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GroKo oder NoGroKo? Zu Gast bei der SPD-Mitte

90 Minu­ten Rede­zeit, drei Minu­ten pro Wort­mel­dung und los auf los. Die Mit­glie­der­ver­samm­lung der SPD-Mit­te im frü­he­ren Saal der BVV im Rat­haus Tiergarten/Moabit läuft straff ab. 18 Wort­mel­dun­gen schaf­fen die Par­tei­mit­glie­der am Mitt­woch­abend. Es geht um die Fol­gen der Wie­der­ho­lungs­wahl. Die meis­ten Genos­sen spre­chen sich an die­sem Abend gegen die Koali­ti­on mit der CDU auf Lan­des­ebe­ne aus. Dabei waren zwei der Rede­bei­trä­ge am 22. März besonders.

MItgliederversammlung
Mit­glie­der­ver­samm­lung der SPD-Mit­te zur Fra­ge Gro­Ko oder NoGro­Ko. Foto: And­rei Schnell

Wie grundsätzlich weiter?

Der ers­te beson­de­re Moment tritt ein, als es plötz­lich sehr still ist in dem ehr­wür­di­gen Saal mit den Holz­bän­ken und dem Red­ner­pult, das noch das Wap­pen des auf­ge­lös­ten Bezirks Tier­gar­ten (ein Hirsch auf rotem Grund) zeigt. Ist es ein betrof­fe­nes Schwei­gen oder wol­len die Mit­glie­der der SPD-Mit­te den lei­se spre­chen­den Mann bloß gut ver­ste­hen? Vorn steht gera­de Gui­do Roh­mann, einer von zwei Vor­sit­zen­den des Orts­ver­ban­des Schil­ler­park. Der Poli­tik­wis­sen­schaft­ler wählt nicht die lau­te, auf­ge­wühl­te, mit­rei­ßen­de Stimm­la­ge, son­dern eine nach­denk­li­che. Er spricht wie jemand, der die Ant­wort nicht weiß. “Wie machen wir als Par­tei wei­ter?” Es ist eine Fra­ge wie eine Kin­der­fra­ge; sie ist ein­fach in der For­mu­lie­rung und stößt vor bis zum letz­ten Grund. “Es ist den Men­schen nicht klar, wofür wir stehen”.

Luft holen.

An Gui­do Roh­manns Fra­ge schlie­ßen sich fast zwangs­läu­fig wei­te­re Fra­gen an. Wis­sen zunächst die Genos­sen, wofür die SPD steht? Und wer soll über den Stand­ort nach­den­ken, die Basis oder eine Kom­mis­si­on nebst Werbeagentur?

Doch Poli­tik, so scheint es an die­sem Abend, ist kein Theo­rie­feld, sie ist eine prak­ti­sche Übung. Das zei­gen die Rede­bei­trä­ge, die sich bei­na­he aus­schließ­lich um das Ja oder Nein beim nahen­den Mit­glie­der­vo­tum dre­hen und eben nicht über den Hori­zont hin­aus­ge­hen. Drän­gend ist für die Genos­sen der Ber­li­ner SPD die kon­kre­te Abwä­gung, ob ihre Par­tei auf Lan­des­ebe­ne mit der CDU koalie­ren soll oder nicht. Vom 4. bis zum 21. April wird die Abstim­mung an der Par­tei­ba­sis lau­fen. Par­al­lel lädt die Par­tei­spit­ze zu meh­re­ren Mit­glie­der­fo­ren ein, auf denen der Koali­ti­ons­ver­trag vor­ge­stellt wird. Die­se Abstim­mung löst aus­rei­chend Rede­be­darf aus, der die Ver­samm­lung am 22. März für Genos­sen im Bezirk Mit­te Raum geben will. 

Soll eine schwarze Frau Kai Wegner ins Rathaus verhelfen?

Anab Awale
Anab Awa­le bei der Mit­glie­der­ver­samm­lung der SPD. Foto: And­rei Schnell

Der zwei­te beson­de­re Moment kommt, als Anab Awa­le von der Abtei­lung Moa­bit-Nord spricht: “Ich habe im Wahl­kampf als schwar­ze Frau gesagt, mei­ne SPD wird nicht mit Kai Weg­ner von der CDU regie­ren”. Den Bei­fall, den sie erhält, dau­ert gut eine hal­be Minu­te. Nie­mand sonst erhält an die­sem Abend so aus der See­le gespen­de­ten Applaus. Sie erin­nert dar­an, dass das Top­the­ma im Wahl­kampf gewe­sen sei, dass die SPD ins Rat­haus wol­le. Es habe gehei­ßen, dass die SPD selbst bei einem Ein­lauf auf Platz 2 nicht mit der CDU zusam­men­ge­hen wer­de. “Trotz Wahl läuft doch die Wahl­pe­ri­ode wei­ter, das heißt wir kün­di­gen gera­de”, beschreibt Anab Awa­le die Absa­ge der SPD-Ver­hand­ler an Rot-Rot-Grün. Des­halb sei sie auch nicht über­rascht, dass die CDU Zuge­ständ­nis­se mache, “denn wir brin­gen die ins Rat­haus”. Anab Awa­le hat in ihrer drei­mi­nü­ti­gen Rede­zeit alle Argu­men­te des Abends emo­tio­nal ein­ge­sam­melt. Es wird wahr­schein­lich einer der sel­te­nen Momen­te in ihrem Leben als Poli­ti­ke­rin sein, in dem sie einen vol­len Saal so ein­drück­lich in ihren Bann geschla­gen hat.

Argumente pro Koalition mit der CDU

Michael Biel
Micha­el Biel von der SPD wirbt für die Koali­ti­on mit der CDU. Foto: And­rei Schnell

Staats­se­kre­tär Micha­el Biel lei­tet für die SPD bei den Koali­ti­ons­ver­hand­lun­gen mit der CDU die Fach­ar­beits­grup­pe Wirt­schaft, Ener­gie, Tech­no­lo­gie und Betrie­be. Er ist für ein Regie­ren mit der CDU. Sei­ne Rede funk­tio­niert nach dem Mus­ter: Das könnt ihr euch nicht vor­stel­len. Er sagt, er habe in den Ver­hand­lun­gen mit den Grü­nen bei vie­len SPD-The­men ein “No Way” gehört. In sei­nem Start­vor­tag zählt er auf: Gebüh­ren­frei­heit bei BVG und Schu­les­sen hät­ten die Grü­nen als Gieß­kan­nen­po­li­tik moniert. Das 9‑Eu­ro- oder das 29-Euro-Ticket sei wegen des abseh­ba­ren 49-Euro-Tickets infra­ge gestellt wor­den. Die Inte­gra­ti­on der Töch­ter des Vivan­tes-Kran­ken­hau­ses in das Mut­ter-Unter­neh­men sei abge­lehnt wor­den. Beim Schul­neu­bau sei­en finan­zi­el­le Abstri­che gefor­dert wor­den. Kei­ne Eini­gung sei beim Woh­nungs­bau mög­lich gewe­sen. Und mit Blick auf den Kli­ma­volks­ent­scheid sei es mög­lich gewe­sen, mit der CDU ein Son­der­ver­mö­gen zu ver­han­deln. “Kon­zen­triert euch auf die Inhal­te”, sagt er, die Koali­ti­on mit der CDU wür­de “so viel SPD wie mög­lich” bringen.

Argumente gegen eine Koalition mit den Konservativen

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Fran­zis­ka Droh­sel ist für eine pro­gessi­ve Koa­li­ton. Foto: And­rei Schnell 

Fran­zis­ka Droh­sel ver­tritt in ihrer Start­re­de genau die ent­ge­gen­ge­setz­te Posi­ti­on. Sie braucht zwei Anläu­fe, ehe das Mus­ter ihrer Rede klar ist: Schwer vor­stell­bar, dass Ver­hand­lun­gen mit den Grü­nen einem Bei­ßen auf Gra­nit glei­chen sol­len. Über ihre Kon­tak­te über Par­tei­gren­zen hin­weg und aus ihrer Zei­tungs­lek­tü­re kön­ne sie Micha­el Biels Aus­sa­gen über ein “No Way” nicht nach­voll­zie­hen. Sie ist sicher, “das hät­te man mit den Grü­nen ver­han­deln kön­nen”. Und: Die frü­he­re Juso-Vor­sit­zen­de sagt mit Blick auf die Wahl­er­geb­nis­se : “Wir wur­den vom Wäh­ler dafür abge­straft, wie wir mit unse­ren Part­nern umge­hen”. Ein Umgang, der von den Men­schen nicht erst seit ges­tern beob­ach­tet wer­de. Ihr Leit­wort im Umgang mit poli­ti­schen Part­nern ist “respekt­voll”. Und: “Wenn Rot-Rot-Grün so schlimm gewe­sen ist, dann hät­ten wir nicht so in den Wahl­kampf gehen dür­fen”. Zudem sei Ber­lin eine “Signal­stadt” gewe­sen, dass ein Bünd­nis mit den Grü­nen und den Lin­ken auch im Bund und in ande­ren Bun­des­län­dern eine Mög­lich­keit sein kön­ne. Die­se Opti­on sei nun beschädigt.

Auch in den Ein­zel­bei­trä­gen spre­chen sich die meis­ten Red­ner gegen eine Koali­ti­on mit der CDU aus. Für sie sind SPD-The­men nicht “Spie­gel­stri­che”, son­dern fin­den ihren Aus­druck in einer Hal­tung. Neben der Distanz zu ras­sis­ti­schen Schlen­kern bestehe die­se aus einer pro­gres­si­ven Poli­tik. Eine sol­che Poli­tik zei­ge sich in der Bevor­zu­gung der Gemein­schafts­schu­le vor dem Gym­na­si­um, in einer Poli­tik für Mie­ter statt für Besit­zer von Eigen­tums­woh­nun­gen oder in Verkehrsfragen.

Anni­ka Klo­se, Mit­glied des Bun­des­ta­ges und im Orts­ver­band Brun­nen­vier­tel aktiv, weist auf den Bun­des­rat hin. Wenn der SPD-Lan­des­ver­band im Rat der Bun­des­län­der die CDU stärkt, schwä­che das die Bundes-SPD.

Ande­re Argu­men­te zie­len auf die Strahl­kraft von Fran­zis­ka Gif­fey. So sagt ein Mit­glied: “Wir dach­ten, wir mögen Fran­zis­ka Gif­fey nicht, aber dafür der Wäh­ler.” Das sei offen­kun­dig ein Trug­schluss gewe­sen und “nun wer­den wir in der Gro­Ko Fran­zis­ka Gif­fey nicht los”. Ein ande­rer Red­ner sprach vom wei­ßen Ele­fan­ten – also einem Tabu­the­ma, an das in einer Grup­pe alle den­ken müs­sen, aber von nie­man­dem ange­spro­chen wird. Die­ser wei­ße Ele­fant sei, “dass wir nicht in der Lage sind, Ver­ant­wor­tung zu über­neh­men”, es feh­le ein Rück­tritt. Wei­te­res Argu­ment: Bei einer Koali­ti­on mit der CDU sei die SPD-Mit­te auf Bezirks­ebe­ne “tot”, denn “wir kämp­fen hier gegen über­star­ke Grü­ne”. Und ein vier­ter Red­ner sagt: “Nicht Rot-Rot-Grün wur­de abge­wählt, son­dern die SPD wur­de abge­wählt.” Das ver­lan­ge Selbstkritik.

Botschaft an den Küchentisch

Einen Beschluss oder eine Posi­tio­nie­rung zur Koali­ti­ons­fra­ge fasst die Mit­glie­der­ver­samm­lung nach etwas mehr als 90 Minu­ten nicht. Die Ver­samm­lung dien­te dazu, Argu­men­te öffent­lich zu machen. Dabei rich­te­ten sich die Red­ner nicht nur an die mehr als hun­dert Mit­glie­der, die im Saal saßen. Ohne Zwei­fel ging es auch dar­um, die vie­len Mit­glie­der zu errei­chen, die nicht gekom­men waren. Denn immer wie­der wur­den ein­zel­ne Reden auf Han­dy gefilmt. Die Dis­kus­si­on inner­halb der Abtei­lun­gen und nicht zuletzt auch unter den­je­ni­gen Mit­glie­dern, die nicht zu jedem Par­tei­stamm­tisch kom­men, soll­te mit der Ver­samm­lung am 22. März noch ein­mal gefüt­tert werden.

Die SPD-Basis wird über den Koali­ti­ons­ver­trag zwi­schen SPD und CDU in gehei­mer Wahl per Brief abstim­men. Bild­lich gespro­chen: Das Votum Pro und Con­tra einem Bünd­nis zwi­schen CDU und SPD ent­schei­det sich am pri­va­ten Küchen­tisch. Nun gilt es bis Ende April abzu­war­ten, wel­che Bot­schaf­ten zwi­schen Honig und Auf­strich durch­drin­gen werden. 

Andrei Schnell

Meine Feinde besitzen ein Stück der Wahrheit, das mir fehlt.

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