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Weshalb “Karstadt” am Leo in rot schimmert

20. Juli 2013
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Kar­stadt kann für sich in Anspruch neh­men, mit der Archi­tek­tur sei­ner Häu­ser immer dem Trend der jewei­li­gen Zeit zu fol­gen. Das gilt auch für das 1978 fer­tig­ge­stell­te Waren­haus am Leo­pold­platz. Ein Ver­gleich mit ande­ren Kar­stadt-Häu­sern aus jener Zeit erzählt uns eini­ges über die jün­ge­re Architekturgeschichte.

Karstadt am LeopoldplatzDie Pla­nun­gen an dem Stand­ort begin­nen schon weni­ge Jah­re nach der Ein­wei­hung des U‑Bahnhofs Leo­pold­platz, 1923. Man war bestrebt, Waren­häu­ser an Ver­kehrs­kno­ten­punk­ten zu errich­ten. So ver­fügt Kar­stadt am Her­mann­platz seit der Ein­wei­hung im Jah­re 1929 als moderns­tes Kauf­haus Euro­pas über einen direk­ten Zugang zu zwei U‑Bahnlinien. Doch um in inner­städ­ti­schen Lagen Waren­häu­ser zu bau­en, müs­sen Grund­stü­cke auf­ge­kauft und Häu­ser abge­ris­sen wer­den. Am Leo­pold­platz ver­hin­der­ten dies in den 1930er Jah­ren Mie­ter, die ihre Woh­nun­gen nicht ver­las­sen woll­ten. Sie (und die Wirt­schafts­kri­se) ver­an­lass­ten den Kon­zern sogar dazu, sei­ne Plä­ne auf­zu­ge­ben. Die Flä­chen der für das Kauf­haus an der Mül­lerstra­ße bereits abge­ris­se­nen Gebäu­de wur­den zwi­schen­zeit­lich als Koh­le- und Holz­hand­lung sowie als Wochen­markt genutzt.
In Moa­bit war der Kon­zern, der die Häu­ser sei­ner Kon­kur­ren­ten auf­kauf­te und zum Teil unter ande­ren Namen betrieb, erfolg­rei­cher. So über­nahm Kar­stadt das Waren­haus Lach­mann & Scholz an der Ecke Turm- und Otto­stra­ße und führ­te es als »Karzentra«-Kaufhaus. Die Fas­sa­de des 1903 gebau­ten Gebäu­des war 1924 durch den Archi­tek­ten Mar­tin Punit­zer moder­ni­siert worden.

Erst die neu ange­leg­ten Ver­kehrs­ver­bin­dun­gen, die infol­ge der Nach­kriegs­tei­lung der Stadt ent­stan­den, mach­ten den Leo­pold­platz für Kar­stadt wie­der inter­es­sant. So ent­stand mit der heu­ti­gen U9 ein von Ost-Ber­lin unab­hän­gi­ges Rück­grat des West-Ber­li­ner Ver­kehrs­net­zes. Die­ser U‑Bahn-Neu­bau ver­band ab 1961 den Leo­pold­platz mit dem neu­en Zen­trum von West-Ber­lin, dem Zoo­lo­gi­schen Gar­ten, und ab 1976 mit dem Rat­haus Ste­glitz. Durch den Stra­ßen­durch­bruch der Luxem­bur­ger Stra­ße ent­stand zudem eine direk­te Anbin­dung des Leo­pold­plat­zes an die neue City-West im Haupt­stra­ßen­netz. Zeit­gleich erfolgt die Umge­stal­tung des Umfel­des der neu­en U‑Bahnhöfe.

Am U‑Bahnhof Turm­stra­ße errich­te­te der Archi­tekt Hans Soll 1960 den Neu­bau des Her­tie-Kauf­hau­ses. Um einen Aus­gleich unter den Kon­kur­ren­ten zu schaf­fen, wur­de Kar­stadt gebe­ten, sei­nen beeng­ten Stand­ort in der Turm­stra­ße auf­zu­ge­ben und am Leo­pold­platz neu zu bauen.
Dazu wur­den Anfang der 70er Jah­re die Häu­ser abge­ris­sen, die den Krieg zum Teil unbe­scha­det über­stan­den hat­ten. Vor­ge­se­hen war zunächst ein Neu­bau als gera­de­zu bru­tal mono­li­thi­scher Block, mit rie­sen­haf­ten dun­kel­brau­nen Beton­ver­blen­dun­gen, abge­flach­ten Kan­ten und nur schma­len Fens­ter­öff­nun­gen an der Ober­kan­te des Bau­wer­kes – nach Vor­bild der 1969 in Ham­bur­ger-Eims­büt­tel gebau­ten Filiale.

Die Pla­nung des Hau­ses am Leo­pold­platz fällt aber in die Zeit der ers­ten Schrit­te des Umden­kens in der Bau­po­li­tik und der Hin­wen­dung zur his­to­ri­schen Stadt: Anders als bei der neun Jah­re vor­her eröff­ne­ten Ham­bur­ger Filia­le wur­de das Haus am Leo­pold­platz 1978 in einer engen Abstim­mung mit dem Denk­mal­schutz errich­tet. Dies zeigt sich deut­lich in der Gestal­tung des Hau­ses. So ist die Fas­sa­de geglie­dert, die Lüf­tun­gen und Auf­zug­tür­me sind mit bron­ze­far­be­nen Metall­plat­ten ver­blen­det. Die Beton­fas­sa­de mit ihrem hel­len Rot­ton ori­en­tiert sich an den Back­stei­nen der Alten Naza­reth­kir­che, die Fens­ter­ge­stal­tung bezieht sich auf die Fens­ter­bän­der des Alten und Neu­en Rat­hau­ses. In die­sem archi­tek­tur­his­to­ri­schen Zusam­men­hang ist der Kar­stadt am Leo­pold­platz einer­seits ein Zeug­nis jener radi­ka­len West-Ber­li­ner Stadt­pla­nung der 1970 Jah­re, die mit ihren neu­en Zen­tren, einer moder­nen Ver­kehrs­füh­rung und den Stra­ßen­durch­brü­chen sich gegen den Ost­teil der Stadt zu behaup­ten ver­sucht. Das Gebäu­de ist aber auch ein Bei­spiel für eine Zeit, in der die moder­ne Archi­tek­tur beginnt, ers­te Kom­pro­mis­se mit der his­to­ri­schen Stadt zu schließen.

Wäre das Haus nur 13 Jah­re spä­ter eröff­net wor­den, so hät­te es ver­mut­lich eine his­to­ri­sche Fas­sa­de, ein Dach mit Gau­ben und einem Türm­chen zu Beto­nung der Eck­si­tua­ti­on – so jeden­falls prä­sen­tiert sich das Kar­stadt-Gebäu­de am Tem­pel­ho­fer Damm, das im Jahr 1991 ein­ge­weiht wur­de. Ob uns das heu­te am Leo­pold­platz bes­ser gefal­len würde?

Autor: Eber­hard Elfert

zuerst erschie­nen in der “Ecke Müllerstraße” 

KARSTADT, Mül­lerstr. 25, Mo-Sa 10–20 Uhr

Gastautor

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2 Comments

  1. Wären die Häu­ser recht­zei­tig besetzt wor­den, stün­den da heu­te noch schö­ne alte Grün­der­zeit­häu­ser, mit Wohnungen!

  2. Hey, das in dem Text erwähn­te Kauf­haus Kar­stadt in der Oster­stra­ße 119 in Ham­burg-Eims­büt­tel wur­de im Som­mer 1978 nach drei­jah­ri­ger Bau­zeit fer­tig­ge­stellt – nicht 1969. Die bei­den Gebäu­de sehen sich wirk­lich sehr ähn­lich. Der Ham­bur­ger Bau ist aber wuch­ti­ger. Er paßt über­haupt nicht in die Umge­bung aus vier­stö­cki­gen grün­der­zeit­li­chen Miets­häu­sern – sti­lis­tisch steht er irgend­wo zwi­schen Bun­ker und Raumschiff.

    Grü­ße aus Hamburg-Eimsbüttel

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