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Schließung von Karstadt am Leo: Hingehen, solange es noch geht

24. Juni 2020
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Karstadt Müllerstraße - Schließung unvermeidbar? Foto: D_Kori
Foto: D_Kori

Mei­nung: Wohl jeder Wed­din­ger, jede Wed­din­ge­rin hat Erin­ne­run­gen an ein Ein­kaufs­er­leb­nis bei Kar­stadt am Leo. Wohl­ge­merkt, Erin­ne­run­gen. Denn bei den meis­ten liegt der letz­te Waren­haus­be­such schon län­ger zurück. Jetzt, wo die Schlie­ßung des Kar­stadt ange­kün­digt wur­de, wird uns im Wed­ding schlag­ar­tig bewusst, was für ein wich­ti­ger Sta­bi­li­täts­fak­tor die­ses Kauf­haus für den Kiez ist. Doch wenn es hier über­le­ben soll, muss sich die Attrak­ti­vi­tät von Kar­stadt ändern. Aber auch unser Einkaufsverhalten.

Tisch mit Stühlen
Im Restau­rant. Foto: A. Hahn

Ein Besuch im Kar­stadt Mül­lerstra­ße mit der gan­zen Fami­lie, das gehör­te ab 1978 im Wed­ding für vie­le zu einem Sams­tag wie die Sport­schau am Abend. In den unter­schied­li­chen Abtei­lun­gen auf vier Eta­gen gab es Spiel­wa­ren für die Klei­nen, Haus­halts­ar­ti­kel, Sport­sa­chen und Elek­tro­ge­rä­te für die Gro­ßen; Stof­fe, Klei­dung, Uhren, Schmuck und Schu­he für alle Alters­grup­pen. Wenn man dar­über nach­denkt, ist das heu­te nicht mehr zeit­ge­mäß: Online-Händ­ler und gro­ße Fach­märk­te haben die bunt glit­zern­de  Waren­welt längst übernommen.

Doch auch die Kun­den haben mit den Füßen abge­stimmt und die Waren­häu­ser immer öfter links lie­gen las­sen. Kar­stadt hat dar­auf in der Ver­gan­gen­heit reagiert und ver­schie­de­ne Kon­zep­te aus­pro­biert. Vie­les wur­de in ein Shop-in-Shop-Sys­tem aus­ge­la­gert, Filia­lis­ten wie Hugen­du­bel, Fut­ter­haus und DEPOT erhiel­ten Unter­schlupf im Haus. Sogar die Fein­kost­ab­tei­lung wur­de an REWE abge­ge­ben und kommt heu­te nur noch wie ein etwas bes­se­rer Super­markt daher. Auch Elek­tro­ge­rä­te und vie­le ande­re Pro­duk­te sind ganz aus dem Sor­ti­ment ver­schwun­den – die Zei­ten, in denen man alles in einem Kauf­haus bekommt, sind vor­bei. Den Wett­be­werb mit der uner­schöpf­li­chen Aus­wahl im Inter­net konn­te Kar­stadt eigent­lich nur ver­lie­ren, auch auf Grund von offen­kun­di­gen Manage­ment-Feh­lern und Miss­wirt­schaft im Konzern.

Mehr als nur ein Gebäude

Soweit die sub­jek­ti­ve Sicht. Doch es gibt auch eine ande­re Sei­te: Kar­stadt am Leo bün­delt viel Kauf­kraft aus unse­rem und aus ande­ren Ber­li­ner Bezir­ken wie Rei­ni­cken­dorf an die­sem zen­tra­len Wed­din­ger Ort, der auch Umstei­ge­punkt zwei­er U‑Bahnen ist. Kein Zufall, dass vom U‑Bahnhof eine Trep­pe direkt an den Kar­stadt-Ein­gang führt. Das ein­zi­ge Kauf­haus im gan­zen Ber­li­ner Nor­den ist seit 42 Jah­ren ein Begriff, Arbeit­ge­ber für vie­le Beschäf­tig­te, vor allem Frau­en. Das Umfeld am Leo­pold­platz hat von die­sem wich­ti­gen Anlauf­punkt immer pro­fi­tiert, die Gegend vor dem Abrut­schen bewahrt. Man soll­te auch die Älte­ren nicht ver­ges­sen. Sie kau­fen oft nicht im Inter­net ein, haben ger­ne alles an einem Ort – und für sie ist der Kauf­haus­be­such und das Restau­rant im Kar­stadt ein wich­ti­ger Fix­punkt im Alltag.

Die Hoff­nung auf eine Ret­tung des Stand­orts Leo­pold­platz, der sicher nicht zu den schwächs­ten von Kar­stadt gehört, stirbt zuletzt. Die Lokal- und Lan­des­po­li­tik hat sich mit den Beschäf­tig­ten soli­da­ri­siert; bei einer kurz­fris­tig anbe­raum­ten Demo äußer­ten sich Bezirks­ver­tre­ter und Lan­des­ab­ge­ord­ne­te, dass sie die Schlie­ßung durch den in wirt­schaft­li­che Schwie­rig­kei­ten gera­te­nen Kon­zern Gale­ria Kar­stadt Kauf­hof nicht kampf­los hin­neh­men wer­den. Bei einer Schlie­ßung droht zudem auch jah­re­lan­ger Leer­stand, denn ein sol­ches Gebäu­de ist als Kauf­haus gebaut und kann kaum umge­nutzt wer­den. Laut Recher­chen der Mor­gen­post gehört das Kauf­haus der Ver­si­che­rungs­kam­mer Bay­ern – der Ver­wal­ter der Immo­bi­lie geht übri­gens der­zeit sogar von einem Wei­ter­be­trieb aus.

Für uns Wed­din­ger kann das bedeu­ten: Nicht nur in Erin­ne­run­gen schwel­gen, son­dern hin­ge­hen, solan­ge es geht. Die Beschäf­tig­ten von Kar­stadt freu­en sich über unse­re Ein­käu­fe. Dadurch kön­nen wir auch als Kun­den dazu bei­tra­gen, dass ihre Arbeits­plät­ze am Ende viel­leicht doch noch wie durch ein Wun­der erhal­ten blei­ben. Und viel­leicht wird aus dem Ein­kauf am Leo irgend­wann auch wie­der ein Erlebnis?

Am Frei­tag, 26.6. um 12 Uhr fin­det vor dem Kar­stadt eine Kund­ge­bung statt. 

Straßenbild am Abend

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Joachim Faust

hat 2011 den Blog gegründet. Heute leitet er das Projekt Weddingweiser. Mag die Ortsteile Wedding und Gesundbrunnen gleichermaßen.

2 Comments Leave a Reply

  1. Wer­ter Weddingweiser,
    wenn ich oder mei­ne Fami­lie etwas brau­chen, dann brau­chen wir nicht ein Ein­kaufs­er­leb­nis, son­dern ein­fach nur die Schu­he repa­riert, ein Stück Kuchen, mal ein Fisch und ande­res wich­ti­ges mehr. Das alles gibt es im Waren­haus. Und dort kön­nen wir zwi­schen meh­re­ren Mar­ken (z.B. bei Hem­den, Hosen, etc.) wäh­len, ohne durch die gan­ze Stadt zu reisen.
    Bit­ter rächt sich der boo­men­de Online Han­del mit gehet­zen Fah­rern mit schlech­ter Bezah­lung und Jeff Bezos (Pre­si­dent von Ama­zon) lacht sich eins über unse­re Corona-Masken.

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