Für einen großen Teil der Häuser, die im September 2020 von der schwedischen “Heimstaden”-Gruppe aufgekauft wurden, wurden Ende November “Abwendungsvereinbarungen” unterzeichnet. Dazu gehören auch fünf Häuser aus dem Umfeld der Müllerstraße. Ihren Mieterinnen und Mietern steht damit ein erweiterter Mieterschutz zu. Andere hatten weniger Glück. Ihre Häuser liegen nicht in Milieuschutzgebieten oder wurden bei anderen Gelegenheiten von Heimstaden erworben.
Statt Vorkauf: einlenken
Im September 2020 vermeldete das schwedische Immobilien-Unternehmen Heimstaden Bostad einen großen Coup: In Berlin habe es auf einen Schlag 130 Immobilien mit insgesamt 3.902 Wohnungen und 208 Gewerbeeinheiten übernommen, insgesamt 282.000 Quadratmeter Mietfläche für 830 Millionen Euro. Das war ein wirklich großer Brocken: Im gesamten ersten Halbjahr 2020 sind dem Gutachterausschuss für Grundstückswerte in Berlin zufolge in 286 Verkäufen Wohn- und Geschäftshäuser im Gesamtwert von rund 1.250 Millionen Euro über den Tisch gegangen. Jetzt waren es in einem einzigen Deal etwa zwei Drittel davon. Der Kaufpreis lag mit 2.943 Euro/Quadratmeter um etwa 10 % unter den im ersten Halbjahr durchschnittlich erzielten Preisen. Der Verkäufer, das Londoner Immobilien-Unternehmen “Gabriel International Assets Limited” dürfte dennoch einen enormen Gewinn gemacht haben.
Fast zwei Drittel der Häuser aus diesem Paketverkauf liegen in Milieuschutzgebieten, in denen die Bezirke ein Vorkaufsrecht haben. Und die haben signalisiert, dass sie davon auch Gebrauch machen wollen. Das Bezirksamt Mitte zum Beispiel beschloss am 17. November die Ausübung des Vorkaufsrechts für 17 Grundstücke, darunter die Torfstraße 18, Kiautschoustraße 14 und 18, Sprengelstraße 6 und Triftstraße 63. Am 20. November lenkte Heimstaden ein und erklärte sich dazu bereit, bei den 82 Häusern aus den Milieuschutzgebieten Abwendungsvereinbarungen zu unterzeichnen. Die sichern den Mietern zusätzlichen Schutz zu, etwa vor Umwandlung oder vor Luxusmodernisierung, im Gegenzug verzichten die Bezirke auf ihr Vorkaufsrecht. Viele Mieterinnen und Mieter wären dagegen lieber im “sicheren Hafen” der kommunalen Wohnungsbaugesellschaften oder von Genossenschaften gelandet, die die Vorkäufe faktisch ausgeübt hätten. Sie hatten sich geradezu in Windeseile zu Initiativen zusammengeschlossen, in den Sozialen Medien organisiert, ihre Häuser im Stadtbild deutlich sichtbar gemacht und trotz Corona sogar mehrere Demonstrationen organisiert, wie etwa am 22. November am Leopoldplatz. Das dürfte auch international Eindruck gemacht haben.
Denn natürlich muss ab jetzt jeder internationale Großinvestor damit rechnen, in Berlin auf eine gut organisierte sowie gesellschaftlich und politisch hervorragend vernetzte Mieterschaft zu stoßen, falls er in größerem Maßstab einzusteigen gedenkt. Auch den Mietern in Heimstaden-Häusern ohne die Segnung durch die Abwendungsvereinbarungen ist in gewissem Maße geholfen: zum Beispiel denen außerhalb der Milieuschutzgebiete wie die der Gerichtstraße 52 oder Schönwalder Straße 29. Auch wenn sich jetzt die Lage wieder beruhigt und erst mal keine großen Aktionen mehr anstehen, könnten die entstandenen Netzwerke im Notfall schnell wieder in den Kampfmodus umschalten und aktiv werden. In seinen Selbstdarstellungen lobt sich Heimstaden andererseits fast schon unangenehm aufdringlich für seine Mieterfreundlichkeit und Kundenorientierung. Die Immobilienfirma gibt sich zudem sehr ökologisch und hat als Ziel ausgerufen, das nachhaltigste Wohnungsbauunternehmen Europas zu werden. Die Firma hat also ein Interesse, dass dieses Image bei ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie den über 100.000 Mieterinnen und Mietern in Skandinavien, Deutschland und anderen EU-Staaten nicht beschädigt wird. Da kann sie es sich eigentlich nicht leisten, ihren Berliner Mieterinnen und Mietern gegenüber feindlich aufzutreten.
Autor: Christof Schaffelder
Dieser Beitrag erschien in der Zeitschrift “Ecke Müllerstraße”, Ausgabe Dez. 2020/Jan. 2021