet). Heute werden die Fabrikgebäude von universitären Einrichtungen sowie dem Fernsehsender Deutsche Welle TV genutzt.
Wir kehren zurück zur Brunnenstraße Ecke Gustav-Meyer-Allee bzw. Rügener Straße. Wir biegen in die Rügener Straße ein und gehen diese bis zur Swinemünder Straße. Dieses Gebiet, das heute nach der Brunnenstraße Brunnenviertel genannt wird, war in den 1970er Jahren das größte Sanierungsgebiet Europas. Obwohl die Baustubstanz der völligen Zerstörung im Bombenkrieg entgangen war, hat man hier Kahlschlagsanierung betrieben und bis auf wenige Häuserzeilen und einige Schulen alle Vorkriegsgebäude abgerissen. Da das Gebiet ab 1961 auf drei Seiten von der Mauer umgeben war, wurde es als Musterbeispiel für zeitgemäße Stadtsanierung ausgewählt. Das einstmals belebte und durchmischte Altbauviertel wurde zu einem fast reinen Wohnquartier umfunktioniert, in dem mehrgeschossige Hochhäuser bis etwa 1980 ohne Rücksicht auf die einst innerstädtische Lage gebaut wurden. Am Ende der “Sanierung” war aber auch schon ein Umdenken erkennbar, wie die jüngsten Gebäude des Viertels und eine Häuserreihe mit Altbauten an der Gleimstraße / Graunstraße beweist.
Jetzt rückt die beeindruckende Swinemünder Brücke ins Blickfeld. Sie ist 230 m lang und stammt aus den Jahren 1902-05 (Architekt Friedrich Krause). Ihre hohen Baukosten sorgten dafür, dass das Bauwerk schnell seinen Spitznamen “Millionenbrücke” weg hatte. Sie wird gerne für historische Filme als “Grenzübergang Bornholmer Straße” verwendet, weswegen hier ab und zu die Berliner Mauer wieder aus Pappmaché nachgebaut wird. Auf dieser Brücke überqueren wir die Gleisanlagen des Bahnhofs Gesundbrunnen und biegen an der nächsten Kreuzung schräg nach links in die Bellermannstraße.
Kiezflair und Kunst
Hier streifen wir wieder links die Gartenstadt Atlantic, bis wir an der Grüntaler Straße ankommen und in diese rechts einbiegen. Hier hat man, auf der anfangs erwähnten ehemaligen Trasse der Stettiner Eisenbahn, eine Promenade angelegt, auf der sich etliche thematische Kinderspielplätze wie auf einer Perlenkette aneinanderreihen. Wo die Osloer Straße kreuzt, biegen wir aber hinter der Kreuzung nach links in die Osloer, schwenken dann jedoch in die übernächste Straße (Wriezener Straße) rechts ein.
Hier nähern wir uns dem Soldiner Kiez, der ein Beispiel für eine behutsamere Sanierung eines Altbauviertels abgibt – im Unterschied zum Brunnenviertel. Ein Blick auf die Villa Schott in der Hausnummer 10–11 sollte nicht vergessen werden: die 1881 errichtete Fabrikantenvilla konnte in ihrem klaren klassizistischen Stil glücklicherweise erhalten werden. Wir gehen wieder ein paar Schritte zurück und biegen in die Biesentaler Straße. Diese Straße ist in ihrer Geschlossenheit ein besonders gutes Beispiel der gründerzeitlichen Architektur des Berliner Nordens. Die Häuser sind größtenteils in den 1870er Jahren errichtet worden und besitzen überwiegend klassizistische Fassaden. Typisch sind auch die häufig verwendeten turmartigen Aufsätze sowie die mittig angeordneten Haustüren.
Wir biegen nun rechts in die Prinzenallee ein, wo wir auf der anderen Straßenseite die Häuser in der Nr. 57–59 bewundern können. Es handelt sich bei Hausnummer 58 um das Vorderhaus der sich über mehrere Höfe erstreckenden Hutfabrik Gattel. Es lohnt sich, die offen zugänglichen Höfe zu durchstreifen. Zurück auf der Prinzenallee ist die neugotische Stephanuskirche an der Ecke Soldiner Straße nicht zu übersehen. Die 1904 errichtete evangelische Kirche dominiert das Viertel mit ihrem 80m hohen Turm. Sie besitzt einen recht ungewöhnlichen kreuzförmigen Grundriss und ist innen sehr reich dekoriert. Insbesondere der bronzene Hängeleuchter mit seinem mehrere Meter breiten Durchmesser beeindruckt den Besucher.
An jedem letzten Freitag im Monat verwandelt sich der Soldiner Kiez, der noch vor ein paar Jahren von allen Berliner Wohngebieten die schlechteste Sozialstruktur hatte, in eine einzige Galerie. Im Rahmen der “Kolonie Wedding” öffnen die vielen Künstler und Galeristen ihre Ladenräume und Ateliers – mit einem neuen Programm in jedem Monat.
Wer jetzt noch ein wenig Zeit hat, sollte die Prinzenallee noch ein paar Meter entlanggehen. Wo sich der Straßenname nahe der ehemaligen Berliner Stadtgrenze in Wollankstraße ändert, ist an der Hausnummer 66 der Eingang zu dem 17 Hektar großen Friedhofsgelände des St.Elisabeth- bzw. Sophienkirchhofs. Das Friedhofsportal und das im Schweizerhausstil errichtete Verwaltungsgebäude von 1875 sind allein schon eine Beachtung wert. Wer sich gleich links hält, kann an der Wand vier Erbbegräbnisstätten entdecken. Auch die beiden klassizistischen Friedhofskapellen rechtfertigen einen kleinen Rundgang über den Friedhof. Hier befindet sich auch das Ehrengrab des UFA-Schauspielers Otto Gebühr, der mit seiner Darstellung des Königs Friedrich der Große berühmt wurde.
War es schoen in der brunnenstrasse zu wohnen?
Nein, es gab viel brotsuppe, unterernaehrte kinder, wohnungen ohne toiletten Keine badezimmer
Und hungerloehne fuel die men’s hen die bei aeg arbeiten.
Man muss das luegen beenden und ein bliss hen meh wahrheit in die geschichte bringen
Given dir ein bisschen mushed ‚Joachim!
Gruesse von Peter Siegling