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Zaungast beim 108. Geburtstag

28. Januar 2016
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Älteste Einwoherin Mitte legt Wert auf Selbständigkeit
Ältes­te Ein­wo­he­rin Mit­te legt Wert auf Selb­stän­dig­keit. Foto: And­rei Schnell

Mit­te Janu­ar fei­er­te Hed­wig Heber­lein, Heim­be­woh­ne­rin des Laza­rus-Haus-Ber­lin im Brun­nen­vier­tel ihren 108. Geburts­tag. Zum Gra­tu­lie­ren kamen Toch­ter, Heim­be­woh­ner, Pfle­ge­per­so­nal – und die Zaun­gäs­te. Repor­ta­ge eines Zaun­gas­tes über einen offi­zi­el­len Besuch einer pri­va­ten Feier.

Der mög­li­cher­wei­se ältes­ten Ber­li­ne­rin soll­te um 15 Uhr gra­tu­liert wer­den. Ich bin schon um 14.30 Uhr vor Ort. Offi­zi­ell wur­de ich von einer Pres­se­mit­tei­lung des Bezirks­amts ein­ge­la­den und vom Laza­rus-Haus-Ber­lin. Ich tref­fe auf eine Mut­ter und ihre Toch­ter, die in einem klei­nen Raum die kom­men­den Din­ge erwar­te­ten. Die Mut­ter gelöst, die Toch­ter leicht auf­ge­regt. Immer­hin hat sich der Bür­ger­meis­ter ange­kün­digt. Das Wort Toch­ter darf nicht in die Irre füh­ren, sie ist bereits selbst 81 Jah­re alt und wird auf­grund ihres Alters in vier Jah­ren selbst  Besuch vom Bür­ger­meis­ter bekom­men. Wenn sie es denn wünscht.

Noch sind bei­de allein – mit sich beschäf­tigt. Und ich bin der Zaun­gast. Ich beob­ach­te eine zufäl­lig aus­ge­wähl­te Fami­lie. Der Zufall hat die Fami­lie Heber­lein aus­ge­sucht, eine Hoch­be­tag­te in ihrer Mit­te zu haben.

Die 108-jäh­ri­ge Frau hört schlecht und  sieht schlecht. Es ist zu ver­mu­ten, dass nicht sie es war, die ent­schie­den hat, dass Repor­ter zu ihrem Geburts­tag kom­men sol­len – Repor­ter von der B.Z., der Ber­li­ner Zei­tung und eben ich. Sie emp­fängt mich sehr freund­lich. Auf eine mit­füh­len­de Art, wie es nur die älte­re Gene­ra­ti­on gelernt hat: “Ach, Sie haben ja so kal­te Hände”.

Eine Heimbewohnerin gratuliert - Foto: Andrei Schnell
Eine Heim­be­woh­ne­rin gra­tu­liert. Foto: And­rei Schnell

Die Jubi­la­rin sitzt still in der Ecke, der Geburts­tag fin­det an ihr vor­bei statt. So wie es in vie­len Fami­li­en schnell der Fall ist, wenn die Alten schlecht hören. Am Tisch fliegt das Fami­li­en­ge­spräch über sie hin­weg. Ein typi­scher Geburts­tag also.

Ande­re Heim­be­woh­ner kom­men gra­tu­lie­ren. Offen­bar ohne Ein­la­dung des Bezirks­am­tes. Sie haben gemerkt, dass etwas beson­de­res auf dem Flur los ist. Die Jubi­la­rin freut sich. Auch lächelt sie, als sie Holz­fi­gu­ren in den Hän­den hält. Eine Pfle­ge­rin hat sie ihr schel­misch gege­ben, “gleich lacht sie”. Wenn das Gehör und das Augen­licht nach­lässt, dann wird der Tast­sinn wich­ti­ger. “Die ken­ne ich”, sagt die 108-jäh­ri­ge und strahlt. Über­haupt lächelt sie meh­re­re Male an die­sem Tag – mit ande­ren Men­schen zusam­men und manch­mal auch für sich. Und immer wie­der begrüßt sie Neu­an­kömm­lin­ge mit ihrer war­men Stim­me: “Sie haben ja so kal­te Hände”.

Weitere Fotos vom Geburtstag im Facebook Fotoalbum - Foto: Andrei Schnell
Ein wei­te­res Foto vom Geburts­tag. Foto: And­rei Schnell

Was ich über sie erfah­re, weiß ich nicht von ihr, son­dern von ihrer Toch­ter. Sie erzählt mir das Leben ihrer Mut­ter. Lebens­sta­tio­nen wie Hei­rat, Auf­ga­be des Berufs, Geburt der Kin­der, Umzü­ge. Das Leben einer Frau, die in Pom­mern gebo­ren wur­de, nach Ber­lin zog, nach 1941 von West­preu­ßen auf einen Guts­hof zu den Tra­keh­nern zog oder wie­der zurück nach Ber­lin kam. Ich schrei­be dies in mei­nem Block mit, wäh­rend die Berufs­fo­to­gra­fen ein Foto stellen.

Ich gehe mit gemisch­ten Gefüh­len. Es ist eine merk­wür­di­ge Art Geburts­tag zu fei­ern, bei der mehr offi­zi­el­le Gäs­te anwe­send sind als pri­va­te. Aber es war ein Tag, an dem Hed­wig Heber­lein viel gelä­chelt hat.

Text und Foto: And­rei Schnell

Andrei Schnell

Meine Feinde besitzen ein Stück der Wahrheit, das mir fehlt.

1 Comment Leave a Reply

  1. […] die Geburts­tags­fei­er der viel­leicht ältes­ten Ber­li­ne­rin berich­tet. Sein Wed­ding­wei­ser-Bei­trag „Zaun­gast beim 108. Geburts­tag“ ist auch des­halb lesens­wert, da er die Ambi­va­lenz sei­ner Ein­drü­cke, auch auf­grund des […]

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