Der Weddingweiser existiert seit gut zehn Jahren. Wir haben aber auch schon vorher Texte verfasst, die wir euch in loser Folge vorstellen. Die alten Texte scheinen manchmal aus einer anderen Zeit zu stammen. Diesmal: Die versiegt geglaubte Quelle des Gesundbrunnens sprudelte im Jahr 2008 wieder, wenn auch nur kurz und 40 Meter von der legendären alten Heilquelle entfernt.
Versiegt und fast vergessen (2008)
Betreten auf eigene Gefahr! Jeder Besucher muss erst unterschreiben, dass er für Schäden am eigenen Leib selbst haftet, wenn er sich in den modrigen Keller des Hinterhauses der Badstraße 35 hinabbegibt. Wer die steile Kellertreppe hinuntergestiegen ist, erlebt dafür sein blaues Wunder: die lange versiegt geglaubte Quelle, die dem Gesundbrunnen seinen Namen gab, tritt im Keller zu Tage. „Seit fünf Jahren wohnen wir hier im Haus“, erklärt Thomas Gärtner, ein Theologe, der die neugierigen Besucher in kleinen Gruppen in den Keller führt. „Eines Tages hat uns der Hausmeister gezeigt, wo seit jeher das Wasser abgepumpt werden muss.“ Gemeinsam mit seiner Frau Marlies Mäder werden nun regelmäßig Führungen zur Quelle angeboten. „Die 1701 erstmals entdeckte Heilquelle ist am Ende des 19. Jahrhunderts versiegt, als die Vorderhäuser an der Badstraße erbaut wurden“, erklärt Gärtner. „Hier befanden sich aber auch ein Biergarten mit 30.000 Plätzen, ein Freilufttheater, ein Ballsaal und eine Badeanstalt.“ Diese äußerst intensive Erholungsnutzung des Ortes dürfte ebenfalls zum Versiegen der Quelle beigetragen haben. Von der Öffentlichkeit weitgehend unbeachtet, hat es rund um das Luisenbad aber immer mehrere Quellen gegeben, und die Wohnungsbaugesellschaft GESOBAU als Vermieter des Hauses Badstraße 35 hat sich längst darauf eingestellt, das Wasser im Keller permanent abpumpen zu müssen.
Bei der heutigen Führung ist die Pumpe jedoch ausgefallen, und der Kellerboden ist prompt einige Zentimeter mit Wasser bedeckt. „Die Berliner Wasserbetriebe haben das Trinken dieses Wassers vorerst untersagt“, erklärt Gärtner den ein wenig enttäuschten Besuchern, die sich zum Teil extra Gläser mitgenommen haben – es ist noch nicht klar, ob das Wasser durch die Gewerbebetriebe in der Umgebung kontaminiert sein könnte. Außerdem kann noch niemand sagen, ob sich die Ursprungsquelle um 40 Meter bis zu diesem Haus verlagert hat. Die Besucher sind in jedem Fall begeistert. Eine 73-jährige Pankowerin hat den mühsamen Abstieg nicht bereut, und eine Besucherin ist wegen der Quelle sogar eigens aus Köpenick angereist. Auch der Rundfunk Berlin-Brandenburg berichtet für seine Abendschau über das große Interesse an dieser Quelle, die dem Ortsteil Gesundbrunnen und der Badstraße ihren Namen gegeben hat und für die kurzzeitige Blüte dieses Ortes als Heilbad verantwortlich war.
„Wir haben was losgetreten“, sagt Markus Rothe, Krankenpfleger aus Prenzlauer Berg, der viele der Besucher am 12. Juli mit dem Fahrrad hierhergeführt hat. Er gehört zu den Stadtführern der Aktion „Nächste Ausfahrt Wedding“, einer Anwohnerinitiative aus dem Gleimviertel in Prenzlauer Berg. Bereits zum vierten Mal wurden interessierte Berliner durch den Gleimtunnel in den für viele noch unbekannten Nachbarbezirk Wedding geführt, und eine der angebotenen Touren führt zur Gesundbrunnenquelle. „Mit diesem Ansturm haben wir nicht gerechnet“, sagt Initiatorin Tanja Kapp, die bei der ersten Veranstaltung im Jahr 2007 auf Anhieb 170 interessierte Besucher begrüßen konnte. „Der Riesenerfolg gibt uns recht“, sagt Kapp – denn immer mehr Menschen wissen: Manchmal muss man nur ein paar hundert Meter reisen, um ein kleines Abenteuer zu erleben. An diesem Tag geschieht dies aber auf eigene Gefahr!
Gegenüber der Mühle, hinter den Häusern an der heutigen Badstraße Nr. 35–39, wurde 1748 erstmals eine Quelle erwähnt, deren Wasser nach einer Untersuchung als heilend galt. Ab 1757 errichtete Hofapotheker Behm mit königlicher Finanzhilfe ausgedehnte Kureinrichtungen, zu Ehren König Friedrich II. namens “Friedrichs-Gesundbrunnen”: ein sechseckiges Badehaus, Behandlungshäuser und eine Gastwirtschaft. Doch der Boom als Heilbad hielt nur wenige Jahre an, das zwischenzeitlich verfallene Kurbad wurde vom neuen Besitzer ab 1809 in Luisenbad umbenannt. 1869 bei Bauarbeiten lädiert, versiegte die Quelle später bei der vollständigen Bebauung des Areals mit Miethäusern.