Ende Januar hatten wir die neue Stadträtin Stefanie Remlinger im Interview zum Amtsantritt. Auch Stadtrat Christoph Keller ist neu im Amt. Er ist zuständig für Jugend und Gesundheit. Im ersten Interview mit dem Weddingweiser erklärt er, warum er nicht der Schlagzeile nachjagen will und es bevorzugt, sein Amt seriös zu handeln.
Wie wollen Sie Ihr Amt angehen?
Christoph Keller: Ich habe festgestellt, dass die Politik gern vereinfacht und den Menschen möglichst einfache Botschaften mitgeben möchte. Das ist aber schwierig, wenn es um komplexe Problemlagen geht. Insofern ist mein Grundgedanke, erst einmal die Strukturen und Gremien kennenzulernen, um gemeinsam mit den Ämtern zu arbeiten. Denn die zurückliegenden Jahre haben gezeigt, dass die Menschen ein Stück weit das Vertrauen in die Politik verloren haben. Da hilft es nicht, wenn ich als Politiker Medien für die Schlagzeile antworte. Vertrauen zurückzuholen, das macht man über seriöse Arbeit und nicht über Schlagzeilen.
Ist das so zu verstehen, dass Sie ein stiller Stadtrat sein möchten?
Nein, ich will meine Möglichkeiten nutzen. Aber ich bin am Menschen orientiert und muss nicht unbedingt um der Politik willen, zum Beispiel ausschließlich für die Bezirksverordneten, handeln. Mein Ziel ist, den Familien, die hier wohnen, gute Angebote zu machen. Mein Ziel ist, dass Menschen, die mit der Verwaltung zu tun haben, eine gute Erfahrung machen. Das muss nicht immer laut vor sich her getragen werden. Als junger Stadtrat lerne ich sehr viel. Ich möchte die Themen erst einmal durchdringen. Große Veränderungen anstoßen, dass macht man gemeinsam mit den Ämtern, die auch selbst längerfristig angelegte Projekte und Pläne haben. Das kann man als Stadtrat unterstützen und für seinen Bereich kämpfen. Intensiv diskutiert werden zur Zeit Energiewende und Verkehrswende.
Stehen Sie mit Ihren Zuständigkeiten am Rand?
Ich wundere mich manchmal, dass das Thema Familie keinen hohen Stellenwert einnimmt in der Bezirksverordnetenversammlung. Aber wir hatten bisher noch nicht viele Sitzungen. Wir haben einen neu konstituierten Jugendhilfeausschuss. Auch der muss erst einmal genauso wie ich lernen, welche Angebote es alle gibt, die Kolleg:innen und die verschiedenen Bereiche kennenlernen. Erst wenn wir gemeinsam die Themen durchdringen, ist es auch sinnvoll, Ideen zu entwickeln und umzusetzen.
Worauf wollen Sie sich in Ihrer Arbeit konzentrieren?
Mein Anspruch ist, die Teilhabe aller zu ermöglichen. Damit meine ich den Zugang aller zum gesellschaftlichen Leben. Das betrifft Familien, die vom Jugendamt Unterstützung an unseren Beratungsorten bekommen. Das betrifft aber auch den Zugang zu gesundheitsfördernden Maßnahmen für Menschen mit erschwertem Zugang zum Gesundheitssystem. Zum Beispiel wohnungslose Menschen ohne Krankenversicherung. Teilhabe aller, ist der Grundgedanke.
Können Sie das konkreter sagen?
Mein Fokus liegt auf Menschen, die erschwerte Startbedingungen haben. Also Alleinerziehende zum Beispiel. Menschen mit Migrationserfahrungen. Menschen mit Behinderungen. Kinder- und Jugendliche. Konkret bedeutet das den Ausbau der Kitaplätze. Damit jedes Kind sein Recht auf einen Kitaplatz auch wahrnehmen kann. Das bedeutet flexible Kinderbetreuung für Alleinerziehende. Das ist aktuell noch ein kleines Projekt, das möchten wir im Jugendamt gern ausbauen und dauerhaft ermöglichen. Junge Menschen sollen mitsprechen und ernst genommen werden. Ein gutes Beispiel gab es beim Umbau des Abenteuerspielplatzes Telux. Es gab eine große Kinder- und Jugendbeteiligung. Am Ende haben sich die Kinder durchgesetzt bei der Frage, wie das Gebäude auszusehen hat. Gegen die ursprüngliche Sichtweise der Architekt:innen.
Ihre E‑Mail-Adresse beginnt mit familienstadtrat@. Was ist für Sie Familie?
Ich meine einen erweiterten Familienbegriff, der alle Formen, Farben, Größen, biologisch und freiwillig verbunden einschließt. Ich habe mich von Anfang an dafür eingesetzt, dass das Wort Familie im Titel meines Geschäftsbereichs auftaucht. Ursprünglich hieß dieser Jugend und Gesundheit. Den Begriff Familie wollte ich dabei haben, weil ich das für wertschätzend finde. Das Thema hat so eine hohe Wertigkeit. Die Aufgaben meines Amtes reichen wirklich von der Wiege bis zur Bahre, von der Familienhebamme, den Frühen Hilfe und dem Kinderschutz bis zur ordnungsbehördlichen Bestattung. Und allem dazwischen.
Das Interview ist eine längere Version eines Abdrucks in der Weddinger Allgemeinen Zeitung (–> E‑Paper), der gedruckten Zeitung für den Wedding. Die Fragen stellte Andrei Schnell am 9. Februar. Wir danken dem RAZ-Verlag!