Am ersten Dezember, einem Donnerstag, wird eine öffentliche Veranstaltung zur Zukunft des Karstadt am Leopoldplatz stattfinden: von 17 Uhr bis 21 Uhr im Restaurant. Dabei geht es u.a. um das künftige Baurecht auf dem Grundstück. Das soll in den kommenden Jahren neu entwickelt werden, entscheiden muss aber letztlich die Bezirksverordnetenversammlung Mitte.
Ende Januar 2024 läuft der Mietvertrag der Galeria Karstadt Kaufhof GmbH für das Warenhaus am Leopoldplatz aus. Zwar hat der hundertprozentige Eigentümer der Warenhauskette, die österreichische Signa Holding GmbH, im Jahr 2020 öffentlich ihre Absicht verkündet, das Warenhaus bis zum Jahr 2030 sichern zu wollen. Daran glaubt aber inzwischen kaum noch jemand. Denn die Krise des innerstädtischen Handels hat sich mit der Pandemie weiter verstärkt, der Onlinehandel seine Marktstellung weiter ausgebaut, dazu kommt jetzt auch noch ein drastischer Kaufkraftverlust durch Inflation und im kommenden Jahr wohl eine wirtschaftliche Rezession: Die Rahmenbedingungen für einen längerfristigen Weiterbetrieb des Karstadt am Leopoldplatz könnten kaum schlechter sein.*
Signa ist Dauergast des Senats
Inzwischen hat die Signa Holding mit dem Eigentümer des Grundstücks, der Versicherungskammer Bayern, eine strategische Partnerschaft vereinbart. Eine gemeinsame Gesellschaft soll gegründet werden, um das Grundstück zu entwickeln. Immobilien sind das ursprüngliche Geschäftsfeld der Signa, die vor etwa zehn Jahren begann, bei Karstadt einzusteigen. Diese Beteiligung wurde seitdem systematisch ausgebaut, auch im Online-Handel sowie in Österreich im Mediensektor (u.a. Kronenzeitung) ist Signa inzwischen aktiv. In der Kunst, auf lokale politische Entscheidungsprozesse einzuwirken, ohne die Spielregeln der Demokratie zu verletzen, ist Signa versiert. In Berlin ist die Firma u.a. bei der Entwicklung des Karstadt-Grundstücks am Hermannplatz aktiv und betreibt Projekte am Ostbahnhof, direkt am sowie im Umfeld des Alex und an mehreren Standorten der City West. Eine Initiative “BerlinerInnen gegen SIGNA” hat sich bereits formiert.
In der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen ist Signa Dauergast. Das Unternehmen arbeitet bei seinen Projekten gerne mit Stararchitekten zusammen, etwa mit David Chipperfield und Christian Mäckler aus Berlin oder mit Henning Larsen und dem Büro Cobe aus Kopenhagen. Auch zum Karstadt am Leopoldplatz wird wohl ein eindrucksvoller Reigen international bekannter Architekturbüros aufgefahren. Geplant ist ein zweistufiger Wettbewerb mit fünf ausgewählten Büros, bei dem auch das Baurecht auf dem Grundstück entwickelt werden soll. Am Ku’damm hatte Signa in einem ähnlichen Verfahren anfangs ein Baurecht für Hochhäuser eingefordert und kürzlich immerhin zwei maximal 60 Meter aufragende “Hochpunkte” durchsetzen können.
Einzelhandel im Wertverfall
Auch am Leopoldplatz wird der Immobilienentwickler vermutlich eine maximale Verwertung des Grundstücks anstreben. Im Jahr 2002, als überall in Berlin die Shopping-Center aus dem Boden schossen, verzeichnete das Karstadt-Grundstück auf der Karte mit den Berliner Bodenrichtwerten noch den Spitzenwert von 2.800 Euro pro Quadratmeter. Nur direkt am Alexanderplatz und in der Friedrichstadt fanden sich damals noch geringfügig höhere Grundstückswerte in unserem Bezirk. Gewerbegrundstücke auf dem Bayer-Gelände (damals noch Schering) notierten im Jahr 2002 bei 690 Euro, Wohngrundstücke etwa im Anton- oder im Sprengelkiez bei 490 Euro.
Heute ist in den Wohngebieten ein Richtwert von 2.500 Euro/qm verzeichnet, für das Gelände der Bayer AG oder für das ehemalige AEG-Gelände am Humboldthain sind 7.000 Euro/qm notiert. Der Wert von Wohngrundstücken im Umfeld hat sich also in den letzten zwanzig Jahren verfünffacht, der von Gewerbegrundstücken sogar verzehnfacht. Der Wert des Karstadt-Grundstücks am Leopoldplatz ist dagegen zurückgegangen, er liegt nur noch bei 2.500 Euro /qm.
Bei einem Rundgang mit Bezirksstadtrat Ephraim Gothe im Brunnenviertel vor einigen Wochen hatte ein Immobilienentwickler einer renommierten US-amerikanischen Firma die aktuelle Dynamik des Berliner Marktes auf den Punkt gebracht, indem er einen Abriss des Gesundbrunnencenters in den kommenden Jahren vorhersagte und statt dessen den Neubau einen Bürohauses. Da würde der Bezirk wohl nicht mitspielen. Die Prognose des Profis zeigt aber, wie grundlegend sich die Kräfte auf dem Berliner Immobilienmarkt inzwischen gedreht haben.
Welche Nutzung stärkt das Weddinger Zentrum?
Der Leopoldplatz ist zwar nicht so hervorragend an das Regional- und Fernbahnnetz angeschlossen wie das Gesundbrunnencenter, dafür aber optimal an den lokalen ÖPNV. Zwei U‑Bahn-Linien erreicht man direkt vom Karstadt-Gebäude aus und darüber hinaus laufen am Leo auch noch sechs lokale Buslinien zusammen. Der Standort ist also vor allem für das nähere Umfeld bestens erschlossen, weshalb das Warenhaus dort ja auch viele Jahrzehnte lang sehr gut funktionierte.
Die große Frage ist jetzt, welche alternative Nutzung dieses privilegierten Ortes dem Gemeinwohl zuträglich wären. Welche möglichen Nutzungsvarianten stärken die Zentrumsfunktion des Leopoldplatzes? Im Aushandlungsprozess wird der Investor wohl Zugeständnisse in dieser Richtung machen müssen. An der Turmstraße führte vor einigen Jahren beispielsweise ein schlüssiges Konzept zur erfolgreichen Entwicklung des ehemaligen Hertie-Gebäudes. Das blieb in seiner Substanz erhalten, Einzelhandel findet dort aber nur noch in den unteren Geschossen statt, in den darüberliegenden Geschossen gibt es Dienstleistungsangebote wie Fitness oder Arztpraxen, ganz oben wurden sogar Wohnnutzungen angesiedelt.
Unter den heutigen Bedingungen wird der Investor also vermutlich vor allem Büroflächen anstreben, wobei er versuchen könnte, Online-Handel als modernen Einzelhandel darzustellen. Im gegenüberliegenden “Leopoldcenter” ist eine solche Transformation ja bereits gelungen. Hier sind u.a. in ehemaligen Handelsflächen des ersten Obergeschosses inzwischen die Großraumbüros des digitalen Gebrauchtwagenhändlers “heycar” eingezogen.
Wegen der direkten U‑Bahn-Verbindung in die historische Zentren Ost wie West würden am Leopoldplatz aber vermutlich auch Hotels oder Hostels gute Erträge erzielen. In das Konzept des Lebendigen Zentrums Müllerstraße mit seinem “Band der Bildung” würden dagegen wohl eher Bildungseinrichtungen passen. Wenn wir in Zukunft lebenslang lernen sollen, dann brauchen wir auch private Einrichtungen für berufliche Weiterqualifikation in gut zu erreichenden Lagen – die dazu passenden Jobcenter sind im Umfeld des Leo ja bereits vorhanden. Und in der nahen Hochschule für Technik fänden sich wohl auch die notwendigen Ausbilderinnen und Ausbilder.
Text: Christof Schaffelder
*Inzwischen hat Galerie Karstadt Kaufhof Insolvenz angemeldet
Termin:
Donnerstag, 1.12.2022, 17–21 Uhr: Restaurant der Galeria
Dieser Beitrag erschien zuerst in der Zeitschrift “Ecke Müllerstraße”, Ausgabe Nov./Dez. 2022
Unser vorheriger Beitrag zu dem Thema: Jetzt Wunschzettel für Karstadt schreiben
Öffentliche Infoveranstaltung zu den Karstadtplänen am 9.5.23 um 17 Uhr im Karstadt Restaurant
Quelle:
https://mein.berlin.de/projekte/die-muellerstrasse-25/
Endlich geht es voran! Alles besser als der Karstadt Klotz. Vllt kommt so einen neue Dynamik…
Ick frare mir, watt denn für Bürohäuser? Die brauch doch keener, wo jetzt allet im Homeoffice arbetet. Siehe Scharnweberstr.,da stand ein Bürohaus mindestens 30 Jahre leer. Jetzt sind da Flüchtlinge drin. Watt soll denn dit?
Aba kann man denn ja von de Steuer absetzen. Ohne Karstadt kannste die Müllerstr. ohnehin in die Tonne treten. Ick frare mir, watt ick denn da noch soll. Nee, et muss watt für die Bürger da hin. Bürohäuser.… ick gloob ick spinne.
Leider geht der Beitrag in keiner Weise auf die Diskussions-und Beschlusslage der BVV-Mitte ein, die SIGNA und das Bezirksamt mit der Veranstaltung am 01.12. konterkarieren. Hintergrund ist die Tatsache, dass SIGNA dem Bezirk einen zeitlich dermaßen engen Terminplan für die Umsetzung ihrer Planungen aufgedrückt hat, die eine vernünftige Bürgerbeteiligung unmöglich macht. Und Widerstand vom Bezirksamt ist hier leider nicht ersichtlich
So hat die BVV am 20.10.2022 beschlossen: “Das Bezirksamt wird ersucht, auf Grundlage der „Leitlinien für Beteiligung im Bezirk Mitte“, unter Federführung des Büros für Bürger*innenbeteiligung ein Beteiligungskonzept für die Neuplanung zur Entwicklung des Karstadt-Standortes Müllerstraße erarbeiten zu lassen.
Bei der Konzepterarbeitungen sollen einbezogen werden:
– der Vorhabenträger
– der Sanierungsbeauftragte für das AZ/Sanierungsgebiet Müllerstraße (Jahn, Mack & Partner)
– die Stadtteilvertretung Mensch Müller
– der Beteiligungsbeirat für die Leitlinien der Bürgerbeteiligung in Mitte
– der Betriebsrat von Karstadt.
– der Ausschuss für Stadtentwicklung und Facility Management und/oder Soziale Stadt
der BVV-Mitte. (Alternativ: Je ein/eine Vertreter*in der BVV-Ausschüsse Stadtentwicklung und Facility Management sowie Soziale Stadt) Auf Grundlage dieses Beteiligungskonzeptes sind die darin erarbeiteten
Beteiligungsverfahren durchzuführen. Das Bezirksamt wird weiterhin ersucht, gegenüber dem Karstadt-Vorhabenträger SIGNA darauf hinwirken, an dem Verfahren mitzuwirken und von eigenen Beteiligungsveranstaltungen abzusehen.”
Dieser Beschluss wurde bisher nicht umgesetzt.
Entgegen dieser Beschlusslage zieht SIGNA seinen Stiefel durch, den sie dem Bezirk bereits vor Monaten auf den Gabentisch gestellt hatten. Am 01.12. wird es also eine “Bürgerinformationsveranstaltung” geben und danach werden die Auslobungsunterlagen für den Wettbewerb (Anm.: Die SIGNA vermutlich schon längst fertig geschrieben hat) in Umlauf gebracht. Ob und wie die Bürger*innenmeinungen dabei berücksichtigt werden, steht vollkommen in den Sternen. Eine Bürgerbeteiligung, die ihren Namen auch verdient, sieht anders aus.
In der übermorgigen BVV steht übrigends ein weiterer Antrag der Fraktion Die Linke auf der Tagesordnung, der mehr Mitsprache für die Stadtteilvertretung Müllerstraße und die BVV Mitte fordert https://www.berlin.de/ba-mitte/politik-und-verwaltung/bezirksverordnetenversammlung/online/vo020.asp?VOLFDNR=11487.
Immobilienwirtschaft frisst urbanes Leben auf. Rettet die Stadt!