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Vor 200 Jahren:
Wie der Wedding die erste Schule bekam

Auch wenn es das Gebäude nicht mehr gibt, erinnert doch noch ein Straßenname daran.
19. Oktober 2021
Weddings erste Schule

Erst kam die Schu­le, dann der Name Schul­stra­ße. Am 27. April 1820 geneh­mig­ten die Behör­den die „Schu­le auf dem Wed­ding‟. Am 15. Okto­ber (ande­re Quel­len berich­ten vom 6. Novem­ber) 1821 eröff­ne­te die Schu­le mit einer Klas­se. Damit kann in unse­ren Tagen das Jubi­lä­um 200 Jah­re Schu­le im Wed­ding gefei­ert werden. 

Ver­blüf­fend aus heu­ti­ger Sicht ist, dass es sich um eine Pri­vat­schu­le han­del­te. Schul­grün­der und ‑eigen­tü­mer war ein Herr Wil­helm Fried­rich. In den Akten wird die Schu­le auf dem Wed­ding eini­ge Zeit als Fried­rich­sche geführt. Bis 1855 lehr­te er dort. Gut zu wis­sen ist in die­sem Zusam­men­hang, dass Ber­lin 1837 stolz ver­kün­det, von nun an Com­mu­nal-Armen­schu­len zu betrei­ben, so dass die “Unter­stüt­zung von Paro­chi­al­schu­len aus städ­ti­schen Mit­teln nun immer mehr auf­hö­ren wird”. (Gleich­zei­tig ver­merkt die Stadt, dass der heil­sa­me Schul­zwang gegen gewis­sen­lo­se und stumpf­sin­ni­ge Eltern in einer gro­ßen Stadt nicht so ein­fach durch­zu­set­zen ist wie auf dem Lande).

Die Schul­stra­ße erhielt ihren Namen erst um 1827, als der Wed­ding in Par­zel­len auf­ge­teilt wur­de. Die Stra­ße war aber eher ein Feld­weg, der nach Pan­kow führ­te. Sie wur­de erst 1890 teil­wei­se gepflastert.

Ein Bericht aus dem Jahr 1842 nennt die Aus­ma­ße der Schu­le: “44′ lang, 28 12 ’ tief, 1 Eta­ge hoch”. Das Zei­chen ’ steht ver­mut­lich für Fuß. Dann wäre sie rund 14 Meter lang gewe­sen. Das Zie­gel­dach ist “zwei­sei­tig”. 1822 wur­de ein Stall ange­baut und 1827 folg­te eine zwei­te Eta­ge “mit einem Auf­sat­ze zu einer Glo­cke” geformt. 1833 wur­de nach­träg­lich ein Kel­ler hin­zu­ge­fügt. Damit umfass­te das Haus drei Klas­sen und eine Lehrerwohnung. 

Die Schul­kos­ten für die zahl­rei­chen Armen­kin­der über­nahm die Stadt Ber­lin. Und das, obwohl der Wed­ding erst 1861 ein Teil von Ber­lin wur­de. Und ja, Schu­le kos­te­te damals Geld. 1838 bezahl­te Ber­lin für 355 Kin­der das Schul­geld auf der Fried­rich­schen Schu­le. Ob auch selbst­zah­len­de Eltern ihre Kin­der dort ein­schul­ten, ist nicht über­mit­telt. Ein Bericht über die Gemein­de­ver­wal­tung berich­tet, dass 1840 ins­ge­samt 220 Kin­der in der Schu­le auf dem Wed­ding “auf Kos­ten der Stadt” lernten. 

Inter­es­sant ist auch, was arme Kin­der in der ers­ten Klas­se lern­ten: Sechs Stun­den Reli­gi­on und sechs Stun­den Recht­schrei­bung, für Lesen und Schön­schrei­ben gab es noch ein­mal vier Stun­den, Rech­nen vier Stun­den und For­men­leh­re zwei Stun­den. Für Mäd­chen gab es einen eige­nen Stun­den­plan, der eben­falls 32 Wochen­stun­den umfass­te, aber allein für “weib­li­che Hand­ar­bei­ten” acht Stun­den vor­sah. Gespart wur­de bei Recht­schrei­bung, For­men­leh­re und Weltkunde.

In den Gemein­de­ak­ten hat­te die Schu­le nie einen Namen. Für die Schul­stra­ße 1415 wird ein­mal “ein Fili­al der 19. Gemein­de­schu­le” erwähnt, spä­ter wird sie als 141. Gemein­de­schu­le geführt, und auch die Bezeich­nung 65. Gemein­de­schu­le taucht auf.

Um 1900 taucht das Gebäu­de als ver­mie­te­tes Haus auf und bringt so der Stadt Ein­nah­men. Zum Ende 1920er Jah­re dien­te die Schu­le als eine von vie­len Außen­stel­len des Wohl­fahrts­am­tes. Die Natio­nal­so­zia­lis­ten schrei­ben, dass ab 1933 ein erheb­li­cher Rück­gang der Arbeits­lo­sig­keit ein­setz­te, so dass Mit­te der 1930er Jah­re in der Schul­stra­ße kei­ne – wie man heu­te sagen wür­de – Sozi­al­hil­fe mehr aus­ge­zahlt wurde. 

In der NS-Zeit dien­te das Schul­haus von 1936 bis 1945 als Reichs­müt­ter­schu­le. Das Mit­te-Muse­um hat­te 2014 eine Aus­stel­lung zu die­ser Nut­zung. Die Ein­rich­tung dien­te der Ideo­lo­gi­sie­rung jun­ger Frau­en, die neben Säug­lings­pfle­ge auch etwas in “Brauch­tum” ler­nen konn­ten. Gleich­zei­tig dien­te sie auch als Wei­ter­bil­dungs­ein­rich­tung für Lehr­kräf­te ande­rer Reichs­müt­ter­schu­len. Zum Ende des Zwei­ten Welt­krie­ges wur­de das Gebäu­de zer­sört, nach dem Krieg wur­de das Grund­stück pla­niert. Auf der Bra­che sie­del­te sich 2013 das Gar­ten­pro­jekt Him­mel­beet an.

Andrei Schnell

Meine Feinde besitzen ein Stück der Wahrheit, das mir fehlt.

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