Und es hat Zoom gemacht (von Heiko Werning)
Das zweitägige Jungunternehmer-Seminar in einem Veranstaltungszentrum in der flirrenden Metropole Bargteheide bei Hamburg muss leider ausfallen. Oooooh, so schade! Und zwar, so das Absageschreiben: „Aufgrund der aktuellen Umstände“. „Aufgrund der aktuellen Situation“ ist, neben dem geradezu viralen „Bleiben Sie gesund“, die neue Sprachformel der Corona-Krise. Selbst in Anführungszeichen gesetzt meldet Google mehr als sieben Millionen Suchergebnisse für diese Formulierung.
Aufgrund der aktuellen Situation“ – eine Formulierung, so feingeistig wie ein trockener Husten nach Covid-19-Befall. Das Virus bringt das Land der Dichter und Denker ganz zu sich selbst. Sogar in der Stadt Hannover.
Aufgrund der aktuellen Situation jedenfalls dürfen wir also nicht für drei Tage ins flirrende Bargteheide, ein Ort, der sicherlich auch ganz oben auf der Liste der potenziellen Urlaubsziele für den Sommer 2020 steht – wir erinnern uns: „Deutschland ist groß und hat sehr viele schöne Reiseziele“, Thomas Bareiß, Tourimusbeauftragter der Bundesregierung –, sondern aufgrund der aktuellen Situation dürfen wir das Ergebnis vermutlich des Kursangebotes Grundlagen der Webinargestaltung in der Lehre vom heimischen Schreibtisch aus begutachten.
9 Uhr: „Check-in in der Meeting Area (gerne mit Morgenkaffee)“, verheißt das Programm also frohgemut. Ein Check-in in der Meeting Area. So, so. Wie schön wenigstens, dass ich mir einen Morgenkaffee mit vor den eigenen Computer auf dem eigenen Schreibtisch mitbringen darf, freue ich mich, als ich mich bei Zoom einlinke und hernach auf 35 kleinen Einzelbildchen meine Webinar-Kollegen erblicke, die allesamt Tassen mit vermutlich Morgenkaffee in der Hand halten. Meine Güte, man kann mit den Leuten wirklich alles machen – wenn man denen sagt, sie sollen sich mit einer Tasse Kaffee an den Rechner setzen, dann machen die das halt, denke ich missmutig, meine Hände an meiner eigenen Tasse wärmend. Immerhin gelingt so schon mal ein erstes kleines Psychogramm der Webinar-Teilnehmer.
Gruppe 1: Die drahtigen Erfolgstypen, die natürlich werbewirksam Tassen ihres Jungunternehmens in die Kamera halten und sorgsam darauf achten, dass das Logo auch immer gut zu sehen ist.
Gruppe 2: die Büro-Existenzen mit Büro-Humor-Tassen. Wir sind hier auf der Arbeit und nicht auf der Flucht. Ich bin heute so blöd, ich könnte Amerika regieren. Kaffee erreicht Stellen, da kommt die Motivation gar nicht hin. Statt Konfetti einfach gleich den Locher werfen. Mein Favorit unter diesen bestürzenden Dokumenten der humoristischen Selbstdemontage dann immerhin der offensichtlich postfaktische Aufdruck: Du bist lustig, dich töte ich zuletzt.
Gruppe 3: die Leute, denen alles egal ist. Die Tassen mit Aufdrucken wie „I Love New York“, „Hamburg meine Perle“ oder einer Didlmaus in den Händen halten. Oder mit irgendwelchen Mustern, die von 70er-Jahre-Tapeten kommen könnten. Und denen es nicht peinlich ist, dass 35 unbeteiligte Menschen sie damit sehen können.
Große Güte, denke ich, ich muss zwei Tage lang mit kompletten Idioten vor dem Bildschirm rumhängen. Dann fällt mein Blick auf meine eigene Tasse. „Ei(n)fälle. 16. Kabaretttreffen der Studiosi Cottbus 2011“. Vielleicht sollte man auch einfach nicht so harsch anhand von Äußerlichkeiten über andere urteilen.
Das Webinar verläuft dann mal so, mal so. Eigentlich alles wie im richtigen, analogen Leben. Mit ein paar Vor- und Nachteilen. Einem Vortrag kann man online ebenso gut oder schlecht folgen wie im Seminarraum. Es liegt halt an der Qualität des Vortragenden. Verblüffend gut funktioniert es, kleine Arbeitsgruppen zu bilden, die dann in separate Zoom-Konferenzräume geschickt werden. Ich hätte es vorher nicht geglaubt, aber hier gelingen mitunter sogar intensive, recht persönliche Gespräche. Auch ganz gut funktionieren die neumodischen Stimmungsbilder und Mitmachnummern, die man inzwischen ja auch im analogen Raum ständig erleben muss. Dauernd sollte man in letzter Zeit ja in Veranstaltungen sein Smartphone zücken, um zwischen Möglichkeit eins, zwei oder drei zu wählen, um ein Stimmungsbild des Auditoriums zu erzeugen, und auf der Leinwand im Vortragssaal sollte dann total interaktiv das Ergebnis erscheinen, was aber eigentlich nie wirklich geklappt hat, weil ein Viertel der Leute überhaupt nicht kapiert, was der Vortragende will, weil sie dieses neue Instrument noch nicht kennen, und die entsprechend verwirrt ihre Nachbarn fragen, was sie jetzt eigentlich genau machen sollen, wodurch ein allgemeiner Flüster-Tumult entsteht, der dann dadurch gesteigert wird, dass diejenigen, die das Prinzip zwar kennen und schon eilfertig die Umfrage-Seite aufgerufen hatten, den Code nun aber nicht mitbekommen haben, sodass anschließend aus mindestens fünf Ecken des Saals noch einmal gefragt wird, wie der Code denn noch gleich war, und am Ende sind dann der Vortragende oder der Saaltechniker oder beide mit dem Wechsel von der Powerpoint-Präsentation zum Browser, wo die Ergebnisse angezeigt werden sollen, überfordert, und versehentlich wird dann das noch aktive Word-Dokument mit dem Anschreiben an den Anwalt in der vertraulichen Causa Steuerstrafsache Werner Müller auf die große Leinwand geworfen, was zu peinlich berührtem Gestammel des Vortragenden führt, während die WLAN-Verbindung sowieso zu wacklig ist, um das Umfrage-Ergebnis aus dem Publikum zu zeigen, und dann ist es ja auch egal, und hektisch versucht der Vortragende schließlich, die letzte Powerpoint-Folie wiederzufinden, und längst schon erinnert sich niemand mehr, worum es überhaupt ging in dem Vortrag. Im Online-Vortrag läuft das alles viel organischer, und die Katze des Referenten, die zum zweiten Mal zu ihm auf die Schreibtischplatte springt und in die Webcam schnurrt, ist ja eigentlich auch ganz niedlich.
In den Pausen dagegen kommt die Kommunikation zwischen den Teilnehmern nur schwer in Schwung, nur die ganz Unverdrossenen versuchen tatsächlich so etwas wie Smalltalk, der Rest schaltet sich und die anderen stumm und füllt die „Traue niemandem, der vor 9 Uhr lacht“-Tasse wieder auf. Da fehlt etwas die zwischenmenschliche Komponente. Vorteil: Die jovialen Frauen-die-Hand-auf-Schulter-Fasser müssen ihre Hand in der Pause jetzt über die Maus auf ihrem Schreibtisch streichen lassen.
Am Abend dann ist tatsächlich ein „digitales Get-together“ angesetzt. Eigentlich finde ich ja, dass allein der Begriff Get-together einer der seltenen historischen Ausnahmefälle ist, die Gewaltanwendung erlauben würden, bei einem digitalen Get-together aber wünsche ich umgehend, dass die neue Weltordnung endlich zuschlagen und uns alle unterjochen möge, damit dieser Unsinn endlich aufhört, aber auf Produkte von Bill Gates war ja noch nie Verlass, und es reizt mich andererseits durchaus etwas, wie der gemeinsam Bar-Abend nun also in die Zoom-Konferenz übersetzt wird. 35 Leute, die mit der Bierflasche vor dem Bildschirm hocken, sind ein ziemlich verstörender Gedanke, aber jetzt schlägt die Stunde der virtuellen Hintergründe. Eindeutig ein Vorteil gegenüber dem klassischen physischen Zusammentreffen, man hat sofort ein gutes Smalltalk-Thema: Was für ein fantastisches Bergpanorama, warst du da in Urlaub? Was ist denn das für ein lustig blubbernder Sumpf, in dem du da stehst? Oh ja, ich wollte auch schon immer mal auf der Kommandobrücke des Raumschiff Enterprise sitzen! Ein Teilnehmer hat es mit irgendeiner Einstellung, die ich noch nicht gefunden habe, geschafft, sich in eine Gurke zu verwandeln. Am Anfang ist es ein großes Hallo, als sich also eine sprechende Gurke von seinem Bildschirm an uns wendet und anschließend die Bierflasche an ihren Mund führt, bald schon haben wir uns daran gewöhnt, und er kann es letztlich nicht toppen, als er sich dann in eine Avocado und später in eine Aubergine verwandelt. Ich beneide meinen Frosch-Kollegen etwas, der schließlich einen Livestream aus seinem Krötenterrarium als Hintergrund einspielt und damit unzweifelhaft der Star des Abends wird. Immer, wenn die Kröte mal schluckt oder kurz den Kopf bewegt, gibt es ein lautes Ah! und Oh! im Äther, da kann ich, als ich endlich die Fauchschaben vor die Kamera stelle, leider nur noch Platz zwei einnehmen.
Aber schlussendlich muss ich zugeben: Es ist ein recht vergnüglicher und durchaus sozialer Abend vor dem Monitor, und am Ende ist es dann so wie eigentlich immer: Ich stehe mit den Letzten Gästen in einem Raum namens Küche herum, bin schon ziemlich betrunken und höre zu, wie die anderen hier über die aktuellen Corona-Maßnahmen streiten und sich dabei ständig wiederholen, zunehmend lauter werden und sich immer häufiger unterbrechen. Dann fängt jemand an, darüber zu referieren, dass die bevorstehenden Impfungen uns zu Autisten machen werden und dass die ganze Virus-Panik nur eine gezielte Verunsicherung der Bevölkerung ist, um sie gefügig zu machen für die Zwangsimpfpläne der Pharmaindustrie, und da wird mir endgültig klar: Wenn das alles hier vorbei ist und wir uns wieder mit echten Menschen treffen können – nicht mehr in hübschen Dschungel- und Wüstenlandschaften, sondern in Bargteheide –, dann werden wir vieles viel intensiver genießen. Aber ich weiß jetzt schon, dass ich eines sehr schmerzhaft vermissen werde: die Möglichkeit, Leute einfach stummzuschalten.
Und für den Kater am nächsten Morgen habe ich auch eine Lösung gefunden, bei der die Zoom-Konferenz dem Real Life eindeutig überlegen ist: Ein schnelles 5‑Minuten-Video am Morgen aufgenommen, in dem ich am Schreibtisch sitze, sehr konzentriert in die Kamera gucke und hin und wieder mal nicke und bedächtig den Kopf abwechselnd nach rechts oder links wiege, das Ganze als virtuellen Hintergrund in Endlosschleife einspielen – und schwupps, kann ich mich während des ganzen bescheuerten Empowerment-Vortrags am Vormittag schön noch mal hinlegen, während mein Bildschirm-Hintergrund für mich brav der Session folgt und mit meiner Anwesenheit glänzt. Es war ja nicht alles schlecht damals, werden wir uns dereinst, in der Zeit nach den Corona-Jahren, gegenseitig versichern.
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