Was ist eigentlich das Besondere an der Stephanuskirche in der Prinzenallee? Das wollen die Freunde der Stephanuskirche kommenden Montag (22.1.) um 19 Uhr mit Interessierten erkunden. Hier exklusiv vorab ein paar Wissenshäppchen über die Kirche.
Es ist Mitte Dezember, draußen Regen statt Schnee, im Café und Bar Rosa Louise in der Soldiner Straße 13 sitzen eine Handvoll Menschen. Sie eint das Interesse an einem historischen Bauwerk im Kiez, der Stephanuskirche. Für viele Nachbarn im Kiez ist sie lediglich ein Orientierungspunkt. „Wer das Besondere sehen will, muss genau hinschauen″, sagt Eberhard Elfert.
Gerne selbst anschauen!
Mit „genau hinschauen″ meint er zahlreiche Vorortbesuche, Rundgänge um die Kirche herum und auch im Inneren des Backsteinbaus. Da gebe es viel zu entdecken, sagt Eberhard Elfert. Zu einem solchen Selbst-In-Augenschein-Nehmen lädt er alle Interessierten am 22. Januar um 19 Uhr in den beheizten Wichern-Saal in der Stephanuskirche und zu weiteren Folgeterminen ein (diese stehen im Veranstaltungskalender des Weddingweisers).
Der umtriebige Historiker, Kulturmanager und Kommunikationsberater Eberhard Elfert hat sich verdient gemacht um die Erinnerungskultur von der NS-Zeit über die Berliner Mauer bis hin zur Berliner Clubkultur. Jetzt will er das kulturelle Gedächtnis der Weddinger und Gesundbrunner in puncto der ehrwürdigen neogotischen und denkmalgeschützten Stephanuskirche auffrischen.
Schirmherrin der Kirche: eine unbeabsichtigt moderne Kaiserin
Beim historischen Blick zurück in die Jahre 1902 bis 1904, als die Kirche gebaut wurde, rückt Kaiserin Auguste Viktoria (auch: Victoria) ins Sichtfeld. Als Ehegattin des letzten deutschen Kaisers Wilhelm II. hatte sie nicht viele Aufgaben. Sie war gut versorgt, aber im Wesentlichen ohne Job. Obwohl Auguste Viktoria konservativ eingestellt war, mochte sie die Rolle des Einfach-Nur-Da-Seins nicht annehmen und suchte sich eine Beschäftigung. Eine in der Öffentlichkeit. Sie übernahm eine öffentliche Rolle, die man heute als Charity-Promi bezeichnen würde und die nicht weiter verwundert. Doch vor mehr als 120 Jahren war die Arbeit als First Lady durchaus ungewöhnlich. Vor allem auch die Vehemenz, mit der sich die erste Frau im Staate in diese Aufgabe warf.
Eine ihrer zahlreichen Tätigkeiten war (rechtlich vertreten über einen Mann) ihre führende Mitgliedschaft im Evangelischen Kirchbauverein. Diese Organisation baute gezielt in Arbeiterquartieren große, pompöse Kirchen. Eine von diesen ist die Stephanuskirche. Die Kirchen dienten kurz vor der Revolution von 1918/1919 dazu zu, dem Volk zu zeigen, wer die Macht hatte im Staate, nämlich die Kirche und die Monarchie. Mit diesem konservativen Ziel im Blick beschritt die Kaiserin (vielleicht ohne es zu merken) moderne Wege, indem sie als Frau für alle sichtbar Macht, Einfluss und Lenkungswillen für sich beanspruchte.
Für die 1904 eröffnete Stephanuskirche war sie die Schirmherrin. Sie war es auch, die der Kirche den Namen gab. Benannt wurde das Gotteshaus nach einem der ersten Diakone aus der Urgemeinde um Jesus. Warum es um 1900 eine gute Idee gewesen war, in dem Arbeiterbezirk Wedding auf die Diakonie zu setzen, das erfahren die Besucher am Montagabend. Übrigens: Diakonie heißt: Dienst am Menschen im kirchlichen Rahmen; weltlich gesprochen: Diakonie ist Sozialarbeit.
Die Stephanuskirche – von Beginn an zu großzügig bemessen
Was viele nicht wissen, was aber in den alten Akten in den Kellerarchiven nachzulesen ist, dass die damals schöne, neue, große Kirche von Anfang an überdimensioniert war. Zunächst fanden nur wenige Gläubige den Weg in das Gotteshaus. Wirklich voll war sie erst in den Zeiten des Ersten und des Zweiten Weltkriegs. Üppig (zu üppig?) ist auch die Innenausstattung. Berühmt ist der acht Meter durchmessende Kronleuchter. Diana Schaal, bekannt durch Führungen im Gesundbrunnen, hat den Leuchter und viele andere Einzelelemente, mit denen der Kirchsaal geschmückt ist, dokumentiert. Anzuschauen auf der Webseite schoene-kiezmomente.de.
Natürlich Baudenkmal
Schnell eingefügt an dieser Stelle seien ein paar Eckdaten zur Kirche: Die Stephanus ist eine Tochtergründung der unweit entfernt liegenden St.-Pauls-Kirche in der Badstraße. Ursprünglich vorgesehen war, dass die damals neue Kirche an der Kreuzung Grüntaler und Osloer Straße gebaut werden sollte. Das wäre für den 79 Meter hohen Turm auch ein guter Standort gewesen. Architekt war der Baubeamte Adolf Bürckner (1846–1932).
Diskussion um künftige Nutzung
Dieses Jahr darf die Stephanuskirche im Dezember ihr 120-jähriges Bestehen feiern. Mit dem Jahrestag stellt sich die Frage: Alt, unmodern und überflüssig? Oder ehrwürdig, erhaltenswert, (wieder) mit Leben zu füllen? Der Gemeindekirchenrat, der Kirchbauverein Stephanus und der Freundeskreis Stephanuskirche sprechen sich fürs Bewahren aus.
Doch die Betriebskosten sind hoch. Die nötigen Sanierungen teuer. Es braucht Millionen Euro. Begonnen wird in diesem Jahr mit der Reparatur des undichten Daches. Zahlreiche Ideen zur Nutzung gehen in der kircheninternen Debatte umher. Könnte eine Verpachtung des freien 4000 Quadratmeter großen Grundstückes hinter dem Gebäude Geld einbringen? Zum Beispiel brauchen Schulen ja immer wieder mal Ausweichstandorte für modulare Zwischenlösungen, dann könnte der Kirchraum als Aula genutzt werden. Rechtfertigt ein Neubau hinter der Kirche und eine künftige soziokulturelle Nutzung des Areals hohe Investitionen? Der Gemeindekirchenrat hat ein entsprechendes Gutachten, das diese Varianten prüft, in Auftrag gegeben.
Lässt man das Finanzielle außen vor, dann geht es auch um die Wahrnehmung des Gebäudes. Und zwar aus heutiger Sicht. Um die Achtung vor der Geschichte eines Gebäudes aus einer anderen Zeit. Eberhard Elfert möchte, dass sich die Menschen im Soldiner Kiez und möglichst darüber hinaus das Gebäude erst ein mal gemeinsam selbst näherbringen. Das ist der Grund, warum am 22. Januar zur Besichtigung einlädt. Was steckt hinter der Architektur der Stephanuskirche, innen wie außen? Die Kirche gemeinsam anschauen, schrittweise in allen Winkeln des Gebäudes auf Entdeckungsreise gehen und sich über das Gesehene austauschen und, so die heimliche Hoffnung des Kunsthistorikers, wird am Ende vielleicht sogar eine Ausstellung aus den Beobachtungen.
Gemeinsame Begehung der Stephanuskirche, Ecke Prinzenallee/Soldiner Straße, Montag, den 22. Januar, um 19 Uhr, (beheizter) Wichern-Saal