Manchmal muss man zwei Mal hinschauen, um das Besondere in einem Weddinger Viertel zu entdecken. Ein Dokumentarfilmer lässt Menschen im Afrikanischen Viertel einfach ihre Geschichte erzählen – und legt damit auch die Geschichte des ganzen Kiezes frei. Jahrelang wohnte Martin Helmbrecht in der Lüderitzstraße. “Hier wohnen eigentlich ganz normale Leute, das schätze ich sehr”, sagt der 46-jährige Filmemacher. Dieser Teil Berlins ist um Längen ursprünglicher als der Kiez in Berlin-Mitte, in dem Martin Helmbrecht vorher gewohnt hat. “Doch schon einige Zeit nach meinem Einzug merkte ich: hier bewegt sich was!” Das unscheinbare Viertel rund um die Afrikanische und die Kameruner Straße verbirgt hinter seinen unauffälligen Fassaden jede Menge Themen, die es nur aufzuspüren gilt.
“Als mir im Jahr 2013 ein großer Auftrag für einen Film wegbrach, beschloss ich: ich porträtiere Menschen in meinem Kiez”, erzählt Helmbrecht – und das in seiner Freizeit, ohne dafür Geld zu bekommen. Der im Rheinland aufgewachsene Dokumentarfilmer musste nicht lange suchen, um drei Menschen zu finden, die stellvertretend für diesen Kiez stehen können. Allen Porträts ist gemeinsam, dass sie vollständig ohne Off-Kommentare auskommen. Die Menschen, für die sich der Dokumentarfilmer interessiert, erzählen ihre Story selbst.
Veränderungen haben viele Gesichter
Kameramann Andy Fiebert zeigt die Protagonisten scheinbar beiläufig in ihrem Umfeld, sie bewegen sich natürlich in ihrer gewohnten Umgebung und keine ihrer Aussagen kommt inszeniert daher. Die Veränderungen im Afrikanischen Viertel, das Thema, das die Filme im Hintergrund miteinander verbindet, bekommen dadurch viele Gesichter und bleiben nicht ein abstraktes Gespenst. Die ersten drei Porträts wurden unter großem Publikumszuspruch im Januar 2014 in der FLOP Bar uraufgeführt – die Bar in der Lüderitzstraße, deren Entstehungsgeschichte einer der Filme dokumentiert.
So klingen die Kiez-Geschichten
“Musik ist eine eigene Sprache”, sagt Bakri im Film, der Barbetreiber und Musiker. Eine Sprache, die alle Menschen auf der Welt verstehen. Musik spielt nämlich eine wichtige Rolle in den Filmporträts: “Dass ich mit George Roedel einen Musiker für die Reihe gewinnen konnte, hat mir von Anfang an Auftrieb gegeben”, erzählt Martin Helmbrecht bei einem Bier in der Flop Bar. Alle am Film Beteiligten haben für ihre Arbeit kein Entgelt bekommen.
Wie fühlen sich Afrikaner in einem Viertel, in dem Straßennamen an Personen erinnern, die in ihrem Kontinent für schwere Verbrechen verantwortlich waren? “Ich lasse die Menschen ihre Geschichte erzählen”, beschreibt Martin Helmbrecht das formale Prinzip der Serie. Ob man für oder gegen die von einigen Aktivisten geforderten Straßenumbenennungen ist – auch die Geschichte der Straßennamen ist etwas, was diese Afrikanische Viertel zu einem besonderen Ort in Berlin macht.
Der vierte Film aus der Reihe porträtiert Iris, ein zehnjähriges Mädchen mit afrikanischen Eltern. Sie wächst in zwei Welten auf – im Wedding, aber auch in der großen afrikanischen Community Berlins. Die Kamera geht mit Iris in die Schule, zu ihrer Tanzgruppe und auch ihre Großmutter lernt man durch den Film kennen.
Wie es ist, ein Fremder zu sein
Nicht nur Neuankömmlinge erzählen ihre Geschichte. Auch die alteingesessenen Kiezbewohner wie Manfred Stöwhase und sein Sohn Rob kommen zu Wort. Nach einigen Jahren in Amerika hat der Weddinger vor fast vierzig Jahren einen Western-Store in der Kameruner Straße eröffnet – sein Sohn betreibt die berlinweit bekannte Institution heute weiter. Manfred Stöwhase, der auszog, um wiederzukommen, hat am eigenen Leib erfahren, wie es ist, ein Fremder zu sein. Vater und Sohn haben den Abstieg der Müllerstraße, die Abwanderung von Mittelschichtbürgern und Fachgeschäften erlebt und freuen sich, dass es heute wieder aufwärts mit dem Wedding geht.
Diese Geschichten erzählt die Reihe “Müller Ecke Afrika” – und die Serie wird mit neuen Porträts fortgesetzt. Der Kiez schüttelt den Mehltau ab und wacht auf. Für den Filmemacher Martin Helmbrecht hat sich auch das eigene Leben im Afrikanischen Viertel verändert. Seit den Dreharbeiten wohnt er nicht mehr einfach nur im Kiez – er hat auch neue Bekannte gefunden. “Plötzlich werde ich auch auf der Straße gegrüßt, kennen mich Leute, die die Filme gesehen haben”, erzählt Helmbrecht stolz.
“Ein vergessener Kiez wacht auf” ist das Motto der Serie Müller Ecke Afrika. Alle Filme enden mit einem Schwenk über die Dächer des Afrikanischen Viertels, wo noch viele Geschichten darauf warten, erzählt zu werden. Die positive Resonanz in der überfüllten FLOP Bar bei der Filmpremiere zeigt: viele Menschen wollen beim Aufwachen mit dabei sein.
Die nächsten Filmvorführungen finden statt am
15. Mai 2015 21.30 Uhr, Freiluftkino Rehberge
Fotos: privat / Andy Fiebert
[…] hatten im März die Gelegenheit, an einem kostenlosen Filmabend die Weddinger Doku-Filmreihe “Müller Ecke Afrika” zu erleben und nicht nur das Filmteam, sondern auch die Redakteure des Blogs kennenzulernen. […]
[…] Müller Ecke Afrika […]
[…] City Kino feiern wir mit euch einen Filmabend mit vier Weddinger Dokumentarfilmen aus der Reihe „Müller Ecke Afrika“. Anschließend freuen wir uns über Gespräche, Diskussionen, Kennenlernen und Netzwerken. […]
[…] Filmprojekt Müller Ecke Afrika […]
Zur Ergänzung:
http://www.berliner-zeitung.de/berlin/kiezportraets-beim-videoblog–crop-the-block—das-raue-berlin—ein-paradies-unter-den-metropolen,10809148,26503974.html
http://www.croptheblock.com/
und hier ein Klassiker:
Und hier die Veränderungen im Wedding:
Da Berlin laut Tagesspiegel, Rolling Stone, Amy und Pink nicht meht die coolste Stadt der Welt ist:
http://www.tagesspiegel.de/berlin/ende-eines-trends-berlin-ist-nicht-mehr-die-coolste-stadt-der-welt/9575586.html
und die Brooklynization auch zunimmt:
http://www.nytimes.com/2014/02/23/fashion/Brooklyn-Bohemians-Berlin-Techno-Scene.html?_r=1
http://www.brooklynvegan.com/archives/2012/09/how_the_brookly.html
Wird sich bald wieder der hier erwähnte Mehltau über die Kieze legen