Man kann mit dem Finger auf der Landkarte verreisen. Oder man ist tatsächlich in der Weltgeschichte unterwegs. Da kann einem unvermittelt der Wedding begegnen. Oder umgekehrt, die Welt begegnet einem nicht nur in der bunten Weddinger Bewohnerschaft, sondern auch auf Straßenschildern. Manchmal ist es ganz leicht, die Namensgeber zu besuchen. Und manchmal wäre das ganz schön aufwendig!
Vielleicht ist es kein Zufall, dass in unserem früher als Arbeiterstadtteil bekannten Wedding so viele Straßennamen von Orten sind, die für die meisten seiner Bewohner wohl unerreichbar waren. Eventuell kamen sie selbst aus Brandenburg oder Pommern, nach dessen Städten und Inseln manche Straßennamen benannt waren, wie Liebenwalde, Soldin, Wollin, Stettin oder Wolgast. Aber weiter entfernte Städte wie Amsterdam, Ostende oder London waren außerhalb des Radius, den einfache Menschen früher vom Wedding erreichen konnten, wenn sie nicht zur See fuhren oder in den Krieg zogen.
Heute führen unsere manche Urlaubsreisen an Orte, die uns im Wedding ganz selbstverständlich auf den weißen Straßenschildern begegnen. Vor Jahren war ich einmal in Oslo (Osloer Straße!) und Stockholm (Stockholmer Straße!). Unsere Autorin Dominique wiederum hat eine Kreuzfahrt gemacht, die sie nach Trondheim oder Tromsö (Tromsöer Straße!) führte (Unsere Drontheimer Straße im Wedding wird nach einer alten Rechtschreibung geschrieben). In Brüssel, Antwerpen oder Gent bin ich ebenfalls schon mehrfach gewesen.
Stralsund (l.) und Tromsö (r.) Fotos: D. Hensel
In diesem Jahr begegnete mir der Wedding wiederum in einem Beneluxland, und zwar in Groningen in den Niederlanden (Groninger Straße!). Das liegt nah an der deutschen Grenze, wo wir eine Ferienwohnung gemietet hatten. Groningen ist eine quirlige Stadt, in deren Innenstadt seit 1977 der durchgehende Autoverkehr unterbunden und der Fahrradverkehr stark gefördert wird. Das wollte ich mir einmal anschauen und, nun, ich bin begeistert und wünsche ich mir das Gleiche für den Wedding!
Später ging es dann noch einmal über Travemünde (Travemünder Straße) und Wolgast (Wolgaster Straße) nach Usedom (Usedomer Straße!), und da mich interessierte, wo eigentlich Heidebrink liegt, führte uns der Weg durch den neuen Tunnel unter der Swine in Świnoujście (Swinemünde, Namensgeberin einer Straße und sogar einer Brücke) nach Międzywodzie (Heidebrinker Straße!), einem kleinen Seebad auf der polnischen Halbinsel Wollin (Wolliner Straße!). Vollgestopft mit Attraktionen und Buden ist das ein Badeort ohne Chi-chi, aber wunderschön im Wald und am Meer gelegen. Noch etwas weiter entlang der Küste kommt man nach Kołobrzeg (Kolberger Straße!) und Koszalin (Kösliner Straße!), aber dafür fehlte leider die Zeit. Man hätte vielleicht auch noch einen Schlenker nach Szczecin (Stettiner Straße) machen können. Von da wäre es nur einen Katzensprung nach Mysliborz gewesen, wo unser Autor Andrei Schnell 2014 einmal war. Die heute polnische Stadt hieß bis 1945 einmal Soldin (Soldiner Straße!).
Neben den Namen von den Inseln Wollin und Usedom gibt es auch viele Straßennamen mit Bezug auf Rügen und Umgebung (Jasmunder, Putbusser, Rügener, Stralsunder, Demminer, Zingster Straße). Wem auch das noch zu weit weg ist, wie wäre es denn mit der Schulzendorfer oder Schönwalder Straße? Oder mit der Bernauer, Biesentaler, Wriezener oder Freienwalder Straße? Da bleiben wir namentlich zumindest ganz in der Nähe, in Brandenburg.
Doch das hält den Wedding nicht davon ab, von wirklich weiten Orten zu träumen. Und da kann ich leider nicht mitreden: die Syrische, Indische, Iranische, Afrikanische Straße, der Pekinger Platz und die Kiautschoustraße – ich habe mir von all diesen Orten bisher noch kein Bild machen können. Aber zum Glück gibt es viele Weddinger, die aus diesen Teilen der Welt kommen und sich vielleicht freuen, wenn sie beim Blick auf die Straßenschilder manchmal daran erinnert werden.
Ehemaliges Heidebrink (l.), ehemaliges Soldin (r.; Foto: A.Schnell)
Schöner Artikel. Nur Szczecin schreibt man etwas anders.
Danke, wird berichtigt!
Macht sehr, sehr viel Mühe, ich weiß.: Joachim, du hättest auch eine schöne Landkarte anhand von Landmarks der Orte unserer Straßennamen in unseren Kiezen zeichnen können: je bunter desto besser: unser Fantasiebezirk!