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Von Amsterdam nach Berlin – die Siedlung Schillerpark

1. März 2020
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Nord­öst­lich des Schil­ler­parks lässt sich ein ein­zig­ar­ti­ges Wohn­quar­tier ent­de­cken, das als das ers­te Woh­nungs­bau­pro­jekt nach dem Ers­ten Welt­krieg bezeich­net wird. Licht, Luft und Son­ne, die oft­mals zitier­ten Leit­mo­ti­ve des Neu­en Bau­ens, bil­de­ten die gestal­te­ri­schen Grund­pfei­ler der nach den Plä­nen von Bru­no Taut errich­te­ten Wohn­sied­lung. Taut ist vie­len Ber­li­nern und Archi­tek­tur­lieb­ha­bern für die Huf­ei­sen­sied­lung und Onkel Toms Hüt­te bekannt, wo der Archi­tekt auf Far­be bzw. eine sym­bol­träch­ti­ge For­men­spra­che setz­te. Bei der Sied­lung Schil­ler­park ori­en­tier­te sich Bru­no Taut sowohl an den Leit­mo­ti­ven moder­ner Bau­kunst als auch der Ams­ter­da­mer Schu­le – eine um 1910 ent­stan­de­ne Bewegung. 

An das Arbeiterviertel angepasst

Sied­lung Schillerpark

Bereits vor dem Ers­ten Welt­krieg soll­te in die­sem Gebiet – unmit­tel­bar neben dem 1909 bis 1913 ange­leg­ten Schil­ler­park – eine neue Wohn­sied­lung ent­ste­hen. Die­ses Vor­ha­ben wur­de erneut zu Beginn der 1920er-Jah­re auf­ge­nom­men. Nun jedoch unter neu­en Vor­zei­chen, denn das Kai­ser­reich galt als Ver­gan­gen­heit und die Wei­ma­rer Repu­blik sorg­te für einen neu­en Geist. Infla­ti­on und poli­ti­sche Umbrü­che sorg­ten dafür, dass sozia­le Ansät­ze stär­ker in den Vor­der­grund rück­ten. So soll­te die Sied­lung Schil­ler­park in ers­ter Linie für Arbei­ter und Ange­stell­te sein. Neben attrak­ti­ven Neu­bau­woh­nun­gen waren gemein­schaft­li­che Ein­rich­tun­gen geplant, wie z. B. ein Kin­der­gar­ten. Zwi­schen 1924 und 1930 ent­stan­den in drei Bau­ab­schnit­ten 13 Wohn­blocks mit rund 300 Woh­nun­gen – zwi­schen der Dub­li­ner Stra­ße und der Barfusstraße.

Wind­sor­str.

Seit 1920 gab es den Ver­wal­tungs­be­zirk Ber­lin-Wed­ding. Ab 1923 ver­kehr­te die U‑Bahn zwi­schen See­stra­ße und Hal­le­schen Tor. Der Wed­ding galt als Hoch­burg der Arbei­ter­par­tei­en. In gewis­ser Wei­se pass­te sich Bru­no Taut mit der Sied­lung Schil­ler­park in die­ses Umfeld ein, denn die Back­stein­ge­bäu­de wir­ken weder radi­kal modern noch wie aus einer ande­ren Zeit gefal­len. Auf den ers­ten Blick kom­men die Back­stein­fas­sa­den eher zurück­hal­tend daher. Auch wir­ken die meist 3- bis 4‑geschossigen Gebäu­de nicht erdrü­ckend. Viel­mehr ist alles auf einen ruhi­gen und ordent­li­chen Ein­druck aus­ge­rich­tet. Dazu gehö­ren auch die Vor­gär­ten und Rasen­flä­chen zwi­schen den Häu­ser­zei­len. Aber die Häu­ser sind ein kla­res Bekennt­nis zur Moder­ne, denn mit Flach­dä­chern bzw. leicht geneig­ten Pult­dä­chern, expres­sio­nis­tisch gestal­te­ten Haus­ein­gän­gen sowie einer hori­zon­ta­len Beto­nung der Fas­sa­den spre­chen sie die Spra­che der Avant­gar­de. Im Rah­men des sozia­len Woh­nungs­baus wur­de eine gestal­te­risch auf­wen­di­ge For­men­spra­che umge­setzt und auch die Woh­nungs­grund­ris­se waren für die dama­li­ge Zeit ver­hält­nis­mä­ßig großzügig.

Es ent­stan­den hel­le, funk­ti­ons­taug­li­che Woh­nun­gen für Arbei­ter und Ange­stell­te, denn alle Wohn­ein­hei­ten ver­fü­gen über Bade­zim­mer und Bal­ko­nen bzw. Log­gi­en. Und gemein­schaft­lich zu nut­zen­de Ein­rich­tun­gen, wie die Wasch- und Tro­cken­räu­me auf der obers­ten Eta­ge, spie­geln den sozia­len Geist der Wei­ma­rer Repu­blik wie­der. Gestal­te­risch beson­ders auf­fäl­lig ist das visu­el­le Zusam­men­zie­hen von Fens­ter und anschlie­ßen­den Wand­flä­chen, indem die hori­zon­ta­len Fens­ter­spros­sen an der Fas­sa­de als schma­ler Vor­sprung wei­ter­ge­führt wer­den. In gewis­ser Wei­se spielt der Archi­tekt mit posi­tiv und nega­tiv, denn wäh­rend die Fens­ter je nach Licht eher dun­kel erschei­nen, wur­den die anschlie­ßen­den Fas­sa­den­strei­fen in weiß gestri­chen. Somit ent­steht einer­seits ein Bruch und gleich­zei­tig eine Ver­bin­dung und Auf­lo­cke­rung bzw. Rhyth­mi­sie­rung. Die Bewegt­heit der Fas­sa­den kommt eben­falls durch den Ein­satz von mini­mal her­vor­tre­ten­den Vor­sprün­gen über den Log­gi­en, dyna­misch empor­ra­gen­den Pfei­lern bei den Bal­ko­nen, die im Nichts enden sowie in die Fas­sa­den ein­ge­schnit­te­ne Haus­ein­gän­ge und Trep­pen­häu­ser zustan­de. Die­se fein­füh­li­ge Kom­po­si­ti­on macht den Charme der Sied­lung Schil­ler­park aus. Die für Bru­no Taut typi­sche Far­big­keit fin­det sich heu­te weni­ger im äuße­ren Erschei­nungs­bild wie­der – die Trep­pen­haus­ein­schnit­te hat­ten ehe­mals einen blau-wei­ßen Anstrich, son­dern im Trep­pen­haus mit far­bi­gem Gelän­der und Woh­nungs­tü­ren, wofür der Archi­tekt auf Pri­mär­far­ben setzte.

Anklänge an Amsterdam

Typische Hofseite eines Wohngebäudes der Schillerpark-Siedlung

Sowohl bei den Fas­sa­den als auch im Inne­ren über­wiegt ein sach­li­cher Ein­druck im Stil der Ams­ter­da­mer Schu­le. Um 1909/1910 bekann­te sich Ams­ter­dam zu einem sozia­len und grü­nen Bau­en. Inner­halb die­ser Bau­ver­ord­nung schlos­sen sich jun­ge Archi­tek­ten zusam­men und plan­ten für Ams­ter­dam Brü­cken, Gebäu­de, eine Gar­ten­stadt und Wohn­bau­ten in einer beson­de­ren Klin­ker-Ästhe­tik. Zie­gel­stei­ne wur­den zum zen­tra­len gestal­te­ri­schen Ele­ment bzw. Mar­ken­zei­chen die­ser Stil­rich­tung. In Ber­lin setz­te Bru­no Taut auf expres­sio­nis­ti­sche Details und eine eher kubi­sche Sach­lich­keit, wenn­gleich die Back­stein­fas­sa­den mit Erker, Bal­ko­nen, Log­gi­en und Schmuck­bän­dern belebt wurden.

Im Zwei­ten Welt­krieg wur­den Tei­le der Sied­lung Schil­ler­park zer­stört. Es erfolg­te der Wie­der­auf­bau und in den 1950er Jah­ren eine Erwei­te­rung nach den Plä­nen von Hans Hoff­mann – die “Glas-Hoffmann”-Bauten, errich­tet von 1954–1959. Im Jahr 1991 begann die denk­mal­ge­rech­te Sanie­rung: Es wur­den die Fas­sa­den rekon­stru­iert und die Woh­nun­gen im Erd­ge­schoss erhiel­ten ver­glas­te Bal­ko­ne bzw. Log­gi­en. Seit 2008 gehört die Sied­lung Schil­ler­park zum Welt­kul­tur­er­be der UNESCO und ist eines der wich­tigs­ten Zeug­nis­se der sozia­len Woh­nungs­bau­ar­chi­tek­tur. Damals wie heu­te macht die unmit­tel­ba­re Nähe zum Schil­ler­park den Reiz die­ses Wohn­ensem­bles aus.

Infos zum Weltkulturerbe

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Carsten Schmidt

Zum Autor: Carsten Schmidt (Dr. phil.), promovierte am Friedrich-Meinecke-Institut der FU Berlin. Sein Interessensschwerpunkt für Stadtgeschichte verfolgt einen interdisziplinären Ansatz zwischen Gesellschaft- und Architekturgeschichte. Er ist Autor des Buchs: Manhattan Modern. Im Juni 2023 erschien sein neues Buch Bittersweet - Jüdisches Leben im Roten Wedding, 1871–1933 Zu finden ist er auch auf Twitter.

4 Comments Leave a Reply

  1. Da wills­te heu­te eigent­lich nicht mehr wohnen,ich hab bis 2003 in der Schwyzerstrasse/Winkelriedstrasse gewohnt;das Umfeld und vie­le ande­re Din­ge haben sich gewal­tig zum nega­ti­ven im all­ge­mei­nen entwickelt,leider.

  2. Viel­leicht soll­te man doch dar­auf hin­wei­sen, dass die gesam­te Sied­lung der 1892 Woh­nungs­bau­ge­nos­sen­schaft gehört, also als Spe­ku­la­ti­ons­ob­jekt nicht in Fra­ge kommt. Ich wohn­te eini­ge Jah­re in einer 2‑Zim­mer-Woh­nung an der Bris­tol­stra­ße: an die Hell­hö­rig­keit konn­te ich mich nie gewöh­nen, trotz bes­ter nach­bar­schaft­li­cher Kontakte.

    • Hal­lo Josef, viel­leicht lesen Sie das zufäl­lig: Wis­sen Sie noch, ob das ein Haus aus den 20ern war? Oder ein nach­ge­mach­tes Back­stein­haus aus den 50ern? Hell­hö­rig­keit klingt nicht gut und wir haben genau die­ses Vier­tel im Visier. LG Kerstin

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