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Round not Square: Lesen und weiterrollen

8. September 2018
Buchrollen aus dem Verlag. Foto: A. Oertel
Buchrol­len aus dem Ver­lag. Foto: A. Oertel

Sie sind ange­tre­ten um nichts Gerin­ge­res zu tun, als die Schrift­rol­le neu zu erfin­den. Anto­nia und Ioan betrei­ben seit vier Jah­ren den welt­weit ers­ten Ver­lag, der Buchrol­len aus Hand­ar­beit ver­legt – Round not Squa­re. Als Stand­ort für ihr klei­nes Impe­ri­um haben sie sich den Euler­kiez im Wed­ding aus­ge­sucht. Von hier aus erzäh­len sie Geschich­ten, die nicht durch das läs­ti­ge Umblät­tern unter­bro­chen wer­den – die Buchrol­le wird ein­fach ein biss­chen weitergerollt.

Vie­le loka­le und inter­na­tio­na­le Schrift­stel­ler, Comic­zeich­ner oder Foto­gra­fen haben sich von dem hap­ti­schen Erleb­nis in den Bann zie­hen las­sen und rea­li­sie­ren ihre Pro­jek­te zusam­men mit dem Ver­lag Round Not Squa­re. Und dies mit­un­ter so güns­tig, dass sich auch der Otto­nor­mal­ver­brau­cher die klei­nen Schmuck­stü­cke leis­ten kann.

Wie alles begann …

Antonia und Johann vom Verlag Round not Square in der Eulerstraße. Foto: A. Oertel
Anto­nia und Ioan vom Ver­lag Round not Squa­re in der Euler­stra­ße. Foto: A. Oertel

Seit vier Jah­ren lebt das Pär­chen Anto­nia und Ioan in der Euler­stra­ße 21 und bewohnt zusam­men mit ihren zwei Kin­dern eine Alt­bau­woh­nung über den Ver­lags­räum­lich­kei­ten. Ken­nen­ge­lernt haben sich die Stutt­gar­te­rin und der Fran­zo­se in einer Mün­che­ner Unter­neh­mens­be­ra­tung. Damals änder­te sich das Inter­net­de­sign hin zu Sei­ten, die ledig­lich her­un­ter­ge­scrollt wer­den. Die bei­den Künst­ler besan­nen sich auf die Zeit, als Men­schen ihre Gedan­ken noch auf Papier­rol­len nie­der­schrie­ben. Die Idee eines Ver­la­ges, der hoch­wer­ti­ge Buchrol­len pro­du­ziert, war gebo­ren. Der Zufall woll­te es, dass der Gas- und Was­ser­in­stal­la­teur Bie­der­mann sei­ne Geschäfts­räu­me im glei­chen Haus auf­gab, um nach Japan aus­zu­wan­dern. Nach auf­wen­di­gen Sanie­rungs­ar­bei­ten war nun Platz für die Pro­duk­ti­ons- und Laden­flä­che. Doch woher die 11.000 Euro für die not­wen­di­ge Druck­ma­schi­ne neh­men, wenn nicht stehlen?

Starthilfe durch Schwarmfinanzierung

Eine Arbeit des amerikanischen Künstlers Larry Yust, gedruckt im Wedding. Foto: A. Oertel
Eine Arbeit des ame­ri­ka­ni­schen Künst­lers Lar­ry Yust, gedruckt im Wed­ding. Foto: A. Oertel

Über eine Crowd­fun­ding-Kam­pa­gne sam­mel­ten Anto­nia und Ioan 14.341 Euro ein. Bei die­ser Form der Finan­zie­rung wird ein bestimm­tes Pro­jekt erst rea­li­siert, wenn genug Unter­stüt­zer gefun­den wer­den. Ins­ge­samt konn­ten sich 184 Inter­net­nut­zer für das Werk „Street Colors, Cat­ching the Eye“ von Lar­ry Yust begeis­tern. Eine kon­ge­nia­le Ver­bin­dung, da die lan­gen Pan­ora­ma­bil­der des ame­ri­ka­ni­schen Autors und Foto­gra­fen durch das Rol­len­for­mat end­lich über eine Sei­ten­län­ge hin­aus abge­druckt wer­den konn­ten. Der bekann­te Künst­ler ver­schaff­te sich dann auch vor Ort einen Ein­druck vom Rol­len-Ver­lag und war sehr beein­druckt vom Stadt­teil Wed­ding. Ein Spa­zier­gang führ­te den 1930 gebo­re­nen Foto­gra­fen auf das ehe­ma­li­ge Fabrik­ge­län­de der AEG in der Vol­ta­stra­ße. Dort ent­deck­te er einen Turm­auf­gang, der von einem fran­zö­si­schen Street Art-Künst­ler gestal­tet wur­de und mach­te die­sen wie­der­um zum Teil sei­ner Kunst.

102. Stockwerke auf einer Seite

Das Werk eines französischen Streetart-Künstlers auf dem ehemaligen AEG-Gelände, gedruckt in der Eulerstraße. Foto: A. Oertel
Das Werk eines fran­zö­si­schen Street­art-Künst­lers auf dem ehe­ma­li­gen AEG-Gelän­de, gedruckt in der Euler­stra­ße. Foto: A. Oertel

Doch nicht nur ame­ri­ka­ni­sche Künst­ler wie der in Hol­ly­wood leben­de Lar­ry Yust ver­le­gen ihre Geschich­ten im Round Not Squa­re –Ver­lag. Die Dresd­ner Comic­zeich­ne­rin Lui­sa Sten­zel erzählt in einer ein­zi­gen Illus­tra­ti­on ihre Ver­si­on des Rot­käpp­chen-Mär­chens. In „Wil­ma und der Wolf“ trifft die klei­ne Hel­din auf einen unschul­di­gen Back­pa­cker-Wolf, der sich so ger­ne an die Men­schen­welt anpas­sen möch­te. Die Hand­ar­beit ist bereits für 25 Euro im Online-Shop des Ver­la­ges oder für Selbst­ab­ho­ler erhält­lich. Auch die Ber­li­ne­rin Katha­ri­na Gre­ve setzt auf das Rol­len­for­mat und lässt ihr mit dem Max und Moritz-Preis aus­ge­zeich­ne­tes „Hoch­haus“ im Round Not Squa­re-Ver­lag pro­du­zie­ren. Vom Kel­ler bis zum Dach­ge­schoß umfasst der Comic 102. Stock­wer­ke und konn­te nur in Form einer Buchrol­le auf einer ein­zi­gen lan­gen Sei­te ver­ewigt wer­den. Die Lin­ol­schnit­te des Künst­lers Her­bert E. Wie­gand rich­ten sich eher an die Erwach­se­nen­welt. Auf einer Län­ge von 20 Metern ent­fal­tet sich ein Pan­ora­ma der nor­we­gi­schen Küs­ten­land­schaft, wie es nur auf einer Schrift­rol­le mög­lich ist.

Für die Badewanne geeignet?

Eine Buchrolle, gedruckt in der Eulerstraße. Foto: A. Oertel
Eine Buchrol­le, gedruckt in der Euler­stra­ße. Foto: A. Oertel

Anto­nia und Ioan sehr ger­ne im Wed­ding. Ihre Kin­der kön­nen auf dem benach­bar­ten Euler-Spiel­platz ihre Ener­gie frei­set­zen und für Anto­nia hat der Stadt­teil genau das rich­ti­ge Tem­po: „Wir schät­zen, dass sich im Kiez ste­tig etwas ver­än­dert, aller­dings nie zu viel.“ Wir kom­men kurz auf Wed­din­ger Schu­len zu spre­chen, weil die­se Fra­ge die jun­gen Eltern umtreibt. Sie möch­ten der Rudolf-Wis­sel-Grund­schu­le in der Eller­be­ker Stra­ße trotz ihres ver­meint­lich schlech­ten Rufs eine Chan­ce geben. Schließ­lich ken­ne man sie ja nur vom Hören­sa­gen. Anto­nia und Ioan sind im Wed­ding ange­kom­men und haben sich hier ein sozia­les Netz­werk auf­ge­baut. Sie freu­en sich über jeden Kiez­be­su­cher und deren Fra­gen wie bei­spiels­wei­se: „Kann ich die Buchrol­le auch mit in die Bade­wan­ne neh­men?“ Wen die Ant­wort inter­es­siert erhält sie direkt in der Euler­stra­ße 21.

Zukunft der Buchrolle gesichert

Eine Buchrolle aus dem Verlag. Foto: A. Oertel
Eine Buchrol­le aus dem Ver­lag. Foto: A. Oertel

Gefragt nach zukünf­ti­gen Wunsch­pro­jek­ten fällt Anto­nia spon­tan die jüdi­sche Tora­rol­le ein, die die fünf Bücher Moses zum Inhalt haben. Auch wenn es bereits einen Kon­takt zum Jüdi­schen Muse­um gibt, ist eine Umset­zung unge­wiss. Schließ­lich wird die hebräi­sche Bibel von Hand geschrie­ben und unter­liegt gewis­sen Koscher-Vor­schrif­ten. Ich bin gespannt, was sich das krea­ti­ve Pär­chen ein­fal­len lässt. Auch über eine Koran-Ver­si­on haben Anto­nia und Ioan bereits nachgedacht.

Die bei­den erzäh­len mir von einer flo­rie­ren­den Comic-Sze­ne im Kiez, die mir selbst als Ur-Wed­din­ger bis dato ent­gan­gen ist: der Repro­dukt Ver­lag in der Gott­sched­stra­ße oder ein Pär­chen, dass ihre Strich­zeich­nun­gen aus der Labö­er­stra­ße her­aus ver­legt. Mir wird bewusst, dass es hier eine gut ver­netz­te Künst­ler­sze­ne gibt, die auf den ers­ten Blick nicht ersicht­lich ist und die in nächs­ter Zeit sicher noch wach­sen wird. Mir fällt der Bauch von Anto­nia auf. Er könn­te ein Fett­näpf­chen sein, da es ja auch Frau­en gibt mit eher weib­li­chen Run­dun­gen. Ich traue mich zu fra­gen und erfah­re: Die Buchrol­len-Sze­ne erhält noch in die­sem Jahr Nach­wuchs, so dass die Zukunft die­ses erhal­tens­wür­di­gen Hand­werks gesi­chert ist.

Round Not Squa­re – Ver­lag für Buchrol­len, Euler­stra­ße 21, Mon­tag bis Frei­tag, 10–12 Uhr und 13–17 Uhr geöff­net, E‑Mail: i[email protected],  Tele­fon: (030) 52 28 68 22

Autorenbild Andreas Oertel

Als sein Gas-/Was­ser­in­stal­la­teur nicht mehr da war, frag­te Andre­as Oer­tel sich, was da für ein komi­scher Ver­lag ein­ge­zo­gen ist.

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