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Trinkverbot am Leo, oder: Wem gehört die Stadt?

21. November 2016
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Leopoldplatz
Trin­ker­be­reich auf dem Leopoldplatz

Erst vor weni­gen Jah­ren wur­de die offe­ne Trin­ker­sze­ne am Leo­pold­platz aus dem sicht­ba­ren vor­de­ren Bereich in den eher schmud­de­li­gen hin­te­ren Bereich ver­legt. Dort mit eige­nem Toi­let­ten­raum sowie eige­nen Putz­plä­nen ver­se­hen, wur­den die dort­hin Bug­sier­ten zusätz­lich und nur, um ganz sicher zu sein, durch eine mas­si­ve Stein­wand unsicht­bar gemacht. Kei­ne stö­ren­den Erschei­nun­gen auf dem Bio-Markt mehr. Und auch die Eltern auf dem Spiel­platz wer­den nicht all­zu sehr von uner­wünsch­ten Anbli­cken gepei­nigt. Alle schie­nen zufrie­den. Doch nach viel­deu­ti­gen Aus­sa­gen des Bezirks­bür­ger­meis­ters sowie der promp­ten Reak­ti­on der Oppo­si­ti­on ist plötz­lich wie­der Tumult ange­sagt. Ein Schreck­ge­spenst namens Alko­hol­ver­bot macht die Runde.

Die soge­nann­te Trin­ker­sze­ne ist längst nicht mehr so homo­gen, wie sie gern dar­ge­stellt wird. Das macht sich auch in deren Ver­tei­lung auf und rund um den Leo­pold­platz bemerk­bar. Der Leo könn­te wie­der abkip­pen, heißt es hin­ter vor­ge­hal­te­ner Hand. Beson­ders, seit­dem der Trin­ker­raum unter teils frag­wür­di­gen Begleit­um­stän­den geschlos­sen wurde.

Alkohol JobcenterAls vor­läu­fi­ger Höhe­punkt, oder eher Tief­punkt, lugt die wahr­schein­lich ältes­te aller reak­tio­nä­ren Maß­nah­men wie­der aus dem Gift­schrank her­vor. Von einem Alko­hol­ver­bot am Leo­pold­platz ist die Rede. Übri­gens: Na gut, könn­te man mei­nen, die hie­si­gen Wochen­märk­te schen­ken auf dem Leo ohne­hin kei­nen Alko­hol aus, glei­ches gilt für das Café Leo – und einen ech­ten Weih­nachts­markt mit Glüh­wein, Grog und Whis­key-Mate wird es so schnell auf dem Leo ja auch nicht geben. Wen kümmert’s also?

Aus­lö­ser ist aus­ge­rech­net eine Aus­sa­ge des grü­nen Bezirks­bür­ger­meis­ters Ste­phan von Das­sel, wel­che sich die CDU zum Anlass nahm, gleich mal vor­zu­pre­schen. Man könn­te auch sagen: klas­sisch aus­ge­kon­tert. Aber Moment mal! Ein Platz­ver­bot bei Ver­stoß gegen das Alko­hol­ver­bot – kommt uns das nicht irgend­wie bekannt vor? Genau, das wur­de doch in Mit­te eben­falls schon prak­ti­ziert. Ob es den Alex­an­der­platz aller­dings ent­schei­dend befrie­det hat, darf der­weil bezwei­felt wer­den. Machen wir uns nichts vor: Was in Alt-Mit­te nicht funk­tio­niert, das wird auch im Wed­ding nicht funk­tio­nie­ren. Ein Orts­teil, der es nicht ein­mal schafft, Hun­de­be­sit­zer ein den Reh­ber­gen nach Kack­beu­teln zu fra­gen, der wird auch nicht in der Lage sein, den Leo zu kon­trol­lie­ren. Im Übri­gen hat das vor etli­chen Jah­ren bereits aus­ge­spro­che­ne Alko­hol­ver­bot am Leo­pold­platz eben­falls nichts gebracht. Die Älte­ren erin­nern sich viel­leicht noch.

Alkohol Leopoldplatz Platz­ver­bot heißt nichts ande­res als “Was ich nicht sehe, das gibt es auch nicht!” Das Pro­blem ist: Wohin soll die Sze­ne gehen? Der Vor­platz des Job­cen­ters gehört bereits einer ande­ren Grup­pie­rung. Und mit die­ser ist man sich nach allem Hören­sa­gen so gar nicht grün. Und die Sze­ne, die sich ins­be­son­de­re an den U‑Bahn-Aus­gän­gen tum­melt, ist noch ein­mal völ­lig anders gela­gert. Was in die­ser Dis­kus­si­on näm­lich oft ver­ges­sen wird: Auch Alko­hol­ab­hän­gi­ge sind Men­schen, leben in losen Zusam­men­hän­gen – und mögen nun mal nicht jeden. Platz­ver­wei­se auf dem Leo­po­lod­platz, an den U‑Bahn-Ein­gän­gen oder angren­zen­den Berei­chen müs­sen also zwangs­läu­fig zu Kon­fron­ta­tio­nen zwi­schen den ein­zel­nen Sze­nen füh­ren. Damit wäre das Ansin­nen, einen siche­ren öffent­li­chen Raum zu schaf­fen übri­gens auch, um es mal mit den Wor­ten der Acht­zi­ger zu sagen: futschikato.

So, und was sagen die Wed­din­ge­rin­nen und Wed­din­ger? Nichts genau­es weiß man nicht, denn im Wed­ding regiert nicht die Ratio, hier herrscht allein das Gefühl. “Ich füh­le, hier wird auf­ge­wer­tet!” – “Ich füh­le, hier geht es berg­ab!” Zwei Aus­sa­gen, die sich im post­fak­ti­schen Zeit­al­ter übri­gens über­haupt nicht gegen­sei­tig aus­schlie­ßen. Das zeigt auch die anhän­gi­ge Dis­kus­si­on auf unse­rer Pinn­wand.

Die einen läs­tern über die angeb­lich zuge­zo­ge­nen Hips­ter, denen der Wed­ding noch immer nicht geleckt genug ist. Die ande­ren schwei­gen oder ver­wei­sen ver­geb­lich auf das Recht eines jeden Men­schen auf Wür­de und Betei­li­gung. Bei all den Zwi­schen­tö­nen stellt sich stets die wie­der­keh­ren­de Fra­ge: Wem gehört die Stadt eigent­lich? Den Ein­ge­bo­re­nen? Den Zuge­zo­ge­nen? Nein, die Stadt gehört allen! Dem Jun­kie gehört Ber­lin, dem Alki gehört Ber­lin, auch dem Zuge­zo­ge­nen gehört Ber­lin. Anstatt Platz- und Alko­hol­ver­bo­te bzw. Abstam­mungs­bäu­me zu dis­ku­tie­ren, soll­te man sich also bes­ser dar­um küm­mern, auch den­je­ni­gen ein Zuhau­se zu geben, die man hin­ter einer Stein­wand unsicht­bar machen oder schlim­mer noch: in einen ande­ren Bezirk abschie­ben möchte.

6 Comments

  1. Hal­lo Tobi­as, wo weit ich weiß, war es ein Wunsch der Trin­ker, einen etwas weni­ger sicht­ba­ren Auf­ent­halts­be­reich zu bekom­men und nicht mehr vorn “auf dem Prä­sen­tier­tel­ler” zu sit­zen. Die Umge­stal­tung des Leo­pold­plat­zes war ja ein gemein­sa­mes Pro­jekt und die Trin­ker­sze­ne wur­de mit ihren Wün­schen berück­sich­tigt (wie auch ande­re Grup­pen auf dem Leo).

  2. Ich fin­de auch, dass Trin­ker, Obdach­lo­se und alle ande­ren Men­schen ein Recht haben, in die­ser Stadt zu leben. Das Pro­blem ist nur, dass die­se Armut, das unan­ge­neh­me Beneh­men, das gan­ze Elend nur sehr schwer aus­zu­hal­ten ist. Man soll­te hier noch viel mehr Sozi­al­ar­beit betrei­ben und den Leu­ten aber auch mal ihre Gren­zen auf­zei­gen. Ich den­ke das ist auch das, was die meis­ten Alko­ho­li­ker und ande­re Dro­gen­ab­hän­gi­ge brau­chen: siche­re Lebens­um­stän­de und kla­re Regeln .….…. wo auch immer in Berlin.

  3. Und Dan­ke lie­ber Tobi­as Weber,

    dass das post­fak­ti­sche Zeit­al­ter jetzt auch im Wed­ding Ein­zug gehal­ten hat 🙂

    Und viel­leicht soll­test Du ein­mal hier schrei­ben, war­um und wes­we­gen der Trin­ker­raum geschlos­sen wur­de :“Beson­ders, seit­dem der Trin­ker­raum unter teils frag­wür­di­gen Begleit­um­stän­den geschlos­sen wur­de” und statt der “post truth” doch ein­mal die” ante truth ” wie­der ein­füh­ren und etwas bes­ser recherchieren?

    Aber viel­leicht zie­hen die social bots auch in den Wed­ding­wei­ser ein 🙂

    https://www.basicthinking.de/blog/2016/10/17/social-bots/

  4. “Anstatt Platz- und Alko­hol­ver­bo­te bzw. Abstam­mungs­bäu­me zu dis­ku­tie­ren, soll­te man sich also bes­ser dar­um küm­mern, auch den­je­ni­gen ein Zuhau­se zu geben, die man hin­ter einer Stein­wand unsicht­bar machen oder schlim­mer noch: in einen ande­ren Bezirk abschie­ben möchte.”

    Wer ist ” man ” lie­ber Tobi­as Weber??

    Man scheint bei der gesam­ten Sanie­rung wohl gedacht haben, wenn alles ” sau­ber ” ist 🙂 dann gibt es auch kein Alko­hol­pro­blem mehr und die Sozi­al­ar­bei­ter wür­den arbeitslos 🙂

    Viel­leicht soll­te die Stadt­pla­nung beim nächs­ten Mal gleich das Bud­get für die Sozi­al­ar­bei­ter mit berück­sich­ti­gen, statt Mil­lio­nen für eine Sanie­rung aus­ge­ben, der Ver­fall sich z.B. bei den tol­len Sitz­bän­ken zeigt!!

    Ein Blick über den Stadt­pla­nung­s­tel­ler­rand hät­te hier sicher­lich geholfen

  5. Lie­ber Tobi­as Weber, dan­ke für die­sen Bericht. Gut zu wis­sen, dass die Trin­ker­sze­ne auch aus unter­schied­li­chen Milieus zusam­men­ge­setzt ist, das macht die sache ja nicht ein­fa­cher. Aber was soll ih damit anfan­gen: “.. auch denen ein Zuhau­se zu geben …” Weiß denn wirk­lich jemand wie das geht? Und müs­sen nicht auch hier unter­schied­li­che Ange­bo­te ent­wi­ckelt wer­den. Wer tut es und vor allem wie soll­te das aussehen?

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