Mastodon

Straßenporträt:
Togostraße: Vom Großstadttrubel bis in die Vorstadt

Mal eben aus der lauten und dicht bebauten Großstadt in die grüne und menschenleere Vorstadt? Mit der Togostraße geht das auf nur zwei Kilometern.
14. Juli 2019
12

Die Togo­stra­ße ist eine zwei Kilo­me­ter lan­ge Stra­ße, die direkt vom lau­ten Groß­stadt­trei­ben in die Peri­phe­rie führt.

Sie beginnt an der groß­städ­tisch-brei­ten See­stra­ße und ist dort von typi­schen Ber­li­ner Alt­bau­ten ein­ge­rahmt. Das gan­ze Vier­tel geht auf eine plan­mä­ßi­ge Stadt­er­wei­te­rung aus der Zeit um die Jahr­hun­dert­wen­de zurück. Doch auch die Togo­stra­ße selbst fällt im Schach­brett­mus­ter der Stra­ßen des Afri­ka­ni­schen Vier­tels durch ihre unge­wöhn­li­che Brei­te auf, ver­fügt sie doch über einen grü­nen Mit­tel­strei­fen mit Bäu­men, Spiel­plät­zen und – nun ja – meist ver­wil­der­ten und unge­pfleg­ten Rasen­flä­chen. An ihrem süd­li­chen Anfang ende­te auf der brei­ten Pro­me­na­de bis 1963 sogar eine Straßenbahnstrecke. 

Die Togo­stra­ße wur­de 1899 nach der dama­li­gen deut­schen Kolo­nie Togo benannt – im Zuge der kolo­nia­len Begeis­te­rung im wil­hel­mi­ni­schen Kai­ser­reich wur­den alle Stra­ßen im umlie­gen­den Vier­tel nach sol­chen Orten oder Gebie­ten benannt. Die Togo­stra­ße ist dabei so etwas wie das Rück­grat im gesam­ten Afri­ka­ni­schen Vier­tel, denn sie durch­zieht schnur­ge­ra­de die ein­zel­nen Bau­ab­schnit­te – begin­nend im grün­der­zeit­li­chen Ber­lin der Wen­de vom 19. zum 20. Jahr­hun­dert, endend in der Peri­phe­rie inmit­ten von 50er-Jahre-Wohnblöcken.

Togostraße Häuserfronten

Beson­ders im unte­ren Abschnitt, wo es noch vie­le schö­ne Alt­bau­woh­nun­gen und Laden­ge­schäf­te gibt, ist die Togo­stra­ße eine bunt durch­misch­te Stra­ße mit viel Gewer­be. In Sicht- und Hör­wei­te des Stra­ßen- und Tram­lärms der See­stra­ße hat sich eine klei­ne Mode­ma­nu­fak­tur eta­bliert, die Mon­ta­ge­hal­le Ber­lin. Meh­re­re eige­ne Labels wie CHAKAL wer­den dort in klei­nen Stück­zah­len von Mode­ma­che­rin­nen pro­du­ziert und ver­kauft.  Gleich neben­an gibt es mit den Wild-Werk­stät­ten eine Werk­statt­ge­mein­schaft aus Tisch­lern, Desi­gnern und Archi­tek­ten. Dort hat man sich auf den Bau von hoch­wer­ti­gen Möbeln und anspruchs­vol­len Innen­aus­bau spe­zia­li­siert. Gegen­über hat­ten sich zeit­wei­se mit dem Laden Mabel­le­vie für künst­le­risch auf­ge­ar­bei­te­te Möbel­stü­cke und mit einem Foto­ate­lier eben­falls wei­te­re Krea­ti­ve angesiedelt.

Eini­ge Meter wei­ter. Die recht­wink­lig que­ren­de Kame­ru­ner Stra­ße schafft hier mit der Togo­stra­ße eine groß­zü­gi­ge und doch über­schau­ba­re Kreu­zung. In einem der Eck­lä­den ist ein tra­di­ti­ons­rei­cher Bio­markt - der ältes­te und für lan­ge Zeit sogar der ein­zi­ge Natur­kost­la­den im Wed­ding. Mit einer Ein­kaufs­ge­mein­schaft und Mit­glie­dern im gan­zen Wed­ding ver­sucht “Natür­lich Bio” bezahl­ba­re Prei­se für regio­na­le und ande­re Bio­pro­duk­te zu erzie­len. Die über­füll­te Pinn­wand zeigt, dass der Eck­la­den als Kom­mu­ni­ka­ti­ons­ort für den gan­zen Kiez dient. An die­ser Ecke spürt man, dass die Togo­stra­ße die Keim­zel­le für ein urba­nes, alter­na­ti­ves Stadt­vier­tel ist, das hier eines Tages ent­ste­hen könnte.

Im wei­te­ren Ver­lauf ver­liert die Togo­stra­ße rapi­de an städ­te­bau­li­cher Qua­li­tät und wird für kur­ze Zeit zu einem Weg, der Fuß­gän­gern und Rad­fah­rern vor­be­hal­ten ist. Außer­dem wur­de im Jahr 2014 ein auf­wen­dig gestal­te­ter Spiel­platz mit Afri­ka-Bezug ange­legt, der den Mit­tel­strei­fen aus­füllt. Die Frei­räu­me, die nach dem durch den Welt­krieg gestopp­ten Bau­boom der Kai­ser­zeit oder durch Bom­ben­schä­den ent­stan­den, sind hier durch gesichts­lo­se Wohn­häu­ser der Nach­kriegs­zeit bebaut wor­den. Ein­zig die Rück­front der denk­mal­ge­schütz­ten Anna-Lindh-Grund­schu­le (Gui­ne­a­stra­ße 1718) mit ihrer typi­schen 50er-Jah­re-Archi­tek­tur ver­dient eine beson­de­re Erwäh­nung, aber nur, wenn man dafür die Togo­stra­ße kurz verlässt.

Höhe San­si­bar­stra­ße

Nach der Kreu­zung mit der Trans­vaal­stra­ße, wo man im “Kibo” zu einem Eis oder Kaf­fee ein­keh­ren kann, wird die Togo­stra­ße wie­der zu einer rich­ti­gen Stra­ße mit dem brei­ten Mit­tel­strei­fen. Hier ist sie von ein­heit­li­chen Blö­cken aus den 1920er Jah­ren ein­ge­rahmt, die durch far­bi­ge Strei­fen und expres­sio­nis­ti­sche Details gefal­len. Aller­dings sind nicht alle Gebäu­de saniert und so domi­niert oft tris­tes Grau. Man kann allen­falls ahnen, dass die Woh­nun­gen einen hohen Wohn­wert besit­zen dürf­ten. Die für die­se Bau­pe­ri­ode typi­sche Ent­mi­schung von Woh­nen und Gewer­be macht sich nega­tiv bemerk­bar: nur noch weni­ge Geschäf­te und Knei­pen haben sich hier gehal­ten. Doch Jashim’s Tan­te-Emma-Laden an der Ecke Ota­wi­st­ra­ße ist eine rühm­li­che Aus­nah­me. 2008 hat der Ban­gla­de­shi Jas­him-Uddin Kazi das leer­ste­hen­de Eck­lo­kal über­nom­men und zu einer Mischung aus Spät­kauf und Knei­pe aus­ge­baut. Trotz Anlauf­schwie­rig­kei­ten und eini­ger Über­fäl­le will Jas­him wei­ter­ma­chen: Der Laden und die Men­schen im Kiez sind zu einer Ersatz­fa­mi­lie für ihn gewor­den. Der Kiez, in dem sich nicht mehr vie­le Geschäf­te hal­ten kön­nen, hat mit dem Tan­te-Emma-Laden an der Stra­ßen­ecke wie­der sei­nen Mittelpunkt.

In der Togostraße
Die Togo­stra­ße Ecke Otawistraße

Mit der Ota­wi­st­ra­ße endet die Bebau­ung der Zeit vor dem Ers­ten Welt­krieg end­gül­tig. Auf bei­den Sei­ten der Togo­stra­ße prä­gen jetzt sehr schlich­te, bal­kon­lo­se Gebäu­de­rie­gel aus den frü­hen 1940ern Jah­ren das mono­to­ne Stra­ßen­bild. Kein Geschäft, kei­ne Knei­pe – von Kiez­le­ben kaum eine Spur. Hier wohn­te tra­di­tio­nell das Klein­bür­ger­tum, die klei­nen Beam­ten und Ange­stell­ten, das die Ent­fer­nung zum “tie­fen Wedding“und die Nähe zum Volks­park Reh­ber­ge schätz­te. Das ist bis heu­te weit­ge­hend so geblie­ben. In einer 100 Meter brei­ten Lücke zwi­schen den Genos­sen­schafts­bau­ten beginnt auf der rech­ten Sei­te ein Quer­weg, der durch den Klein­gar­ten­ver­ein Togo e.V. führt, eine aus­ge­dehn­te Klein­gar­ten­an­la­ge, die an der Mül­lerstra­ße endet und fast den gesam­ten Stra­ßen­block einnimmt.

Der Nach­ti­gal­platz ist eine städ­te­bau­lich miss­lun­ge­ne Frei­flä­che aus der Nazi­zeit. Hier kreuzt die brei­te Togo­stra­ße die im 45 Grad-Win­kel kreu­zen­de Afri­ka­ni­sche Stra­ße und die recht­wink­lig von bei­den Sei­ten kom­men­de Peter­s­al­lee. Dar­aus hat man einen recht­ecki­gen, rie­si­gen Platz geschaf­fen, des­sen Ecken von höhe­ren, ein­heit­lich gestal­te­ten Wohn­ge­bäu­den umbaut ist. Wenn man in die Peter­s­al­lee links ein­biegt, gelangt man bald dar­auf in den schö­nen Land­schafts­park Reh­ber­ge mit einer Frei­licht­büh­ne, die im Som­mer für Open-Air-Kino genutzt wird.

Kaum als Ver­län­ge­rung wahr­nehm­bar, geht die Togo­stra­ße auch hin­ter dem Nach­ti­gal­platz wei­ter – der freie Blick auf die Togo­stra­ße wird näm­lich von einem Gebäu­de­rie­gel ver­stellt, der die Stra­ße über­spannt. Der ein­zi­ge Zweck die­ses Lau­ben­gang­hau­ses aus den spä­ten 30er Jah­ren war es, die Auf­merk­sam­keit von der nörd­lich anschlie­ßen­den Fried­rich-Ebert-Sied­lung abzu­len­ken. Die­se erstreckt sich zu bei­den Sei­ten der Togo­stra­ße und kann als ein her­aus­ra­gen­des Bei­spiel für das Neue Bau­en der Wei­ma­rer Repu­blik gel­ten. Zwar wur­den die ein­zel­nen Abschnit­te 1929–31 von ver­schie­de­nen Archi­tek­ten (lin­ke Sei­te: Mebes/Emmerich, rech­te Sei­te: Bru­no Taut) gestal­tet, jedoch hiel­ten sich alle an bestimm­te Vorgaben.

Friedrich-Ebert-Siedlung
Die Fried­rich-Ebert-Sied­lung von Max Taut

Es gibt kei­ne durch­ge­zo­ge­nen Block­rand­be­bau­un­gen, son­dern in Grün­an­la­gen ein­ge­bet­te­te Zei­len­bau­ten. Die Woh­nun­gen ver­fü­gen alle – neben einem Blick aufs Grü­ne – über Win­ter­gär­ten oder Bal­ko­ne. Auf der rech­ten Stra­ßen­sei­te sind die Wohn­rie­gel mit mar­kan­ten Kopf­bau­ten ver­se­hen. Revo­lu­tio­när – und ganz und gar nicht nach dem Geschmack der Nazis – waren die Flach­dä­cher. Den Namens­ge­ber Fried­rich Ebert, den sozi­al­de­mo­kra­ti­schen Reichs­prä­si­den­ten, ehr­te man mit einer Pla­ket­te, die sich an der Kreu­zung Swakopmunder/ Afri­ka­ni­sche Stra­ße befin­det. Im Drit­ten Reich wur­de die Pla­ket­te ein­ge­schmol­zen und die Sied­lung umbe­nannt, doch man hat das Kunst­werk wie­der­her­ge­stellt. Auch hier fällt auf, dass bis auf weni­ge Aus­nah­men kaum ein Gebäu­de die­ser denk­mal­ge­schütz­ten Sied­lung saniert ist, so dass man heu­te vom eins­ti­gen Glanz die­ser stä­det­bau­lich bedeu­ten­den Sied­lung allen­falls noch etwas ahnen kann.

Naturdenkmal Binnendüne Wedding
Die Düne Wedding

An der Kreu­zung mit der Swa­kop­mun­der Stra­ße endet die Togo­stra­ße, die eigent­lich noch bis über den Kurt-Schu­ma­cher-Damm in Rei­ni­cken­dorf hin­aus wei­ter­ge­führt wer­den soll­te – statt des­sen fin­det man hier Wohn­blö­cke aus den 1950ern, Gewer­be­bau­ten, Klein­gär­ten und einen Bau­markt. Vor­städ­ti­sche Trost­lo­sig­keit, in der sich jedoch eine Per­le ver­steckt:  die letz­te inner­städ­ti­sche eis­zeit­li­che Düne Deutsch­lands, die heu­te auf dem Gelän­de des Schul-Umwelt-Zen­trums (Scharn­we­ber­stra­ße 159 ) liegt.

Joachim Faust

hat 2011 den Blog gegründet. Heute leitet er das Projekt Weddingweiser. Mag die Ortsteile Wedding und Gesundbrunnen gleichermaßen.

12 Comments Leave a Reply

  1. […] Marc Franz­ko­wi­ak betrieb zuvor als geschäfts­füh­ren­der Gesell­schaf­ter den Ber­li­ner Able­ger der Leip­zi­ger Gale­rie Irr­gang in Ber­lin-Mit­te. Sei­ne Plä­ne für die Eta­blie­rung einer neu­en Gale­rie mit spe­zi­el­lem Pro­fil führ­ten ihn in das süd­li­che Afri­ka­ni­sche Vier­tel, wo schon seit Jah­ren vie­le Manu­fak­tu­ren exis­tie­ren und Desi­gner arbei­ten und leben. Ob Schmuck (Anna Kir­ya­ko­va), Mode (Mon­ta­ge­hal­le), Por­zel­lan (Manu­Fac­to­ry), Leder (Lee­ven­stein) und jetzt auch Möbelauf­ar­bei­tung (Mabel­le­vie), das unauf­ge­reg­te Wohn­vier­tel ist für Krea­ti­ve gut geeig­net, um sich zu ver­net­zen und zu eta­blie­ren. Von Anbe­ginn war auch der Ver­mie­ter der bei­den Läden vom Kon­zept begeis­tert: als Mit­glied der „Zen­tral­ka­pel­le“ orga­ni­sier­te er zur Eröff­nung Anfang Sep­tem­ber 2014 ein gro­ßes Kon­zert – vor der Gale­rie – auf dem Mit­tel­strei­fen der Togostraße. […]

  2. Hier wur­de ich 1949 gebo­ren, Togostr. 77 unten links in dem Laden, der damals die Ver­si­che­rungs­agen­tur mei­nes Opas beher­berg­te. In der gro­ßen Woh­nung dahin­ter wohn­ten auch mei­ne Eltern und ich. Damals hat­te die Togostr. in der Mit­te noch Stra­ßen­bahn­schie­nen und einen Wen­de­kreis für die Stra­ßen­bahn. Im Hin­ter­hof, unten im Kel­ler, hat­te ein Schlos­ser sei­ne Werk­statt, der auch Töp­fe und Pfan­nen repa­rier­te. Es gab noch vie­le Trüm­mer­grund­stü­cke, wo sich teil­wei­se Alt­me­tall- oder Koh­len­händ­ler nie­der­ge­las­sen hat­ten. Sie waren auch unser Spielplatz.
    Und in der Kame­ru­ner Str. gab es in einem Hin­ter­hof einen Kuh­stall, wo ich Brenn­holz gegen Kar­tof­fel­scha­len ein­tau­schen konnte.
    Ich habe sogar noch ein Bild von mei­ner Ein­schu­lung mit Tei­len der Togostr. im Hin­ter­grund, wo die Stra­ßen­bahn­schie­nen und mein Geburts­haus zu erken­nen sind. Ich erin­ne­re mich gern daran.

      • Hal­lo Herr Faust, anbei zwei Fotos aus dem Jah­re 1956, dem Jahr mei­ner Ein­schu­lung. Das Eine hat im Hin­ter­grund die Straßenbahnschienen und das Ande­re den Ein­gang zu unse­rer Woh­nung. Die Nr. 77 befin­det auf dem Teil zwi­schen der See­str. und der Kame­ru­ner Str. Zu mei­nem Bedau­ern gibt es die alte Mül­ler­hal­le nicht mehr, als Kin­der haben wir die­se geliebt und sind durch die Gänge getobt. Immer wenn ich wie­der mal in Ber­lin war, habe ich die Mül­ler­hal­le besucht und war über den Nie­der­gang trau­rig. Lie­ben Gruß aus Düs­sel­dorf G.Reise

Schreibe einen Kommentar

Your email address will not be published.

nachoben

Auch interessant?