Wenn man nach einem langen und bewegten Leben zurückschaut, auf was wäre man dann wohl am meisten stolz? Für Burkhart Veigel ist die Antwort klar: Er ist stolz darauf, unmittelbar nach dem Bau der Berliner Mauer als professioneller Fluchthelfer vielen Menschen den Weg in den Westen, in die Freiheit ermöglicht zu haben. Von seinen Fluchtwegen durch die Mauer berichtet er nun in der neuen Vortragsreihe „Zeitzeugen im Gespräch“ des Berliner Unterwelten e.V., am Donnerstag (2.11.) fand der zweite Vortrag statt.
Burkhart Veigel war 23 Jahre alt, als die Mauer gebaut wurde. Den Wehrdienst hatte er schon hinter sich, als er zum Medizinstudium nach Westberlin kam. Doch die Ereignisse motivierten ihn nicht zum Studium. „Wir haben Tag und Nacht gearbeitet, für mich gab es nur noch die Fluchthilfe. Wir wussten, das ist eine endliche Sache. Wir haben versucht, so viele wie möglich zu holen“, erzählte der Zeitzeuge dem Publikum in den Seminarräumen des Berliner Unterwelten e.V. in der Brunnenstraße, die vom Wedding aus gesehen unmittelbar hinter der Mauer liegen. Was seine Motivation war, wollten die Zuhörenden wissen. Seine Antwort war sehr unmissverständlich: „Für mich war die DDR ein solches Ungeheuer, ich konnte einfach nicht anders. Für mich war die Freiheit einfach so wichtig, vor allem das freie Denken.“
Das Leben als Fluchthelfer, so war im Vortrag zu erfahren, machte Burkhart Veigel vorsichtig und vor allem kreativ. Immer wieder entstanden neue Wege durch die Mauer. Sei es durch die Kanalisation, durch Fluchttunnel, durch Passfälschungen oder durch weitere Tricks. Mit vielen Details beschrieb Veigel beim Vortrag, wie der gefährliche Weg nach Westberlin möglich gemacht wurde. Stolz ist Veigel dabei natürlich auf den Trick mit dem umgebauten Cadillac. Staunend schauten die Zuhörer:innen die Fotos an, auf denen eine Person unter dem Armaturenbrett versteckt in die Freiheit kam. 250 Menschen konnten mit Hilfe der umgebauten Autos die DDR verlassen, ehe der Trick verraten wurde. „Eine von den Touren, auf die ich heute noch stolz bin, ist die Doppelgängertour. Vor allem, weil sie nie aufgeflogen ist“, sagt Veigel. Der Fluchthelfer hatte sich dabei einen komplizierten Trick mit einer doppelten Grenzüberschreitung und einem Passwechsel direkt an der Grenze ausgedacht, den die Behörden nie verstanden haben und so nicht unterbinden konnten. „In einem halben Jahr sind mit dem Trick vor allem mit Hilfe von Studenten etwa 200 Menschen in die Freiheit gekommen“, erzählte Veigel. Insgesamt hat Burkhart Veigel zwischen 1961 und 1970 etwa 800 Menschen bei der Flucht geholfen.
Eine Anekdote reihte sich bei dem Vortrag an die nächste, Fotos (viele aus der Gegend um die Bernauer Straße) und Zeitungsausschnitte unterstützten das Gesagte und der Vortragsabend verging so wie im Fluge. Am Ende blieb noch Zeit für Fragen und für eine Unterschrift in den beiden zum Verkauf angebotenen Büchern, die Burkhart Veigel allein beziehungsweise mit seiner Frau geschrieben hat. Schließlich verabschiedete der Zeitzeuge ein beeindrucktes Publikum, das spätestens auf dem Weg nach Hause wusste: Burkhart Veigel kann zu recht stolz sein auf seine Jahre als Fluchthelfer.
Über Burkhart Veigel
Burkhart Veigel wurde 1938 in Thüringen geboren, wuchs in Schwaben auf und ging zum Studium nach Berlin. Er sagt: „Hier bin ich Mensch geworden“. In Westberlin studierte er Medizin, Jura und Philosophie. Er wurde Facharzt für Unfallchirurgie und Orthopädie. Von 1961 bis 1970 war er einer der aktivsten und erfolgreichsten Fluchthelfer. Nach 37 Jahren als niedergelassener Orthopäde und Unfallchirurg in Stuttgart kehrte Veigel 2007 nach Berlin zurück, um über das Thema Flucht und Fluchthilfe zu recherchieren und zu schreiben. Daraus sind zwei Bücher entstanden: „Wege durch die Mauer – Fluchthilfe und Stasi zwischen Ost und West“ und „FREI“, ein Roman über eine Ost-West-Liebe, den er zusammen mit seiner Frau, der Schriftstellerin Roswitha Quadflieg, geschrieben hat. 2012 wurde er mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. Mehr über Burkhart Veigel steht auf der Webseite www.fluchthilfe.de.
Vortragsreihe und Zeitzeugen-Touren
Die Reihe „Zeitzeugen im Gespräch“ mit dem Fluchthelfer Burkhart Veigel hat im Oktober zum ersten Mal stattgefunden. Die nächsten Termine sind am 7. Dezember 2023, 18. Januar 2024, 1. Februar 2024 und 7. März 2024, jeweils um 19 Uhr. Die Veranstaltung findet in der Brunnenstraße 142 statt und dauert ungefährt 1,5 Stunden. Der Eintritt kostet 5 Euro. Tickets sind bei den Berliner Unterwelten 30 Tage im Voraus erhältlich: Tickets Zeitzeugengespräch.
Etwa einmal im Monat hält Burkhart Veigel zudem einen Vortrag im Rahmen der „Tour M mit Zeitzeugen“ des Berliner Unterwelten e.V. – in diesem Jahr gibt es am 2. Dezember eine solche Tour. Weitere Informationen dazu sowie Tickets gibt es im Ticketshop der Berliner Unterwelten.
Zum Weiterlesen
Mehr über die Arbeit des Vereins Berliner Unterwelten steht in verschiedenen Beiträgen auf dem Weddingweiser, die über den Suchbegriff Berliner Unterwelten zu finden sind.
Hallo Frau Hensel, vielen Dank! Tolle Werbung für mich! Danke! Können Sie das auch im Tagesspiegel bringen? Herzlich, Burkhart Veigel
Hallo Herr Veigel, schön, dass Ihnen der Text gefällt. Ich finde, dass ist eine lohnenswerte Veranstaltung, die ich unseren Leserinnen und Lesern gern empfehle. Ob sich der Tagesspiegel für das Thema interessiert? Das kann ich nicht versprechen. Viele Grüße!