Immer wieder bleiben Menschen an der Kreuzung stehen, wenn sie das weiße Geisterrad entdecken. Seit wenigen Tagen lehnt es in der Reinickendorfer Straße an einem Geländer auf dem Mittelstreifen der breiten und stark befahrenden Straße, kurz bevor die Straße zur Fennstraße wird, direkt an der Einmündung Schönwalder Straße. Blumen liegen davor, Kerzen brennen und erinnern an das tragische Unglück, das hier am Freitag vor einer Woche geschehen ist. Am 1. Oktober um 11.20 Uhr ist an dieser Stelle eine junge Radfahrerin bei einem Unfall gestorben.
Ein Mann tritt an diese Stelle des Gedenkens. Er schaut ganz genau auf das Foto der 29-Jährigen, das irgendjemand an das Rad gelehnt hat. Nein, er kennt sie nicht. Beim Allgmeinen Deutschen Fahrrad-Club Berlin e.V. (ADFC) ist zu lesen, dass sie Maxi hieß. Zu sehen ist eine blonde junge Frau mit Jeans und gestreiftem T‑Shirt, mit schwarzem Rucksack, in dem eine Sonnenblume streckt. „Die Zeit für Dich/mit Dir war zu kurz!“ wurde handschriftlich unter dem Foto notiert. Der Mann betrachtet das junge Gesicht, seufzt und geht seiner Wege. Gleich darauf entdeckt eine ältere Frau das Geisterrad. Sie will eigentlich nach Hause und schnell zum Bus, doch dann bleibt sie neben dem weiß gestrichenen Rad stehen – am Ende wird sie zwei weitere Busse verpassen. Sie beschäftigt vor allem, wie das passieren konnte und wer die Schuld trägt.
Der Hergang des Unfalls ist relativ gut rekonstruiert worden. Die Kreuzung war am vergangenen Freitag für Stunden gesperrt worden, Hubschauber haben aus der Luft alles genau aufgenommen, die Kreuzung vermessen, auf der Straße sind noch die Markierungen der Polizei zu sehen. Die junge Radfahrerin war auf der Schönwalder Straße unterwegs und wollte an der Ampel nach links in die Fennstraße einbiegen. Ein neben ihr fahrender LkW-Fahrer bog nach rechts Richtung Nettelbeckplatz ab und überrollte sie. Trotz Reanimationsmaßnahmen starb die Radfahrerin noch an der Unfallstelle. Der 43-jährige Fahrer des Lkw erlitt einen Schock.
Bereits 30 Verkehrstote in diesem Jahr
„Die Radfahrer sind immer schwächsten, wie die Fußgänger – sie haben keine Chance“, sagt die ältere Frau, die auch den nächsten Bus fahren lässt, um am Geisterrad der jungen Frau zu gedenken. Wie in den vergangenen Jahren gab es auch 2021 bereits einige sogenannte Abbiegeunfälle zwischen Lastwagen und Radfahrenden. Laut ADFC kamen in diesem Jahr in Berlin bereits neun Radfahrende im Straßenverkehr zu Tode – aber auch acht Fußgänger:innen, fünf Insassen von Autos, fünf Motorrad- oder Rollerfahrende sowie drei weitere Verkehrsteilnehmer:innen. Insgesamt starben 30 Menschen im Straßenverkehr (2020: insgesamt 50).
Gerade zwei Tage vor dem tödlichen Unfall im Wedding starb ein weiterer Radfahrer (86) in Pankow, die Umstände sind jedoch noch nicht geklärt. Für beide haben der ADFC Berlin e. V. und Changing Cities e. V. am Sonntag jeweils ein Geisterrad aufgestellt. Zudem gab es Mahnwachen und eine Fahrraddemonstration zu den Unfallorten. An der Mahnwache im Wedding nahmen 150 Menschen teil. Die Fahrraddemonstration zog dann weiter bis zum Bundesverkehrsministerium. Bei der Abschlusskundgebung unterstrich der ADFC seine Forderungen nach einem besseren Schutz für Radfahrende in Berlin. Neben allgemeiner Aufmerksamkeit und Rücksichtnahme gehöre dazu laut ADFC auch eine „fehlerverzeihende Infrastruktur“. Lkw müssten endlich mit Technik ausgestattet werden, die tödliche Kollisionen verhindern. Ein einfacher Abbiegeassistent ist ab dem kommenden Jahr für LkW verpflichtend. Der ADFC fordert aber weitergehende Maßnahmen wie einen Abbiegeassistenten mit Kollisionserkennung und Notstopp für alle Lkw und das nicht nur bei ab dann neu zugelassenen Fahrzeugen. Auch bessere Kontrollen der vorgeschriebenen Schrittgeschwindigkeit beim Abbiegen wurden gefordert.
Für die 29-Jährige Radfahrerin kommen alle künftigen Verkehrssicherheitsmaßnahmen zu spät – jeder noch zu bauende oder zu markierende Radweg*, jedes Sicherheitssystem, jede mögliche künftige gesetzlich Regelung. Das weiße Geisterrad an der Unfallstelle erinnert an sie und an den schweren Unfall, der nicht nur nach Meinung der beiden Innehaltenden an der Unfallstelle hätte verhindert werden müssen.
* Der Bau der Radwege im Wedding kommt nur langsam voran. Auf vielen stark befahrenen Straßen im Stadtteil sind Radfahrende weitgehend ungeschützt, so in der Brunnenstraße, der Badstraße, der Prinzenallee, in Teilen der Müllerstraße, in der Amrumer Straße und der Pankstraße. Zuletzt sollten in der Müllerstraße zwischen S‑Bahnhof Wedding und S/U Leopoldplatz die Radstreifen markiert werden. Laut Bezirksbürgermeister Stephan von Dassel sollte damit am 27. September begonnen werden. Bisher haben die Arbeiten jedoch nicht begonnen. Auf eine Anfrage vom 4. Oktober hieß es aus der Pressestelle des Bezirks, dass die ausführende Firma derzeit die Erstellung eines Verkehrszeichenplans veranlasst, damit die Verkehrslenkung Berlin die Absperrung für die Markierung genehmigen kann.
Was ist verkehrstechnisch überhaupt in der Müllerstraße los?
Ständig Stau, dieser scheiß motorisierte Individualverkehr, es ist zum Kotzen.
Diese stinkenden und lärmenden Mordinstrumente weichen auf die Nebenstraßen aus und fahren da viel zu schnell, parken in 2. Reihe und überholen Radfahrende viel zu dicht.
Was macht die Verkehrsplanung, das Ordnungsamt? Ich hab da noch nie jemanden gesehen, der eingeschritten wäre.
Autos raus aus der Stadt1
Hallo Herr Karaduman,
diese Unterstreichung ist nicht vorhanden um eine Unterscheidung zu machen. Diese Unterstreichung ist deshalb da, weil dieser Satzabschnitt mit einem Link verknüpft ist, der zu einem anderen Artikel mit ähnlichem Thema führt bzw. in diesem Fall sogar zur Quelle und für Sie als Service zum genauen Nachlesen eingefügt wurde. 🙂
Probieren Sie es einfach mal aus und klicken sie doch einfach mal auf den unterstrichenen Text! 🙂
Liebe Grüße
Hallo,
neun Radfahrende zu Tode schreiben sie unterstrichten, um es deutlich hervorzuheben. Daraufhin erwähnen Sie auch Fußgänger etc.
Ja, genau! Es sterben auch andere Verkehrsteilnehmende, deren Leben genauso wichtig ist wie die der Radfahrenden!
Ich finde es nicht gut, dass Sie bei Toten eine Unterscheidung machen!!!
LG
Karaduman