Der einstmals pulsierende Platz, am südlichen Ende der Müllerstraße, mit seinen vielen hochwertigen Einzelhandelsgeschäften, großen Lichtspieltheatern und der ehrwürdigen Dankeskirche hatte im Laufe der Zeit herbe Schicksalsschläge hinzunehmen. Gerade deswegen steht dieser Ort, mit seinen Bausünden der 1970er Jahren, symbolisch für die Geschichte und die aktuellen Entwicklungen im Wedding.
Zur Zeit der Errichtung der historischen Dankeskirche im Jahre 1883 zeigte sich das Umfeld des Schmuckplatzes der Hobrechtschen Stadtplanung als karge Landschaft mit vereinzelten Bauerngehöften und Ausflugsgaststätten. Die ehrwürdige Kirche mit ihren 1200 Plätzen hatte einen hohen Symbolwert. Sie ist ein Geschenk des Kaisers Wilhelm I., mit dem er sich bei Gott bedanken wollte. Kurze Zeit vorher hatte er ein auf ihn verübtes Attentat überlebt. Der blutdurchtränkte Mantel, dem der Würdenträger sein Leben verdankte, hängt heute als Geschichtsdokument der nun nicht mehr existierenden Dankesgemeinde im Deutschen Historischen Museum.
30 Jahre später erreichte die stürmische Entwicklung Berlins auch den damals aufstrebenden Arbeiterbezirk. Straßenbahnen ratterten von hier aus nach Reinickendorf, Pankow und Kreuzberg. Die große Markthalle in der heutigen Schönwalder Straße versorgte die Menschen mit Lebensmitteln. In dem wenige Meter entfernten Warenhaus „Hertie“ an der Chausseestraße erwarb man hochwertige Produkte. Von der Reichspost in der Schulzendorfer Straße schwärmten drei Mal am Tag die Postboten aus. Des Abends füllten sich die Kinos wie das „Welt Theater“ in der Müllerstraße 7, dem „Rialto“ in der Reinickendorfer Straße 14 oder man vergnügte sich im „Theater des Weddings“ in der Sellerstraße/Ecke Müllerstraße.
Zum Großstadtleben gehörte auch, dass die Schornsteine des „roten Schlosses“ vom Apotheker Schering und der norddeutschen Brauerei an der Panke sowie das nahegelegene Gaswerk Kirche und Platz immer wieder in graue Abgasschwaden tauchten. Presse und Literatur bilden den Weddingplatz in den 1920er und 30er Jahren als Ort von Straßenkämpfen des „Roten Wedding“ ab.
Zerstört im Krieg – und danach noch einmal
Einige Jahre danach trifft der Zweite Weltkrieg den einstigen Arbeiterbezirk hart, so auch die Dankeskirche, die eine 70-prozentige Zerstörung hinnehmen muss. Bald sind sich französische Schutzmacht und engagierte Stadtplaner der Nachkriegsmoderne einig: Der Platz ist einem zeitgemäßen “Gott” zu opfern, nämlich dem Auto und den Verkehrsströmen. Schnell folgte die Beseitigung des Gotteshauses – Pläne zeigen die Neue Dankeskirche nicht mehr mitten auf dem Weddingplatz, sondern auf einem nahegelegenen Industriegelände an der Panke.
Derweil müssen Brüder und Schwestern der Dankesgemeinde in einer Notkirche auf einem benachbarten Friedhof ihrem Glauben nachgehen. Auf den Neubau, den die Gemeinde später durchsetzt, muss sie noch einige Jahre warten. Der Umgestaltung des Weddings zu einer „verkehrsgerechten Stadt“ wurde Vorrang vor einem Kirchenneubau eingeräumt. Nach Abschluss der Bauarbeiten 1972 (Architekt: Fritz Bornemann) zeigt sich auf dem Weddingplatz allerdings keine Großstadtkirche, sondern ein Kirchlein mit bescheidenen 300 Sitzplätzen, das die Höhe der umliegenden Häuser nun nicht mehr überragt. Ein großer Teil des ehemaligen Kirchengeländes ist weniger auf Zukunft und Zuwachs ausgerichtet. Dort entsteht eine schlichte Seniorenfreizeitstätte.
In diese Zeit fällt auch das Ausradieren ganzer Blöcke und das Errichten von zeittypischer “Schuhkartonarchitektur”, mit der die Stadtplaner gleichsam versuchen, die sozialen Probleme in den Kiezen zu beseitigen. Manch ein Weddinger findet sich nun, mehr oder weniger freiwillig umgesiedelt, im Märkischen Viertel wieder. Weitere Häuser wurden entmietet, um Platz für das ortsansässige Chemieunternehmen zu schaffen. Anstelle des „Welt Theaters“ steht heute ein Parkhaus und am Standort des „Theaters des Weddings“ ein Verwaltungsgebäude. Der 14-stöckige Schering-Firmensitz aus den 1970er Jahren, der mit einer Goldplakette des Bundeswettbewerbs „Industrie im Städtebau“ ausgezeichnet wurde, degradiert das Gotteshaus auf dem Weddingplatz zu einer Zufahrt der firmeneigenen Tiefgarage.
Seit Jahren wird hier über die Umstrukturierung des Chemiestandortes nachgedacht. Pläne und bunte Schaumstoffmodelle weisen den Abriss des geschossigen Verwaltungsgebäudes aus. Der Weddingplatz ist demnach mit einem Gebäuderiegel verstellt. Das Gemeindezentrum scheint nicht mehr vorhanden zu sein.
Sogar die Kirche zieht sich zurück
Auf diese visionären Vorstellungen trifft heute die etwas nüchterne Realität. Wer den Platz umrundet, sieht sich in einem Meer von Verpackungen der umliegenden Schnellrestaurants. Seit der Demontage der Lichtinstallation, die das Gotteshaus des Nachts würdig erstrahlen ließ, fühlt sich nun der künstlerisch ambitionierte Nachwuchs des Wedding zu Farbexperimenten motiviert. Der Dankeskirchengemeinde stand nicht nur ein Verjüngungsversuch zu einer Jugendkirche, sondern auch die Fusion mit der Nazarethgemeinde ins Haus. Heute findet der Gottesdienst nach dem Motto „Platz ist in der kleinsten Hütte!“ in einem Mehrzweckraum des Gemeindezentrums statt. Es ist zu befürchten, dass sich die Gemeinde aus Kostengründen ganz aus der Dankeskirche zurückziehen wird. Auch das nun insolvente Unternehmen Auto-Tip verlässt den Platz, so dass große Gewerbeflächen auch in den Höfen leer stehen.
Eine Zukunft für den Weddingplatz?
Was bleibt, ist eine Ansammlung städtebaulicher Visionen, die in ihrer Zusammenstellung Rätsel aufgibt, aber symptomatisch für die Architektur und Stadtplanung auch im heutigen Wedding ist. Muss der Weddingplatz so bleiben, wie er ist? Oder kann dieses “Tor zum Wedding”, in einem durch den Neubau des BND in der nahen Chausseestraße erneut in die öffentliche Aufmerksamkeit rückenden Teil Berlins, mit einer schöneren Zukunft rechnen?
Vielleicht wird es ja erst mal nur teurer. Im ehemaligen “Auto-Tip”, einem insolvent gegangenen Anbieter für Autoteile, der sich über mehrere Fabriketagen erstreckte, werden jetzt großzügige Loftwohnungen gebaut, wie die Berliner Woche im August 2016 meldete.
Autor: Eberhard Elfert
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[…] Anders als manche westdeutsche Stadt traf es den Wedding weitaus schlimmer. Hier wurden in der Aufbaueuphorie die gewachsenen Strukturen eines ganzen Bezirkes zerstört. Das Leben des Wedding spielt sich bis zum Zweiten Weltkrieg zwischen Weddingplatz, Nettelbeckplatz und Gesundbrunnen ab. In einem Kraftakt wurde in den 1950er Jahren das Zentrum von dieser Achse in die Müllerstraße verlegt. Der Leopoldplatz mit der Kalten-Kriegs-U-Bahn der U9 und dem Karstadt-Kaufhaus (vorher an der Turmstraße) zu „dem“ zentralen Ort im einstigen Arbeiterbezirk umfunktioniert. Einher ging dies insbesondere mit der Abwertung der südlichen, an der Sektorengrenze gelegenen Teile des Weddings und der Zerstörung des Weddingplatzes. […]