Systemrelevanz – ein Wort, von dem wir noch vor einem Jahr nicht ermessen konnten, welche Bedeutung es haben würde, ist nun aus dem täglichen Sprachgebrauch nicht mehr wegzudenken.
Nehmen wir das Wort auseinander, so können wir Relevanz als wichtig und bedeutend definieren. Die Definition eines Systems ist nicht ganz so einfach. Eine Familie ist ein System. Ein kleiner Kosmos, wo jedes Mitglied Aufgaben zu erfüllen hat, damit der Haushalt funktioniert. Im Großen gedacht, sind Systeme Staaten, Vereine, Berufsgruppen und vieles mehr, was Struktur und Organisation benötigt, um zu funktionieren.
Auf der Seite des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales findet sich eine Liste der systemrelevanten Bereiche. Kunst und Kultur fanden keinen Eingang auf diese Liste und scheinen somit nicht systemrelevant.
Im Tagesspiegel vom 16.4.20 findet sich ein Zitat von Richard von Weizsäcker:
„Denn Kultur ist kein Luxus, den wir uns leisten oder auch streichen können, sondern der geistige Boden, der unsere eigentliche innere Überlebensfähigkeit sichert.“
Folgt man dieser Argumentation kommt man schnell zu dem Schluss, dass Künstler*innen auf der Liste der systemrelevanten Bereiche gehörten.
Künstlerinnen und Künstler regen mit ihren Arbeiten und neuen Denkweisen die Menschen an, selber neue Gedanken in der eigenen Arbeit im eigenen Leben zu finden. Sie gehen neue Wege neben dem Mainstream, die inspirierend wirken und auch in anderen Berufszweigen Ideen für Neuerungen aufzeigen.
Denken wir nur an die vielen neuen Formate, die durch Künstlerinnen und Künstler das Leben in der Covid-19 Zeit bereichert haben. Die Balkonkonzerte oder die Übertragung des Sing dela Sing Formates im virtuellen Raum sind zu nennen. Ausgewählte Lieder wurden über Handy-Videos von den Mitwirkenden in ihren Wohnungen aufgenommen, von Technikern zusammengeschnitten und vermittelnden so das Gefühl von gemeinsamen Gesang. Während der Ausstrahlung sah man in glückliche singenden Gesichter. Kunst macht folglich glücklich und ist das nicht schon ein guter Grund, sie als Systemrelevant zu klassifizieren?
Kunst ist eine Form des politischen Ausdrucks. Das Produzieren, Konsumieren und Verbreiten von Kunst ist ein relevanter Teil demokratischer Teilhabe.
Auf Wahlplakaten und Schildern, die bei Demonstrationen hochgehalten werden, finden sich neben der Schrift Bilder. Kleine Piktogramme, Logos, weissen schon auf eine politische Richtung hin, Smileys können Zustimmung oder Ablehnung vermitteln. Mit wenigen Linien können Inhalte übertragen werden. Bei der Vielzahl an verschiedenster Demonstrationen sollte man die Kunst als Transportmittel von Gedanken nicht unterschätzen.
Neue Formate sind am entstehen. Künstlerinnen und Künstler sind erfinderisch: Podcasts zur Kunst, der Podcast als eigenes Kunstwerk, VR Reality und digitale Ausstellungseröffnungen.
Viele Künstlerinnen und Künstler gehen mit Mut diese neuen Wege auch, wenn damit teure Invenstitionen in digitale Technik verbunden sind. Es ist nicht zu vergessen, auch dieser kreative, selbstständig arbeitende Berufszweig zahlt Miete, Kranken- und Rentenversicherung und möchte essen. Noch gibt es keine Zahlen, ob sich die Investitionen lohnen und auf virtuellen so viele Bilder verkauft werden wie auf realen Vernissagen.
Beim Betrachten eines Kunstwerkes werden Gefühle wie Wärme, Zustimmung, Ablehnung und Aufforderung zur Diskussion an die Oberfläche gebracht. Der Lockdown war gerade für Singles und Bewohnerinnen und Bewohner von Pflegeeinrichtungen eine Zeit ohne Umarmung, in der sie in Kunst und Kultur Trost fanden. Hunderte Zeichner äußern sich z.B. auf der Internetseite Illustratoren gegen Corona und der WDR stärkt Eltern mit einem täglichen, einstündigen Podcast mit der Maus den Rücken.
Ich selbst bin Künstlerin. Es ist nicht einfach, in Zeiten von Covid-19 sichtbar zu bleiben. Meinen vierteljährlichen sehr gut besuchten KunstSalon in meinem Weddinger Atelier musste ich absagen. In der ersten Zeit des Lockdowns habe ich den Entschluss gefasst, die veranstaltungsfreie Zeit zu nutzen, um einen Auszug meines Werkverzeichnisses zur Publikation vorzubereiten und so meinem Publikum die Möglichkeit zu geben auf konventionelle Weise in den Kunstgenuss meiner Arbeiten zu kommen. Die Broschüre Susanne Haun Werkschau 2013 – 2020 ist im Dezember im Eichhörnchenverlag erscheinen.
Website von Susanne Haun, E‑Mail, 0177 232 80 70