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Verwurzelt und bewehrt: Sibylla Dittrich im Sprengelkiez

17. April 2023

Die Senio­ren­ver­tre­tung Mit­te hat der­zeit 18 Mit­glie­der und eini­ge von ihnen sind lang­jäh­rig im Wed­ding behei­ma­tet und hier senio­ren­po­l­iti­isch aktiv. Ich sprach mit Sibyl­la Dittrich, die im Spren­gel­kiez seit ihrer Kind­heit ver­wur­zelt ist. Sie enga­giert sich seit etli­chen Jah­ren sowohl in der SVM als auch vor Ort im Spr­en­gel­haus für die Belan­ge der Älte­ren und das L(i)ebenswerte in der Nachbarschaft.

Auch wenn Senio­ren­ver­tre­tung zunächst tro­cken klingt, ist dies mit viel Enga­ge­ment, Bespre­chun­gen und oft auch mit Wut über Igno­ranz gegen­über den Alten im Stadt­le­ben und in der Gesell­schaft verbunden. 

Die Senio­ren­ver­tre­tun­gen in allen Ber­li­ner Bezir­ken gehen auf das Ber­li­ner Senio­ren­mit­wir­kungs­ge­setz (Berl­SenG) zurück. Dem­nach sol­len min­des­tens 13 Dele­gier­te je Bezirk ein­ge­setzt sein. Zuletzt wur­de Anfang 2022 gewählt.

Die­se gewähl­ten Vertreter*innen sind min­des­tens 60 Jah­re alt, arbei­ten par­tei­po­li­tisch neu­tral, unab­hän­gig und kon­fes­sio­nell unge­bun­den und gemein­sam an den Auf­ga­ben zur Seniorenpolitik.

Sibyl­la Dittrich, eine der 18 Dele­gier­ten der Senio­ren­ver­tre­tung Mitte

Frau Dittrich, auf wel­che Wei­se sind Sie im Wed­ding verwurzelt?

Ich bin hier auf­ge­wach­sen. Ich ging hier zur Grund­schu­le und zum Ran­ke-Gym­na­si­um. Zum Stu­di­um ging ich weg, habe dann aber 40 Jah­re, davon 20 Jah­re in einer Brenn­punkt­schu­le, als Leh­re­rin im Wed­ding gewirkt. Ich unter­rich­te­te Deutsch, Arbeits­leh­re, Bio­lo­gie, aber Ethik war mein Lieb­lings­fach.
Mei­ne Eltern zogen bereits 1956 hier­her und leb­ten bis 2016 im Spren­gel­kiez. Ich pfleg­te mei­ne Eltern und nach deren Tod und nach mei­ner eige­nen Pen­sio­nie­rung zog ich zurück in die elter­li­che Woh­nung. Somit bin ich ein­hei­misch mit viel Orts­kennt­nis und his­to­ri­schen Erleb­nis­sen. Vie­le mei­ner Nach­barn ken­nen mich noch als ihre Lehrerin.

Mei­ne wirk­lich schö­ne Kind­heit, die ich in die­sen Höfen des Spren­gel­kiez und auf den damals noch arm an Auto­ver­kehr und daher für Kin­der­spie­le noch geeig­ne­ten Stra­ßen des Wed­ding erleb­te, habe ich ein­mal im Kiez­bo­te 5/2011 erzählt.

Wie kam es, dass Sie sich in der Senio­ren­ver­tre­tung Mit­te engagierten?

Mei­ne Eltern waren auch bereits recht gut inte­griert. Sie nutz­ten spä­ter im Alter die Ange­bo­te der ehe­ma­li­gen Visa­stel­le, die es am Max­platz gab. Dort wur­den damals die Pas­sier­schei­ne für die­je­ni­gen West­be­woh­ner aus­ge­ge­ben, die besuchs­wei­se nach Ost­ber­lin ein­rei­sen woll­ten. Spä­ter, nach dem Fall der Mau­er, hat man die­ses Gebäu­de als Senio­ren­treff genutzt, Mei­ne Eltern haben dort im Chor gesun­gen, Kaf­fee getrun­ken, mein Vater hat gezau­bert und so vie­les mehr. Als die­ser Treff­punkt auf­ge­löst wur­de, waren mei­ne Eltern um vie­le schö­ne Akti­vi­tä­ten ärmer und wirk­lich sehr traurig.

Ich erleb­te damals, wie berei­chernd es für die alten Men­schen ist, aktiv im Leben zu ste­hen und sich aus­zu­tau­schen. Mit dem Tod mei­ner Eltern bemerk­te ich plötz­lich auch die Stil­le um die alten Nach­barn, es fehl­te der akti­ve Anspruch an die Mit­welt durch die Älte­ren. Es gab weder Räu­me, Orte noch irgend­ei­ne Ver­tre­tung für Senio­ren­in­ter­es­sen. Die Situa­ti­on zeig­te sich nun eher unbe­frie­di­gend, denn ich sel­ber war nun in Pension.

Frau Dittrich, seit wann wir­ken Sie im Rat­haus Tier­gar­ten in der SV Mit­te mit?

In der Stadt­teil­ver­tre­tung mensch.müller, die an der Trift­stra­ße ihr Laden­bü­ro hat, fiel mir ein Fly­er in die Hän­de, in dem für die Wahl zur Senio­ren­ver­tre­tung gewor­ben wur­de. Mir wur­de klar, da ich an etwas Sinn­vol­lem wei­ter­ar­bei­ten woll­te, dass dies mein Enga­ge­ment wer­den wür­de. So kan­di­dier­te ich im Jahr 2017 für die Senio­ren­ver­tre­tung, und ich wur­de gewählt!

Wie steht Ihr Bezug zum Wed­ding mit den SVM-Akti­vi­tä­ten in Zusammenhang?

Mein sozia­ler Anker­punkt für mei­ne Senio­ren­ak­ti­vi­tä­ten ist das Spr­en­gel­haus, das am 4. Sep­tem­ber 2022 sein 20-jäh­ri­ges Jubi­lä­um feierte.

Dort fin­det jeweils don­ners­tags einen Senio­ren-Salon statt, den Sie­men Dall­mann gibt. Der Salon ist recht gut besucht und vielseitig.

Aktu­ell bie­ten wir zum The­ma Älter wer­den im Spren­gel­kiez am Diens­tag 25.4.23 15 Uhr im Spr­en­gel­haus Quer­Ge­bäu­de 2. OG (Fahr­stuhl) an. Zusam­men mit Sie­men Dall­mann vom Spr­en­gel­haus und mit Ger­hard Hege­mann vom SVM wer­de ich die­se Ver­an­stal­tung geben.

Auch unser Run­der Tisch (RT) ist ein wich­ti­ger Teil der Abstim­mung unse­rer Vor­ha­ben vor Ort, dabei sind etli­che Per­so­nen Ü 60 zusam­men mit wei­te­ren Unter-60-Jäh­ri­gen aktiv, um die Ver­an­stal­tun­gen in unse­rem Kiez zu planen.

Frau Dittrich, was sind Ihre Schwer­punk­te bei SV Mit­te?
Durch die star­ke Behei­ma­tung im Spren­gel­kiez ist mein Schwer­punkt auch die Ver­bin­dung zum Spr­en­gel­haus, das eine brei­te Basis für die Nach­bar­schaft und deren Akti­vi­tä­ten ist.

Was stre­ben Sie in SVM an?

Ich habe das all­ge­mei­ne Anlie­gen, den Alten eine Stim­me zu geben und deren Inter­es­sen zu ver­tre­ten. Dabei geht es im das Öffent­lich­ma­chen deren Anlie­gen und das Über­ge­ben der Anlie­gen in die Politik.

Haben Sie vor Ort eine Bera­tungs­stun­de oder eine Seniorengruppe?

Ich gebe regel­mä­ßi­ge Sprech­stun­den, wobei ich jedoch nicht bera­te, son­dern die Anfra­gen und Situa­tio­nen erhö­re und die Rat­su­chen­den an die rich­ti­gen Stel­len weiterleite.

Es gibt viel Alters­ar­mut in den Ber­li­ner Bezir­ken und so auch hier im Bereich Wedding-Zentrum.

Mein Ein­druck ist, dass vie­le Senio­rin­nen in der Grund­si­che­rung, bes­ser als alte Män­ner, noch pas­sa­bel mit der Knapp­heit zurecht­kom­men. Sie sind lebens­prak­tisch ver­an­lagt und erfah­ren und rich­ten sich ein, so dass man hier kei­ne Fla­schen-Samm­le­rin­nen sieht oder ande­re Nöte, die besorg­nis­er­re­gend sind. Der Man­gel ist offen­bar hef­tig vor­han­den. Da hilft die Oster­kir­che sehr, z. B. mit der Lebens­mit­tel­aus­ga­be Laib und See­le und gemein­sa­men Mahl­zei­ten. Die Kul­tur­teil­ha­be ist eher schwie­rig. Da, wo heu­te 1 € Ein­tritt genom­men wird, weil das Spr­en­gel­haus neu­er­dings eine Miet­erhö­hung stem­men muss, erfährt man schnell, dass die­ser Euro schon gedreht und gewen­det wird und bereits von einer Teil­nah­me abschreckt.

Wel­che koope­rie­ren­den Part­ner haben Sie dafür?

In der Senio­ren­ver­tre­tung arbei­ten wir in ver­schie­de­nen Arbeits­grup­pen zu The­men wie Mobi­li­tät, Woh­nen, Heim­bei­rä­te, Alters­ar­mut. Die Ergeb­nis­se von dort brin­gen wir in die Gre­mi­en­ar­beit ein.

Frau Dittrich, gibt es wei­te­re SVM-Vertreter*innen im Wedding?

Eini­ge ande­re Dele­gier­te sind bei uns im Wed­ding behei­ma­tet und aktiv. So Ursel Wen­zel, Her­bert Probst und Ger­hard Hege­mann, mit dem ich im Spr­en­gel­haus gemein­sa­me Ver­an­stal­tun­gen gebe. Wir pfle­gen kei­ne Arbeits­tei­lung in den Kiezen. Die Ergeb­nis­se der AGs und der Stadt­tei­le aller­dings tra­gen wir gemein­sam zusam­men. Wir haben ein Pro­jekt „Senio­ren­ar­beit för­dern“, das Sie­men Dall­mann lei­tet, und das läuft gut.

Was sind bis­he­ri­ge Erfol­ge der SVM-Arbeit?

Wir haben kei­ne per­sön­li­chen Erfol­ge unse­rer Mühen. Wir arbei­ten im Team. Ein wesent­li­cher Erfolg der Senio­ren­ver­tre­ter in der Coro­na­zeit war, die alten Men­schen davor zu schüt­zen, sie von der Öffent­lich­keit aus­zu­schlie­ßen, wie es im Lock­down von vie­len Sei­ten bequem und unbe­dacht gefor­dert wur­de. Es wäre fatal für die psy­chi­sche Gesund­heit der Senior*innen gewe­sen, sie in ihren Woh­nun­gen ein­zu­sper­ren und sie damit, also durch tota­le Iso­la­ti­on, schüt­zen zu wollen.

Haben Sie ein gelun­ge­nes Bei­spiel für ein inter­ge­ne­ra­tio­nel­les Pro­jekt im Kiez?

Kon­kret gab es etwa Mit­te der 2010er Jah­re ein inte­gra­ti­ves Pro­jekt mit aus­län­disch-stäm­mi­gen Schüler*innen, die alte Men­schen aus dem Wed­ding zu ihren Lebens­er­in­ne­run­gen befrag­ten und dies auf­schrie­ben. Die­se „Zet­tel“ haben wir bei einer gro­ßen Akti­on auf dem Leo­pold­platz auf­ge­hängt und den Besu­chern zugäng­lich gemacht. Für die jun­gen Schüler*innen war es ein tol­les Erleb­nis, die­se Sto­ries zu erfah­ren und dies auch selbst auf­zu­schrei­ben. Eine tol­le Leis­tung die­ser Kinder!

Sie als Exper­tin für ihre Wed­din­ger Hei­mat: Wie hat sich der Wed­ding im Hin­blick auf die Lebens­um­welt der Alten verändert?

Heu­te gibt es weni­ger Geschäf­te in Fuß­nä­he, dafür mehr Cafes und Restau­rants. Es gibt weni­ger Aus­län­der und wie­der mehr Fami­li­en. Mein Ein­druck ist, dass die Gemein­de­ar­beit der Oster­kir­che Zulauf fin­det, auch bei den Klei­nen schon.

Frau Dittrich, was wün­schen Sie sich – heu­te selbst Senio­rin – vom All­tag im Wedding?

Was soll erst aus den bis­he­ri­gen Pro­ble­men der Alten wer­den, wenn die star­ke Nach­kriegs­ge­nera­ti­on nach und nach in Ren­te geht?
Was das All­täg­li­che angeht, kann man sagen: Die Nut­zung der Toi­let­ten, sofern bei uns öffent­li­che über­haupt vor­han­den sind, soll­te wie in Bel­gi­en per Gesetz aller­or­ten gestat­tet sein. 

Schön wären auch mehr Bän­ke zum Verweilen!

Mit­te ist der zweit­jüngs­te der 12 Bezir­ke in Ber­lin und mei­ner Auf­fas­sung nach ist das Wich­tigs­te das respekt­vol­le Mit- und Neben­ein­an­der der Gene­ra­tio­nen. Das rück­sichts­vol­le Zusam­men­sein aller Ver­kehrs­teil­neh­mer in den Wohn­ge­bie­ten ist auch vonnöten. 

Die Rad­fah­rer soll­ten end­lich die Stra­ßen statt die Bür­ger­stei­ge nutzen!

Frau Dittrich, vie­len Dank für die­ses Gespräch!

Gespräch, Fotos und Text © Rena­te Straetling

Links

Kiez­bo­te 5/2011 mit einem Bei­trag von Sibyl­la Dittrich über ihre Kind­heit im Wedding

Senio­ren­ver­tre­tung Mit­te (SVM)

https://www.berlin.de/ba-mitte/politik-und-verwaltung/aemter/amt-fuer-soziales/seniorenvertretung/

Leit­li­ni­en der SV

https://www.berlin.de/sen/soziales/besondere-lebenssituationen/seniorinnen-und-senioren/leitlinien-der-seniorenpolitik/

Sprech­stun­den der SVM nach Orten inner­halb Mitte

https://www.berlin.de/ba-mitte/politik-und-verwaltung/aemter/amt-fuer-soziales/seniorenvertretung/artikel.1294323.php

https://www.tagesspiegel.de/berlin/frust-nach-der-wahl-8109811.html

https://xn—60-wka.berlin/index.php

Akti­vi­tä­ten für Ältere

https://www.seniorennetz.berlin/

Begeg­nungs­stät­ten für Älte­re in Mitte

https://www.berlin.de/ba-mitte/politik-und-verwaltung/aemter/amt-fuer-soziales/sozialdienst/artikel.931300.php

Renate Straetling

Jg 1955, aufgewachsen in Hessen; ab 1973 Studium an der FU Berlin, Sozialforschung, Projekte und Publikationen.
Selfpublisherin seit 2011
www.renatestraetling.wordpress.com
Im Wedding seit 2007.
Mein Wedding-Motto:
Unser Wedding: ein großes lebendiges Wimmelbild ernsthafter Menschen!

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