Ob es stimmt, dass die meisten Touristen den Wedding von unten kennen? Etwa 300.000 Besucher sind es jedenfalls, die die Berliner Unterwelten im Jahr zählen. Der Verein hat seinen Sitz in der Behmstraße – viele der begehrten Touren starten am Bahnhof Gesundbrunnen. Über einen ungewöhnlichen Rundgang unter dem Wedding.
Hier ist nicht Tag, nicht Nacht. Das sterile Licht von Neonröhren schafft einen Zustand irgendwo dazwischen. Es gibt nur fahle Mauern aus meterdickem, kalten Beton. Die Zeit ist hier eine zähe Masse, die sich zögernd, Sekunde um Sekunde weiterschiebt – vom Fliegeralarm bis zum Ende des Bombenhagels. Soldaten zogen es, so hört man, vor, in der ersten Reihe im Angesicht des Todes zu kämpfen, als an der Heimatfront in den Bunkern in grauen, zeitlosen Zwischenwelten auszuharren. Doch für die Frauen waren die schützenden Betonsärge während der Angriffe im Zweiten Weltkrieg die Rettung. Mitunter die Einzige. In Berlin gab es einmal 1.000 sogenannte Zivilschutzanlagen. Heute sind noch gut 50 erhalten.
Die Zeit, so scheint es, steht noch immer still im Bunker am Blochplatz im Wedding. Kühles Licht, zahllose kleine und große Räume aus grauem Beton. Es sind kahle Räume, menschenleer. Doch in den Schilderungen des Tourenleiters werden sie wieder lebendig. Sitzen als Feuerwehrmann, Hebamme oder Fahrkartenkontrolleure auf den harten Holzbänken, warten auf die Bomben und darauf, dass sie wieder noch oben dürfen, ans Tageslicht. “Jeder durfte nur mitnehmen, was in einen Koffer passt”, sagt der Stadtführer und zeigt einen der notdürftig zusammengeschnürten Lederbündel auf dem Bunkerfußboden. Der Verein Berliner Unterwelten, der Touristen, Filmproduzenten und Vergangenheitssuchende durch die weit verzweigten Bunkeranlagen am Humboldthain führt, hat die Koffer als Dokumente der Geschichte in seine Obhut genommen.
Ein Raum reiht sich an den nächsten. Grau, langweilig und stumm. Der Tourenleiter ist seine Stimme, sein Gedächtnis. “Hier sehen sie, was von einem Soldaten übrigbleibt”, sagt er und zeigt eine auf eine Vitrine mit löchrigen Schuhen, einem Stahlhelm, Gürtel, einigen Geldstücken, einem Becher, Munition, einer verrottete Maschinenpistole. Einige Räume weiter stehen noch Doppelstockbetten aus Metall ohne Matratzen und medizinisches Gerät. Hier, im Wehenraum, haben, abgeschottet vom Krieg, unschuldige Babys das Licht der Welt erblickt.
Doch der Bunker offenbart mehr. Großflächige Fotografien und Relikte aus Stahl zeugen von anderen Forschungen des Vereins Berliner Unterwelten. 40 Prozent der Berliner Bauwerke in der Innenstadt befinden sich nämlich, so hat der Verein herausgefunden, unterhalb der Oberfläche. Diese Bauwerke zu erforschen, besonders die vergessenen und ungenutzten, haben sich die Vereinsmitglieder vorgenommen. Alte U‑Bahn-Schächte, die Kanalisation, unterirdische Bahnhöfe, die nie ans Netz gingen, Brauereikeller im Prenzlauer Berg und in Köpenick, die alte Berliner Rohrpost. Mit Taschenlampen steigen die Untergrundforscher hinab in Spionagetunnel aus dem kalten Krieg, erkunden Geisterbahnhöfe, sichten Keller und Bunkeranlagen. Alles geschieht in ehrenamtlicher Arbeit.
Taschenlampen gehören zur Ausstattung einer jeden Führung im unterirdischen Berlin. Auch bei den Führungen im Bunker in der Blochstraße. Wenn ein neugieriger Tourist fragt, ob die Farbmarkierungen an den Wänden im dunkeln wirklich leuchten, knipst der Tourenleiter das Neonlicht aus. Denn ja, sie leuchten. “Eine halbe Stunde”, so erklärt er, weist der reflektierende Anstrich den Weg durch das Labyrinth unter der Stadt …
Berliner Unterwelten
Mehr Informationen unter www.berliner-unterwelten.de.
Text und Fotos: Dominique Hensel
[…] Rundumblick erlaubt. Die Bunkeranlagen können im Rahmen der Veranstaltungen des Vereins Berliner Unterwelten besichtigt werden. Im Park befindet sich neben einem Freibad, dem Rosengarten und einer Rodelbahn […]
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