Das Haus gegenüber von meinem wird momentan renoviert. Der Achtgeschosser ist vollständig eingerüstet und umhüllt von einer Art riesigem Vorhang. Immer wieder dröhnen Bohrmaschinen, Gehämmer und das laute Rufen der Bauarbeiter durchs geöffnete Fenster hin zu mir. Wie ich gehört habe, werden die Arbeiten nicht nur außen, sondern auch in den Wohnungen durchgeführt. Für mich ist die Geräuschkulisse halbwegs erträglich, doch die Menschen, die in diesem Haus leben, haben mein Mitgefühl. Sie müsen sich mit Lärm, Staub, Schmutz und einer unschönen Aussicht vor ihren Fenstern herumplagen. Ihr Alltag wird über längere Zeit empfindlich gestört.
Ein schönes Ziel
Ein anderes Mehrfamilienhaus im Viertel ist bereits fertig renoviert. Die Fassade leuchtet in sauberem Weiß und vor einer Weile durfte ich beim Vorbeigehen beobachten, wie nagelneue Badewannen, Heizkörper, WCs und Waschbecken bereit zum Einbau vor den Hauseingängen standen. Daneben ein Container mit haufenweise alten, verrosteten, abgenutzten Gegenstücken.
Ich freue mich für die Leute, die dort wohnen. Sie haben die Renovierung mit all ihren Unannehmlichkeiten überstanden und können sich über das schicke Ergebnis freuen. Vergessen all der Lärm und die Beeinträchtigungen.
Der unvermeidliche Weg
Genau so läuft es meist, wenn man einen Bereich seines Lebens schöner haben will. Dann darf man erst mal das, was da ist, ordentlich durcheinanderwirbeln. Wenn die Tapete unmodern und vergilbt ist, muss man sie halt von der Wand reißen. Um richtig an die Wände heranzukommen, gilt es, die Möbel abzurücken. Um sie abrücken zu können, muss man sie weitestgehend ausräumen. Und so weiter …
Das alles ist anstrengend und macht Unordnung. Renovierung, also Er-Neuerung, geht nicht ohne vorheriges Chaos – was sowohl für unsere äußere Wohnung als auch für unsere Inneres gilt. Aber wenn wir wissen, wie es am Ende aussehen beziehungsweise wie wir uns am Ende fühlen wollen, ertragen wir unbequeme Umstände besser.
Erleichternde Etappen
Wir dürfen uns allerdings die Abriss- und Bauphase so leicht wie möglich machen. Ein bisschen Planung, etwas Struktur können helfen. In der äußeren Wohnung könnte das bedeuten, dass wir nicht in allen Zimmern gleichzeitig arbeiten, sondern Raum für Raum vorgehen. Oder zumindest eine kleine Ecke herrichten, in der wir uns gut aufhalten können. Ähnliches gilt für innere Prozesse. Wir müssen ja nicht sofort alles radikal eneuern. Wenn wir erst mal in einem Lebensbereich die alten Tapeten entfernen, dürfte das genug Staub aufwirbeln. Wollen wir zu viel auf einmal, könnte uns auf dem Weg die Puste ausgehen. Lieber Etappenziele. Jedes Mal, wenn wir eins erreichen und sich der innere oder äußere Raum neu und hell für uns öffnet, bekommen wir sowieso Lust, die Tapete im nächsten Zimmer abzureißen.
Die motivierende Kraft
Wichtig ist, sich von dem Gedanken an eine vorübergehende Baustelle nicht abschrecken zu lassen. Mit Geduld, Zuversicht und Vorfreude lassen sich auch die chaotischsten Umbauphasen ertragen. Wenn wir bewusst an das Neue denken, das nach dem Chaos und aller getaner Arbeit auf uns wartet, bleiben wir in unserer Kraft. Den Menschen im Achtgeschosser von gegenüber wünsche ich genau diese Kraft. Und ich freue mich schon darauf, bald auf eine neue, strahlend weiße Hausfassade zu blicken.
Dies ist die letzte Kolumne in dieser Reihe, die eigentlich nur für ein Jahr eingeplant war und dann doch einige Folgen mehr hervorgebracht hat. Es hat mir viel Freude gemacht, jeden Monat meine Gedanken rund um Wedding und die Achtsamkeit mit Ihnen zu teilen. Vielen Dank für Ihr Interesse und die Kommentare zu den Themen, die Sie besonders angesprochen haben. Alles Gute für Sie – bleiben Sie achtsam!
Danke für diese Reihe, sie könnte von mir aus gern weitergehen.