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Von Dassel: Abgang eines politischen Schwergewichts

9. September 2022
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Mei­nung Der Schluss­punkt kam am Don­ners­tag, den 8. Sep­tem­ber 2022 um 17:45 Uhr. 43 Ja-Stim­men, vier Ent­hal­tun­gen und nie­mand, der nach der SMS-Affä­re (sie­he unten) zu ihm hal­ten woll­te. So lau­tet das Ergeb­nis der Abstim­mung zur Abwahl des Bezirks­bür­ger­meis­ters Ste­phan von Das­sel. Ste­phan von Das­sel ver­lässt die poli­ti­schen Büh­ne. Für die einen ist das der rich­ti­ge Moment, noch ein­mal nach­zu­bu­hen. Für die ande­ren ist es der rich­ti­ge Moment, eine fai­re Bewer­tung sei­ner Amts­zeit zu ver­fas­sen. Letz­te­res soll hier unter­nom­men werden.

Stephan von Dassel
Ste­phan von Das­sel vor der Abwahl. Foto: And­rei Schnell

Letzte Handlung mit Symbolcharakter

Ste­phan von Das­sels letz­te nach außen sicht­ba­re Amts­hand­lung war, für den Bera­tungs­la­den Mach­bar im Brun­nen­vier­tel Geld bereit­zu­stel­len (Beschluss 158 vom 6. Sep­tem­ber). Ein Beschluss, der typisch für Ste­phan von Das­sel ist. Es geht nicht um die Ret­tung der Welt, son­dern um eine klei­ne Sozi­al­ein­rich­tung. Dar­in drückt sich aus: Kon­kret ging ihm vor Grund­satz. Theo­rien waren ihm nicht so wich­tig wie prag­ma­ti­sches Han­deln. Es ist ein typi­scher Das­sel-Beschluss auch des­halb, weil er damit ein Ver­spre­chen ein­löst. Allen alles ver­spre­chen, das war nicht sei­ne Sache. Doch die­se gege­be­ne Zusa­ge woll­te er offen­bar noch hal­ten, obwohl sei­ne Abwahl nicht mehr auf­zu­hal­ten war.

So weit so gut. Aber der Beschluss zuguns­ten der Mach­bar zeigt auch die schwie­ri­gen Sei­ten des nun abge­setz­ten Bür­ger­meis­ters. Es ist nicht ersicht­lich, wie viel Geld die Mach­bar erhal­ten wird. Eine kon­kre­te Zahl fehlt. Für ihn selbst war klar, das wird er 2023 regeln. Irgend­wie. Das Han­deln im Irgend­wie ist ihm zum Ver­häng­nis gewor­den. Denn der Grund für die Abwahl von Ste­phan von Das­sels liegt in sei­ner Macher-Hal­tung. Bei einer Stel­len­be­set­zung hat er Amt und Pri­vat ver­mischt, woll­te eine Kla­ge eines unter­le­ge­nen Bewer­bers auf dem berühm­ten kur­zen Dienst­weg abwen­den, woll­te ein Ergeb­nis um jeden Preis. Irgend­wie. Für die Oppo­si­ti­on war das zu Recht die Gele­gen­heit, den Sturz zu orga­ni­sie­ren. Die FDP betei­lig­te sich sach­lich. Er hat “zu vie­le Stopp­schil­der übersehen”(Bastian Roet), die CDU pro­fes­sio­nell und höf­lich im Ton und gleich­zei­tig drän­gend und alle Schlupf­lö­cher ver­schlie­ßend. Sven Died­rich von den Lin­ken mit tri­um­phie­ren­dem Lächeln.

An den Rand gestellt 

Noch bevor die Abwahl for­mal been­det war, setz­ten sich man­che dar­an, Ste­phan von Das­sel als Rand­fi­gur dar­zu­stel­len. Der eine und ande­re ver­such­te her­bei­zu­re­den, dass es eine Nähe zu gewis­sen Par­tei­en und Posi­tio­nen gäbe. Nach­zu­le­sen in den Kom­men­tar­blö­cken unter Bei­trä­gen des Wed­ding­wei­sers und auch in den redak­tio­nel­len Kom­men­tar­spal­ten des Tages­spie­gels. Dabei war Ste­phan von Das­sel in sei­ner Par­tei immer mit­ten drin. Laut Wiki­pe­dia war er schon mit 17 Jah­ren Par­tei­mit­glied. In den 1990er Jah­ren war er Geschäfts­füh­rer des Kreis­ver­ban­des der Grü­nen. 2009 wur­de er Stadt­rat für Sozia­les. Ste­phan von Das­sel war vor weni­gen Jah­ren die Speer­spit­ze der Grü­nen, als er und Moni­ka Herr­mann 2016 die ers­ten Bezirks­bür­ger­meis­ter waren, die die Grü­nen in Ber­lin stel­len durf­ten. Nun gehört er zum alten Eisen. Nicht ein­mal mehr wür­di­gen­de oder höf­li­che Abschieds­wor­te wol­len man­che einem der her­aus­ra­gends­ten Gestal­ter im Bezirk zugestehen.

Seine Leistung im Amt und in der Politik

Dabei geht ein poli­ti­sches Schwer­ge­wicht. Einer, der nicht wegen Berei­che­rung, Vor­teils­nah­me oder Wäh­ler­täu­schung stürzt. Oder über etwas stol­pert, was übli­cher­wei­se Poli­ti­kern am Stamm­tisch und in Face­book vor­ge­wor­fen wird. Es geht einer, der beteu­ert, immer zuers­te an den Bezirk gedacht zu haben. Und einer, nicht nur an den Bezirk dach­te, son­dern ihn auch gestal­te­te. Als er von 2016 bis 2021 zusam­men mit Sabi­ne Weiß­ler das Spit­zen­per­so­nal der Grü­nen im Bezirks­amt bil­de­te, war auch Außen­ste­hen­den klar, wer von bei­den Din­ge ins Rol­len brach­te. Und wer das eine oder ande­re Mal nicht den Ein­druck ver­wi­schen konn­te, von den Ereig­nis­sen über­rollt zu wer­den. Wer von den bei­den “gut Kuchen backen konn­te”, wie in der Par­tei geätzt wur­de. Und wer sich in den Ver­äs­te­lun­gen der Ver­wal­tungs­re­geln aus­kann­te und – posi­tiv gespro­chen – krea­tiv zu nut­zen wuss­te. Und ja, manch­mal auch den Bogen überspannte. 

Gern wird gestreut, dass er nur des­halb ein zwei­tes Mal Bür­ger­meis­ter wer­den konn­te, weil bei der ent­schei­den­den Kreis­wahl-Ver­an­stal­tung inak­ti­ve Par­tei­mit­glie­der für ihn mobi­li­siert wor­den sei­en, die ihm zu den nöti­gen Stim­men ver­hal­fen. Nicht annä­hernd so oft ist zu hören, dass Ste­phan von Das­sel an die­sem Tag fähig war, eine Rede zu hal­ten, wie man sie von einem Poli­ti­ker bil­li­ger­wei­se erwar­ten darf. Und man wird nicht unhöf­lich, wenn man über die Gegen­re­de sei­nes Her­aus­for­de­rers Tilo Sie­wers sagt, dass sie im Ver­gleich nicht unbe­dingt mit­rei­ßend war. Auf­fal­lend ist auch, dass Ste­phan von Das­sel in der Bezirks­ver­ord­ne­ten­ver­samm­lung zu den weni­gen Poli­ti­kern gehör­te, die so wie man es in der Schu­le lernt, mit einem Stich­punkt­zet­tel zum Red­ner­pult gehen und nicht mit einer fer­tig aus­for­mu­lier­ten Rede.

Mut, umstritten sein

Umstrit­ten war Ste­phan von Das­sel immer. In der Poli­tik und unter den vie­len Akti­ven im Bezirk. Doch allein auf Charme setz­te er nie, wag­te sich gern aus der Deckung ins offe­ne Feld. Ent­rüs­tung lös­te er regel­mä­ßig aus, wenn er The­men anging, um die sich in der Regel Kon­ser­va­ti­ve küm­mern. Müll und Ord­nung zum Bei­spiel. Wäh­rend von eini­gen Ver­ant­wort­li­che hin­ter vor­ge­hal­te­ner Hand oft abschät­zig zu hören ist, dass “Müll die Leu­te ja immer wie­der beschäf­tigt”, setz­te er sich für kos­ten­lo­se Sperr­müll­ta­ge ein. Das Ord­nungs­amt sah er nicht als Begleit­übel sei­nes Amtes. Die Poli­zei sah er als Hil­fe an, wenn es um Dro­gen ging. Vor allem die Räu­mung des Obdach­lo­sen­camps im Tier­gar­ten 2017 ver­zei­hen ihm sei­ne Kri­ti­ker nicht. Untä­tig zuschau­en, das zählt nicht zu Ste­phan von Das­sels Eigen­schaf­ten. Ande­re hät­ten es ver­mocht: das Aus­sit­zen. Und manch­mal han­del­te er erst und infor­mier­te dann. In der Par­tei und in der Ver­wal­tung. So stieß er nicht weni­ge vor den Kopf und war öfter Ein­zel­gän­ger als Par­tei­gän­ger. Wur­de ihm auch das zum Verhängnis?

Gothe führt Amtsgeschäfte stellvertretend, Remlinger könnte nachfolgen

Ste­phan von Das­sel ist geht von der poli­ti­schen Wor­te. Sei­ne Lieb­lings­wor­te – auch ges­tern in sei­ner letz­ten (kur­zen) Rede nutz­te er sie am Pult ein letz­tes Mal – waren: Lösun­gen, kon­struk­tiv, rea­lis­tisch. Er hin­ter­lässt ein “Amt in guter Ver­fas­sung”, wie der stell­ver­tre­ten­de Bür­ger­meis­ter Ephra­im Gothe von der SPD sagt. Ephra­im Gothe wird die Amts­ge­schäf­te nun stell­ver­tre­tend füh­ren bis die Bezirks­po­li­tik eine Nach­fol­ge wählt. Beob­ach­ter gehen davon aus, dass Ste­fa­nie Rem­lin­ger die nächs­te Bür­ger­meis­te­rin wird. 

Hintergrund: Die SMS-Affäre

Die Abwahl bean­tragt haben die Frak­tio­nen von CDU und FDP. Sie hat­ten Abschrif­ten einer SMS-Unter­hal­tung zwi­schen Ste­phan von Das­sel und einem Bewer­ber um einen Spit­zen­pos­ten erhal­ten. Die Lei­tung des wich­ti­gen Steue­rungs­diens­tes soll­te neu besetzt wer­den. In einer SMS schreibt Ste­phan von Das­sel, dass es “eine vom Bezirks­amt initi­ier­te außer­ge­richt­li­che Eini­gung (…) aus haus­halts­recht­li­chen Grün­den nicht geben” kön­ne. Statt­des­sen schlug er am 6. April die­ses Jah­res vor: “Ich könn­te mir aber eine pri­vat­recht­li­che Ver­ein­ba­rung zwi­schen uns vor­stel­len, denn ich will das Ver­fah­ren end­lich abschlie­ßen.” Und wei­ter ist die Rede von einer “pri­vat­recht­li­che Eini­gung zwi­schen uns als Pri­vat­per­so­nen ana­log den skiz­zier­ten Rah­men­be­din­gun­gen”. Die­se pri­va­te Ein­fluss­nah­me auf ein amt­lich geführ­tes Stel­len­be­set­zungs­ver­fah­ren ist der Grund für den Abwahl­an­trag, dem nun 43 der 55 Bezirks­po­li­ti­ker zustimmten.

Vor­ste­he­rin Jeli­sa­we­ta Kamm ver­kün­det das Abstim­mungs­er­geb­nis. Gra­fik aus dem Live­stream des Bezirks. 

Andrei Schnell

Meine Feinde besitzen ein Stück der Wahrheit, das mir fehlt.

7 Comments

  1. Nicht Jede/r, Herr Schnell, der/die Ihre Wahr­heit nicht teilt, ist sogleich Ihr Feind. The points of views are different….

  2. Sehr geehr­ter Herr Schnell,
    ‚Fein­de‘ sind manch­mal ein­fach nur Geg­ner und Betrof­fe­ne Exper­ten Ihrer Situa­ti­on, die die Din­ge eben­falls benen­nen können.
    2016 mach­te ich Hr.v.Dassel auf ein zuneh­men­des Zweck­ent­frem­dungs­ge­sche­hen in unse­rem Wohn­haus in Mit­te mit vom Bezirk geneh­mig­ten Hos­tel­zim­mern, das sich mehr und mehr über den vom BAM geneh­mig­ten Neben­ein­gang mit 20 auf die wei­te­ren Woh­nun­gen aus­ge­wei­tet hat­te, auf­merk­sam; die Opti­on einer Über­prü­fung der Vat­ten­fall-Ver­trä­ge (10 Jah­re rück­wir­kend mög­lich) unter­blieb. Wei­ter pas­sier­te – nichts.
    Anfang 2022 bis Juni beglei­te­te er dann die vom Neu­ei­gen­tü­mer for­cier­te Abrißerlaubnis….
    Herr von Das­sel beschreibt sich selbst als einen „…unge­dul­di­gen Men­schen…“ (s.Ihr Inter­view mit ihm am 21.2.2017) und schreibt am 6.4.2022 in einem ande­ren Zusam­men­hang und einer ihm zum Ver­häng­nis wer­den­den­den SMS „…, … ich will das Ver­fah­ren end­lich abschließen. …“
    Dif­fe­ren­zier­te Auf­fas­sun­gen, wie exis­ten­zi­el­le Not­la­gen, d.h. Verdrängung=Vertreibung auf Kos­ten sozi­al gewach­se­ne­n­er Bestands­mie­te­rIn­nen-Struk­tu­ren zuguns­ten gewinn­ori­en­tier­ter Kli­en­tel braucht jedoch m.M.n. eines ganz beson­ders – Geduld.

  3. Ich las­se auf ihn nichts kom­men. Habe mit ihm im Bezirks­amt gear­bei­tet. Er ist nett, umgäng­lich und wie beschrie­ben, ein Mensch der kur­zen Wege. Ja, er hat nicht dau­ernd irgend­wel­che Arbeits­krei­se gebil­det und alles tot­dis­ku­tiert, son­dern schnell und unbü­ro­kra­tisch man­che Ange­le­gen­hei­ten durch­ge­setzt. Das letz­te Ding war aber auch zu blöd. Das geht natür­lich nicht. Scha­de. Wer weiß, was jetzt für eine strom­li­ni­en­för­mi­ge Nase kommt.

  4. Nach dem Tod der Queen ges­tern wenigs­ten eine erfreu­li­che Nachricht!
    Nur die ihm zuste­hen­de (lei­der recht­mä­ßi­ge) Ver­sor­gung stößt bit­ter auf!
    Bei P. Schle­sin­ger wur­den wenigs­tens Nägel mit Köp­fen gemacht und KEINE Fort­füh­rung des hor­ren­den Gehalts veranlasst!

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