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Abwechslungsreicher Stadtteil:
Ein Spaziergang durch Gesundbrunnen

Eine Mischung aus alt und neu, schön und hässlich, grau und grün. Aber eines werden Spaziergänger erleben: Im Gesundbrunnen wird es nicht so schnell monoton.
10. Dezember 2019
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Außer­or­dent­lich reich an Bau­denk­mä­lern ist der Orts­teil Gesund­brun­nen. Aber auch sonst hat die­ser Teil der Stadt eine beweg­te Geschich­te. Wir strei­fen die Bad­stra­ße ent­lang, gehen durch den Hum­boldt­hain und das Brun­nen­vier­tel, um den Spa­zier­gang im Sol­di­ner Kiez zu beenden.

Viel 19. Jahrhundert an der Badstraße

Unser Rund­gang beginnt an der Bad­stra­ßen­brü­cke über die Pan­ke. Wir bie­gen in die Bad­stra­ße ein, wo es auf dem Abschnitt bis zur Pank­stra­ße noch eine geschlos­se­ne grün­der­zeit­li­che Bebau­ung mit reich ver­zier­ten Wohn­häu­sern gibt (z.B. Vor­der­haus des Mari­en­bads Bad­stra­ße 35–36; aus dem Jahr 190405 mit einer Her­mes-Skulp­tur über einem Bogen). Ein stil­prä­gen­der Kir­chen­bau ziert die Ecke Badstraße/Pankstraße. Die St.Pauls-Kirche von 1835 wur­de als eine von vier Nord­ber­li­ner Kir­chen durch Karl Fried­rich Schin­kel geplant. Zu die­ser Grup­pe gehört auch die alte Naza­reth­kir­che. Der klas­si­zis­tisch-nüch­ter­ne Hal­len­bau wur­de erst 188990 um einen Glo­cken­turm und 191011 durch ein Gemein­de­haus ergänzt. Da die Kir­che im Zwei­ten Welt­krieg aus­ge­brannt war, wur­de sie äußer­lich ori­gi­nal­ge­treu, innen aber von 1952–57 im zeit­ge­nös­si­schen Stil wie­der auf­ge­baut (Archi­tekt H.Wolff-Grohmann). Die­ser steht als Zeug­nis der Archi­tek­tur der 1950er Jah­re selbst unter Denkmalschutz.

Wir gehen wei­ter bis zur nächs­ten Stra­ße. In der Stet­ti­ner Stra­ße ste­hen eini­ge sehens­wer­te denk­mal­ge­schütz­te Wohn­häu­ser aus den 1860er Jah­ren. Sie sind noch viel nied­ri­ger als die Grün­der­zeit­ge­bäu­de. Sehens­wert sind die Häu­ser Stet­ti­ner Str. 26, 53, 61 – 65, die meist klas­si­zis­ti­sche For­men besit­zen. Ein­keh­ren kann man in der Haus­num­mer 63 in der Kaf­fee-Bar Il Mila­ne­se.  Ins­ge­samt ver­mit­telt die Stra­ße einen Ein­druck davon, wie die­se vor­städ­ti­sche Gegend kurz nach der Ein­ge­mein­dung nach Ber­lin 1861 bebaut wur­de. Wir gehen in die Stet­ti­ner Stra­ße hin­ein und bie­gen rechts  in die Bel­ler­mann­stra­ße. Die­se brei­te Stra­ße, in der man­ches Haus sogar einen Vor­gar­ten hat, steigt leicht an.

Gartenstadt ohne Gärten

Die Spätsommersonne scheint auf den Bürgersteig einer Straße
Foto: Samu­el Orsenne

Bereits die nächs­te Stra­ße (Grün­ta­ler Str.) ist unge­wöhn­lich breit. Hier führ­te frü­her die Ber­lin-Stet­ti­ner Eisen­bahn mit­ten durch die Stadt, was man an den Schup­pen und Flach­bau­ten erken­nen kann. Heu­te hat man den Ver­lauf der Eisen­bahn als lang­ge­zo­ge­ne Pro­me­na­de mit zahl­rei­chen the­ma­ti­schen Spiel­plät­zen und Wand­be­ma­lun­gen gestal­tet. Der Bahn­be­trieb in der immer dich­ter besie­del­ten Gegend erfor­der­te stän­di­ge Sper­run­gen der Bad­stra­ße, wes­halb die Bahn in den 1890er Jah­ren den heu­ti­gen, süd­öst­li­chen Ver­lauf im Ein­schnitt erhielt.

Wir gehen die Bel­ler­mann­stra­ße wei­ter hoch und bie­gen rechts in die Hei­de­brin­ker Stra­ße ein. Die Sied­lung in Drei­ecks­form zwi­schen Hei­de­brin­ker/­Bel­ler­mann-/Behm­stra­ße heißt “Gar­ten­stadt Atlan­tic” und wur­de von 1925–28 von Rudolf Frän­kel erbaut. Die dicht bebau­te Sied­lung hat mit einer Gar­ten­stadt wenig gemein, ist aber ein gelun­ge­nes Bei­spiel für eine nach moder­nen Gesichts­punk­ten ange­leg­te Mehr­fa­mi­li­en­haus­sied­lung. Die “Licht­burg”, nach der das Café an der Ecke zur Behm­stra­ße benannt ist, war das größ­te der vie­len Kinos am Gesund­brun­nen. Es war mit einer “Fas­sa­de aus Licht” an sich schon eine Sehens­wür­dig­keit, wur­de aber vor eini­gen Jahr­zehn­ten lei­der abge­ris­sen. Die Fas­sa­den der Gar­ten­stadt und der Stra­ßen­raum sind mit gro­ßem Geschick gestal­tet wor­den, wobei auch der monu­men­ta­le Bau des Gesund­brun­nen-Cen­ters eine star­ke Sicht­be­zie­hung zu dem Ensem­ble hat.

Ganz großer Bahnhof

- es ist keine Bildbeschreibung verfügbar -

Das Shop­ping-Cen­ter ist 1997 von den Archi­tek­ten Hering und Sta­rek im Stil eines Oze­an­damp­fers errich­tet wor­den. Es domi­niert auch den Vor­platz des Bahn­hofs Gesund­brun­nen, der 2006 wie­der für den Fern- und Regio­nal­ver­kehr eröff­net wur­de. Aller­dings hat­te man anfangs das Bahn­hofs­ge­bäu­de “ver­ges­sen”. Seit 2014 steht ein Zugangs­bau­werk auf der Plat­te, das Deutsch­lands ein­zi­gen ICE-Bahn­hof ohne Emp­fangs­ge­bäu­de halb­wegs ange­mes­sen ergänzt. Immer­hin konn­te ver­hin­dert wer­den, dass das his­to­ri­sche U‑Bahn-Zugangs­bau­werk an der Brunnenstr./Ecke Behm­stra­ße abge­ris­sen wur­de. Der U‑Bahnhof wur­de 1928–30 von U‑Bahn-Haus­ar­chi­tekt Alfred Gren­an­der als End­sta­ti­on der Gesund­brun­nen-Neu­kölln-Linie (heu­te U 8) errich­tet. Er liegt wegen der zu unter­que­ren­den, selbst schon im Ein­schnitt lie­gen­den, S- und Fern­bahn­glei­se für Ber­li­ner Ver­hält­nis­se sehr tief. Daher wur­de hier auch die ers­te, sehr lan­ge Roll­trep­pe im Ber­li­ner Nah­ver­kehr eingebaut.

Blüten im Rosengarten

Wir über­que­ren die Glei­se auf der Brun­nen­stra­ßen­brü­cke. Rechts von uns liegt der Volks­park Hum­boldt­hain (ange­legt 1870), der schon wegen des Rosen­gar­tens einen eige­nen Besuch wert ist. Nach schwe­ren Kriegs­zer­stö­run­gen wur­de der Park rund um zwei Trüm­mer­ber­ge ange­legt. Der nörd­li­che Berg wur­de auf der 1948 gespreng­ten Rui­ne eines Flak­turms aus dem Zwei­ten Welt­krieg ange­schüt­tet und ist heu­te mit 85 Metern Höhe der höchs­te Punkt in Wed­ding und Gesund­brun­nen. Oben befin­det sich eine Aus­sichts­platt­form, die einen her­vor­ra­gen­den Rund­um­blick erlaubt. Die Bun­ker­an­la­gen kön­nen im Rah­men der Ver­an­stal­tun­gen des Ver­eins Ber­li­ner Unter­wel­ten besich­tigt wer­den. Im Park befin­det sich neben einem Frei­bad, dem Rosen­gar­ten und einer Rodel­bahn auch die Him­mel­fahrts­kir­che, ein Neu­bau des im Krieg an ande­rer Stel­le zer­stör­ten Kirchenbaus.

 

Wenig alte Bausubstanz

Geht man die Brun­nen­stra­ße wei­ter und über­quert dann die Gus­tav-Mey­er-Allee, fin­det man auf der rech­ten Stra­ßen­sei­te nach eini­gen Metern das “Beam­ten­tor” der AEG, das im Jahr 1897 von Archi­tekt Franz Schwech­ten errich­tet wur­de. Die ver­wen­de­te Bild­spra­che der Orna­men­te hat die Elek­tro­tech­nik zum The­ma. Um das Tor her­um sind Ende der 1990er Jah­re von Archi­tekt Josef Klei­hues Büro­ge­bäu­de errich­tet wor­den. Im gan­zen dahin­ter lie­gen­den Stra­ßen­block befin­det sich die Anla­ge des AEG-Werks (Tei­le wur­den 1909 von Archi­tekt Peter Beh­rens errich­tet). Heu­te wer­den die Fabrik­ge­bäu­de von uni­ver­si­tä­ren Ein­rich­tun­gen sowie dem Fern­seh­sen­der Deut­sche Wel­le TV genutzt.

Wir keh­ren zurück zur Brun­nen­stra­ße Ecke Gus­tav-Mey­er-Allee bzw. Rüge­ner Stra­ße. Wir bie­gen in die Rüge­ner Stra­ße ein und gehen die­se bis zur Swi­ne­mün­der Stra­ße. Die­ses Gebiet, das heu­te nach der Brun­nen­stra­ße Brun­nen­vier­tel genannt wird, war in den 1970er Jah­ren das größ­te Sanie­rungs­ge­biet Euro­pas. Obwohl die Bau­stub­stanz der völ­li­gen Zer­stö­rung im Bom­ben­krieg ent­gan­gen war, hat man hier Kahl­schlag­sa­nie­rung betrie­ben und bis auf weni­ge Häu­ser­zei­len und eini­ge Schu­len alle Vor­kriegs­ge­bäu­de abge­ris­sen. Da das Gebiet ab 1961 auf drei Sei­ten von der Mau­er umge­ben war, wur­de es als Mus­ter­bei­spiel für zeit­ge­mä­ße Stadt­sa­nie­rung aus­ge­wählt. Das einst­mals beleb­te und durch­misch­te Alt­bau­vier­tel wur­de zu einem fast rei­nen Wohn­quar­tier umfunk­tio­niert, in dem mehr­ge­schos­si­ge Hoch­häu­ser bis etwa 1980 ohne Rück­sicht auf die einst inner­städ­ti­sche Lage gebaut wur­den. Am Ende der “Sanie­rung” war aber auch schon ein Umden­ken erkenn­bar, wie die jüngs­ten Gebäu­de des Vier­tels und eine Häu­ser­rei­he mit Alt­bau­ten an der Gleim­stra­ße / Graun­stra­ße beweist.

Jetzt rückt die beein­dru­cken­de Swi­ne­mün­der Brü­cke ins Blick­feld. Sie ist 230 m lang und stammt aus den Jah­ren 1902-05 (Archi­tekt Fried­rich Krau­se). Ihre hohen Bau­kos­ten sorg­ten dafür, dass das Bau­werk schnell sei­nen Spitz­na­men “Mil­lio­nen­brü­cke” weg hat­te. Sie wird ger­ne für his­to­ri­sche Fil­me als “Grenz­über­gang Born­hol­mer Stra­ße” ver­wen­det, wes­we­gen hier ab und zu die Ber­li­ner Mau­er wie­der aus Papp­ma­ché nach­ge­baut wird. Auf die­ser Brü­cke über­que­ren wir die Gleis­an­la­gen des Bahn­hofs Gesund­brun­nen und bie­gen an der nächs­ten Kreu­zung schräg nach links in die Bellermannstraße.

Kiezflair und Kunst

Gruentaler Straße

Hier strei­fen wir wie­der links die Gar­ten­stadt Atlan­tic, bis wir an der Grün­ta­ler Stra­ße ankom­men und in die­se rechts ein­bie­gen. Hier hat man, auf der anfangs erwähn­ten ehe­ma­li­gen Tras­se der Stet­ti­ner Eisen­bahn, eine Pro­me­na­de ange­legt, auf der sich etli­che the­ma­ti­sche Kin­der­spiel­plät­ze wie auf einer Per­len­ket­te anein­an­der­rei­hen. Wo die Oslo­er Stra­ße kreuzt, bie­gen wir aber hin­ter der Kreu­zung nach links in die Oslo­er, schwen­ken dann jedoch in die über­nächs­te Stra­ße (Wrie­ze­ner Stra­ße) rechts ein.

Ampel an der Osloer Straße

Hier nähern wir uns dem Sol­di­ner Kiez, der ein Bei­spiel für eine behut­sa­me­re Sanie­rung eines Alt­bau­vier­tels abgibt – im Unter­schied zum Brun­nen­vier­tel. Ein Blick auf die Vil­la Schott in der Haus­num­mer 10–11 soll­te nicht ver­ges­sen wer­den: die 1881 errich­te­te Fabri­kan­ten­vil­la konn­te in ihrem kla­ren klas­si­zis­ti­schen Stil glück­li­cher­wei­se erhal­ten wer­den. Wir gehen wie­der ein paar Schrit­te zurück und bie­gen in die Bie­sen­ta­ler Stra­ße. Die­se Stra­ße ist in ihrer Geschlos­sen­heit ein beson­ders gutes Bei­spiel der grün­der­zeit­li­chen Archi­tek­tur des Ber­li­ner Nor­dens. Die Häu­ser sind größ­ten­teils in den 1870er Jah­ren errich­tet wor­den und besit­zen über­wie­gend klas­si­zis­ti­sche Fas­sa­den. Typisch sind auch die häu­fig ver­wen­de­ten turm­ar­ti­gen Auf­sät­ze sowie die mit­tig ange­ord­ne­ten Haustüren.

Blick durch den Hof

Wir bie­gen nun rechts in die Prin­zen­al­lee ein, wo wir auf der ande­ren Stra­ßen­sei­te die Häu­ser in der Nr. 57–59 bewun­dern kön­nen. Es han­delt sich bei Haus­num­mer 58 um das Vor­der­haus der sich über meh­re­re Höfe erstre­cken­den Hut­fa­brik Gat­tel. Es lohnt sich, die offen zugäng­li­chen Höfe zu durch­strei­fen. Zurück auf der Prin­zen­al­lee ist die neu­go­ti­sche Ste­pha­nus­kir­che an der Ecke Sol­di­ner Stra­ße nicht zu über­se­hen. Die 1904 errich­te­te evan­ge­li­sche Kir­che domi­niert das Vier­tel mit ihrem 80m hohen Turm. Sie besitzt einen recht unge­wöhn­li­chen kreuz­för­mi­gen Grund­riss und ist innen sehr reich deko­riert. Ins­be­son­de­re der bron­ze­ne Hän­ge­leuch­ter mit sei­nem meh­re­re Meter brei­ten Durch­mes­ser beein­druckt den Besucher.

An jedem letz­ten Frei­tag im Monat ver­wan­delt sich der Sol­di­ner Kiez, der noch vor ein paar Jah­ren von allen Ber­li­ner Wohn­ge­bie­ten die schlech­tes­te Sozi­al­struk­tur hat­te, in eine ein­zi­ge Gale­rie. Im Rah­men der “Kolo­nie Wed­ding” öff­nen die vie­len Künst­ler und Gale­ris­ten ihre Laden­räu­me und Ate­liers – mit einem neu­en Pro­gramm in jedem Monat.

 

Wer jetzt noch ein wenig Zeit hat, soll­te die Prin­zen­al­lee noch ein paar Meter ent­lang­ge­hen. Wo sich der Stra­ßen­na­me nahe der ehe­ma­li­gen Ber­li­ner Stadt­gren­ze in Wollank­stra­ße ändert, ist an der Haus­num­mer 66 der Ein­gang zu dem 17 Hekt­ar gro­ßen Fried­hofs­ge­län­de des St.Elisabeth- bzw. Sophien­kirch­hofs. Das Fried­hof­s­por­tal und das im Schwei­zer­haus­stil errich­te­te Ver­wal­tungs­ge­bäu­de von 1875 sind allein schon eine Beach­tung wert. Wer sich gleich links hält, kann an der Wand vier Erb­be­gräb­nis­stät­ten ent­de­cken. Auch die bei­den klas­si­zis­ti­schen Fried­hofs­ka­pel­len recht­fer­ti­gen einen klei­nen Rund­gang über den Fried­hof. Hier befin­det sich auch das Ehren­grab des UFA-Schau­spie­lers Otto Gebühr, der mit sei­ner Dar­stel­lung des Königs Fried­rich der Gro­ße berühmt wurde.

Joachim Faust

hat 2011 den Blog gegründet. Heute leitet er das Projekt Weddingweiser. Mag die Ortsteile Wedding und Gesundbrunnen gleichermaßen.

1 Comment Leave a Reply

  1. War es schoen in der brun­nen­stras­se zu wohnen?
    Nein, es gab viel brot­sup­pe, unter­ernaehr­te kin­der, woh­nun­gen ohne toi­let­ten Kei­ne badezimmer
    Und hun­ger­loeh­ne fuel die men’s hen die bei aeg arbeiten.
    Man muss das lue­gen been­den und ein bliss hen meh wahr­heit in die geschich­te bringen
    Given dir ein biss­chen mus­hed ‚Joa­chim!
    Grues­se von Peter Siegling

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