Ein Blick auf die bewegte Geschichte des über 100 Jahre alten Bahnhofs Gesundbrunnen – an dem S‑Bahnen, Regionalbahnen, Fernzüge wie der ICE und manchmal auch Nostalgiezüge halten.
Lange Geschichte des Haltepunkts
Es zischt und schnauft und in wenigen Minuten sind alle Passagiere eingedampft. Schschschschschschsch! Als sich der dichte weiße Qualm über dem Bahnhof Gesundbrunnen langsam verzieht, steht die schwarze Dampflokomotive wie ein mächtiger Fels auf dem Gleis, auf dem sonst die schnittigen modernen ICE halten. Berlin macht Dampf und die Dampflok 52 8177, die Else, macht auf ihrem Weg vom Bahnbetriebswerk Schöneweide mal wieder halt am Gesundbrunnen. Zur Freude der Eisenbahnfans schnauft die letzte betriebsfähige Berliner Dampflokomotive in den Sommermonaten regelmäßig am Bahnhof Gesundbrunnen und an unzähligen Fotoapparaten und Videokameras vorbei, mit Zustiegsmöglichkeit für eine nostalgische Eisenbahnfahrt. Es dampft und zischt und riecht nach verbrannter Kohle und der Lokführer lässt bei der Abfahrt die Dampfpfeife ertönen – ein schöner, fremder Klang.
Heutzutage sind die Besuche der schwarzen Else mit den hübschen roten Rädern eher selten und werden auf den digitalen Anzeigetafeln als Sonderfahrt deklariert. In den Anfangstagen des Bahnhofs Gesundbrunnen waren die mit Dampfloks bespannten Züge Alltag. Jetzt fahren am vom Kreuzungsbahnhof an der Badstraße 1–3 ganz andere Züge, ist der Bahnhof Gesundbrunnen der wichtigste Umsteigepunkt im Norden Berlins. 100.000 Menschen am Tag wechseln hier vom Fernverkehr zum Nahverkehr, von der S‑Bahn zur U‑Bahn. Auf vier Gleisen verkehren die Nord-Südlinien der S‑Bahn (S1, S2, S25) sowie die Ringbahn (S41/42). Auf sechs Gleisen fahren Züge des Regional- und Fernverkehrs, unter anderem nach Rostock, Stralsund, Stettin, Leipzig, Dresden und Prag. Im Untergrund fährt außerdem die U‑Bahnlinie 8. Der Bahnhof Gesundbrunnen ist heute ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt im Berliner Schienennetz.
1873 fuhr die erste Pferdeeidenbahn
Die Else stammt aus einer anderen Zeit, das fühlt jeder, der bei ihrer effektvollen Ankunft auf dem Bahnsteig steht. Dennoch ist eigentlich nicht sie die historische Attraktion, der Bahnhof Gesundbrunnen hat wesentlich mehr Geschichte hinter sich. Während die Güterzug-Schlepptenderlokomotive erst 1944 als Kriegslok in Babelsberg gebaut wurde, reicht die bewegte Geschichte des Bahnhofs zurück bis zum 1. Januar 1872. Denn als in diesem Jahr die Ringbahn teilweise ihren Betrieb aufnahm, erhielten Wedding und Gesundbrunnen die ersten Personenbahnhöfe der S‑Bahn. Im Juli 1873 fuhr die erste Pferdeeisenbahn vom Gesundbrunnen zum Rosenthaler Tor.
Mit Eröffnung der so genannten Nordbahn nahm die Bedeutung des Bahnhofs Gesundbrunnen zu. Von 1895 bis 1897 wurden die Gleisanlagen der bereits 1842 eröffneten Stettiner Bahn umgebaut, um den Fern- und Vorortverkehr am Bahnhof Gesundbrunnen kreuzungsfrei mit der Ringbahn zu verbinden und den Fahrgästen das Umsteigen zu ermöglichen. Aus dem Staatshaushalt wurden 1895 dafür insgesamt 8,85 Millionen Mark bereitgestellt. Am Bahnhof Gesundbrunnen wurden drei neue Bahnsteige für die Ring‑, Vorort- und Fernbahn sowie ein Empfangsgebäude im neogotischen Stil nach Entwürfen von Armin Wegner errichtet.
Der 228 Meter lange Holzsteg wurde ersetzt
Lange bevor die 52 8177 gebaut wurde, erhielt der Bahnhof Gesundbrunnen ein bis heute charakteristisches Bauwerk. 1902 wurde nämlich der 228 Meter lange Holzsteg ersetzt: Die Swinemünder Brücke, wegen der hohen Baukosten Millionenbrücke genannt, wurde errichtet. 1924 wurde die Strecke vom Stettiner Bahnhof über Gesundbrunnen nach Bernau elektrifiziert, die Elektroloks fuhren fortan unter der Swinemünder Brücke hindurch. Eine weitere Konstante im heutigen Bahnhofsbetrieb kam 1930 hinzu. Die Untergrundbahn Neukölln-Gesundbrunnen, heute U 8, wurde in Betrieb genommen.
Während des Zweiten Weltkrieges nahm der Verkehr auf dem Gleis erheblich zu, weil Autos und Busse für militärische Zwecke beschlagnahmt worden waren. Die Fahrgastzahlen stiegen. Doch der Krieg ging nicht spurlos vorbei. Am 3. Februar 1945 traf eine Fliegerbombe den Bahnhof Gesundbrunnen, im April musste der Verkehr schließlich eingestellt werden. Erst nach und nach fuhren wieder Züge. Jetzt erlebten die Dampflokomotiven eine kleine Renaissance. Unter Dampf ging es über das Berliner Schienennetz, in stets überfüllten Zügen. Später fuhren auch wieder S‑Bahn-Züge mit Elektroloks auf der Ringbahn.
Stillstand zu Mauerzeiten
1952 wurde der Fernverkehr am Gesundbrunnen eingestellt. Mit dem Mauerbau 1961 wurde die Station Endbahnhof des Westrings. Auch die U‑Bahnlinie 8 war durch die innerdeutsche Grenze durchschnitten worden, die Bahnhöfe zwischen Voltastraße und Moritzplatz wurden zu Geisterbahnhöfen, Bahnhöfen ohne Halt. In den Jahren 1964⁄65 wurde ein neues Empfangsgebäude errichtet, welches erst mit dem Umbau im Jahre 1996 wieder verschwand. 1980 wurde der Verkehr auf der Ringbahn nach einem Streik eingestellt. Ein letztes Gleis blieb noch bis 1984 in Betrieb, danach wurde der Bahnhof kurzzeitig komplett stillgelegt. Als wenig später die neue S2 vom Anhalter Bahnhof auch am Gesundbrunnen hielt, war wieder Leben auf den Gleisanlagen an der Badstraße.
Nach dem Fall der Mauer bekam Bahnhof Gesundbrunnen eine neue Bedeutung, sollte als wichtiger Knotenpunkt ins europäische Schienennetz eingebunden werden. In den 1990er Jahren wurde der Bahnhof aufwändig umgebaut. In diesem Zusammenhang war auch eine Umbenennung in Bahnhof Nordkreuz im Gespräch, die jedoch verworfen wurde. Seit September 2001 hält wieder die Ringbahn am Gesundbrunnen, und seit 2002 fährt der Ring auch wieder durch Richtung Wedding. Ab Mai 2006 kamen am Bahnhof Gesundbrunnen auch wieder Regional- und Fernbahnzüge der Deutschen Bahn dazu. Gelegentlich hält neben diesen Zügen die dicke, schwarze Else und wirkt wie ein Gast aus einer anderen Welt.
Ein Dach, kein Dach
Den Gast aus der Eisenbahnvergangenheit störte es nicht, dass der Bahnhof Gesundbrunnen lange kein fertiges Dach hatte. Rechts und links und zwischen den Bahnsteigüberdachungen konnte so ihr imposanter Dampf in den Himmel steigen, den sie unter lautem Ächzen ausschnauft. Für die Fahrgäste, die nicht auf dem Weg zu einer Nostalgiefahrt sind, die vielen Berufspendler und die Touristen war das alltägliche „oben ohne“ nicht ganz so romantisch. Die bereits 1991 im Rahmen des letzten Umbaus geplante Empfangshalle wurde zunächst aus Kostengründen nicht gebaut. Doch mit zehn Jahren Verzug wurde das Empfangsgebäude auf dem Hanne-Sobek-Platz fertig.
Die Dampflokomotive 52 8177 am Bahnhof Gesundbrunnen:
Termine und Karten unter www.berlin-macht-dampf.com
Text: Dominique Hensel, Fotos: Hensel, Wikipedia
[…] hat schon Tradition, die Fahrt mit der Dampflok kurz nach dem Nikolaustag. In diesem Jahr beginnt sie am Sonntag, den 13. Dezember um 9 Uhr am […]