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Vom Krematorium zum Kulturort:
silent green: Zeitlose Würde

Ein Klosterhof, eine beeindruckende Konzerthalle, ein unterirdischer riesiger Betonsaal - über die Umnutzung eines ungewöhnlichen Ortes
27. Oktober 2019
Achteckiger Innenhof des Krematoriums

Im Wed­ding stand ab 1996 eine mil­lio­nen­schwe­re Inves­ti­ti­on, die moderns­te Feu­er­be­stat­tungs­an­la­ge Euro­pas. Sie bot unter­ir­disch Platz für 817 Sär­ge. Nach nur fünf Jah­ren wur­de sie geschlos­sen, die Geschich­te des his­to­risch bedeut­sa­men Kre­ma­to­ri­ums Wed­ding fand ein jähes Ende. 2013 begann ein neu­es Leben des Gelän­des als silent green Kul­tur­quar­tier. Die his­to­ri­schen Anla­gen wie die Kup­pel­hal­le und die moder­ne Beton­hal­le unter der Erde wur­den zu einem Kul­tur­ort ers­ter Güte umge­baut. Heu­te ist das Gelän­de unter ande­rem Berlinale-Standort. 

Plädoyer für die Feuerbestattung

Vie­le Zeit­schich­ten lie­gen beim Kre­ma­to­ri­um über­ein­an­der. Am ein­fachs­ten lässt sich das in drei Ebe­nen erklä­ren. Die ers­te Zeit­schicht lässt sich in der Kai­ser­zeit ver­or­ten. Eine Bewe­gung aus Frei­den­kern, Medi­zi­nern und fort­schritt­li­che Poli­ti­kern setz­te sich – vor allem aus hygie­ni­schen Grün­den – für die Feu­er­be­stat­tung ein, die noch bis 1911 in Deutsch­land ver­bo­ten war. Das Kre­ma­to­ri­um Wed­ding wur­de ab 1909 erbaut, in damals sehr moder­nen, wenig orna­men­ta­len For­men und ohne jede christ­li­che Sym­bo­lik. Dafür schmü­cken Adler als Tor­wäch­ter den Ein­gang zum acht­ecki­gen Arka­den­hof des Gebäu­des, über dem Ein­gang zur Kup­pel­hal­le ist eine mytho­lo­gi­scher Frau­en­fi­gur zu sehen. 

Krematorium Kuppelhalle silent green Kulturquartier

Auch im Innern der beein­dru­cken­den acht­ecki­gen Hal­le fin­den sich Sym­bo­le auf dem Ter­razzo­bo­den – die Schlan­ge als Sym­bol der Trans­for­ma­ti­on, Drei­ecke, die eine Flam­me dar­stel­len und auch bis­her unge­deu­te­te Mus­ter. Die Hal­le selbst ist auf­grund ihrer Akus­tik gut für Kam­mer- und Kla­vier­kon­zer­te geeig­net, erklärt Jörg Heit­mann, der das Gelän­de 2012 erwor­ben hat und es sich nicht neh­men lässt, Besu­cher­grup­pen durch die Ebe­nen zu füh­ren. In der beein­dru­cken­den, fei­er­lich wir­ken­den Hal­le mit ihren zwei Rän­gen fin­den 270 Besu­cher einen Sitz­platz. Anfangs war die Turm­la­ter­ne auf dem Dach auch der Rauch­ab­zug für die Öfen, doch schon weni­ge Jah­re spä­ter muss­te ein wesent­lich höhe­rer Schorn­stein mit einem Meter Durch­mes­ser gebaut wer­den. Die­ser blieb bis heu­te erhalten. 

Blick in die Kuppelhalle

Eine hochmoderne Überschätzung

Frü­her wur­den die Sär­ge am Ende der Trau­er­fei­er mit einem Fahr­stuhl in den Kel­ler beför­dert, wo sich die Bren­ner und Öfen befan­den. Die zwei­te Zeit­schicht, zugleich die kür­zes­te, umfasst die 1990er Jah­re. Die his­to­ri­sche Anla­ge wur­de näm­lich für vie­le Mil­lio­nen DM zur moderns­ten Feu­er­be­stat­tungs­an­la­ge Euro­pas umge­baut – eine gro­tes­ke Über­schät­zung des tat­säch­li­chen Bedarfs. Auf der Flä­che zwi­schen Gericht, Adolf– und Plan­ta­gen­stra­ße schuf man unter­ir­disch Platz für mehr als 800 Sär­ge in Hoch­re­ga­len. An immer­hin 11 Sezier­ti­schen wur­den die Lei­chen gerichts­me­di­zi­nisch untersucht. 

Ein hoher gemauerter Schornstein
Der spä­ter hin­zu­ge­füg­te Schornstein

Ein Kulturort erster Güte

Und heu­te? Die Funk­ti­ons­wei­se die­ser “Ster­be­indus­trie” lässt sich, kei­ne zwan­zig Jah­re nach der Schlie­ßung des Kre­ma­to­ri­ums im Jahr 2001, nur noch erah­nen. Die neu­en Besit­zer ver­kauf­ten die moder­nen Öfen. Die rie­si­ge Lei­chen­hal­le ver­wan­del­ten sie aber in einen Ver­an­stal­tungs­raum, die “Beton­hal­le”. 2019 wur­de sie nach grö­ße­ren Umbau­ten, bei denen eine gan­ze Säu­len­rei­he ent­fernt wur­de, ein­ge­weiht. Bis zu 1.000 Men­schen fin­den auf die­ser unter dem Grund­was­ser­spie­gel lie­gen­den Flä­che Platz. Ein klei­nes Stu­dio­ki­no gehört auch dazu. Die Ram­pe, auf der frü­her die Lei­chen unter die Erde gefah­ren wur­den, ist heu­te der nüch­ter­ne und zugleich beein­dru­cken­de Zugang zu die­ser Unter­welt. Über der Ram­pe wur­de ein moder­ner Flach­bau mit Tagungs­räu­men errich­tet, der das Gelän­de zur Adolf­stra­ße hin abgrenzt. 

Eine unterirdische Veranstaltungshalle
Die unter­ir­di­sche Betonhalle

Trotz die­ser Ver­gan­gen­heit geht vom ehe­ma­li­gen Kre­ma­to­ri­um kei­ne bedrü­cken­de Atmo­sphä­re aus. Maka­ber ist an die­sem Ort, an dem bis zu 1 Mil­li­on Ber­li­ne­rin­nen und Ber­li­ner dem Feu­er über­ant­wor­tet wur­den, heu­te nichts mehr. Viel­mehr strah­len die ober­ir­di­schen alten und neu­en Gebäu­de­tei­le eine zeit­lo­se Wür­de und Pie­tät aus. Die Urnen sind auf das Nach­bar­grund­stück umgezogen. 

Garten des Krematoriums silent green Kulturquartier

Und so ist mit­ten in der Stadt, neben dem erhal­ten geblie­be­nen Urnen­fried­hof, mit dem silent green Kul­tur­quar­tier ein grü­ner Ruhe­pol ent­stan­den, an dem bis zu 80 Krea­ti­ve der unter­schied­lichs­ten Kunst­rich­tun­gen arbei­ten. Das denk­mal­ge­schütz­te Gelän­de wird u.a. von der Gale­rie Eben­sper­ger und dem Music­board Ber­lin-Bran­den­burg genutzt. Im Kel­ler befin­det sich das Lager des Arse­nal mit über 100.000 Film­rol­len. Das Gebäu­de­en­sem­ble wird wegen sei­ner ruhi­gen Cam­pus-Atmo­sphä­re auch für grö­ße­re Tagun­gen, Fir­men­events und die Zeit-Aka­de­mie genutzt. Hoch­ran­gi­ge Fes­ti­vals und Kul­tur­ver­an­stal­tun­gen wie Kon­zer­te, Aus­stel­lun­gen und Film­in­stal­la­tio­nen fin­den im silent green-Kul­tur­quar­tier einen adäqua­ten Platz mit­ten in Berlin. 

Hof des Krematoriums
Eine Füh­rung lohnt sich

Joachim Faust

hat 2011 den Blog gegründet. Heute leitet er das Projekt Weddingweiser. Mag die Ortsteile Wedding und Gesundbrunnen gleichermaßen.

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