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Erinnerungspflege:
Plädoyer für Pflege des Rathenaubrunnens

22. Juni 2022
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Gast­au­tor Hen­ning Mar­card ist trau­rig über den Zustand des Rathen­au­brun­nens im Volks­park Reh­ber­ge. Liegt die Ver­nach­läs­si­gung des Brun­nens dar­an, dass Walt­her Rathen­au in Ver­ges­sen­heit gera­ten ist? Dass nie­mand mehr weiß, dass der 24. Juni 2022 sein hun­derts­ter Todes­tag ist? Unser Gast­au­tor aus dem Afri­ka­ni­schen Vier­tel erin­nert an das Leben des auch für den Wed­ding bedeut­sa­men “ers­ten Opfers der Nationalsozialisten”.

Beschmier­ter und ver­sieg­ter Rathen­au-Brun­nen in den Reh­ber­gen. Foto: Hen­ning Marcard

Am 24. Juni die­ses Jah­res jährt sich das töd­li­che Atten­tat auf Walt­her Rathen­au zum 100. Mal. Rathen­au? Die Ber­li­ner ken­nen den Rathen­au­platz in Halen­see, dort wo der Kur­fürs­ten­damm auf die Stadt­au­to­bahn trifft. Künst­le­risch auf­ge­wer­tet durch die – zunächst kon­tro­ver­sen, mitt­ler­wei­le iko­ni­schen – ein­be­to­nier­ten Cadil­lacs, die 1987 Teil des „Skulp­tu­ren­bou­le­vards“ Kur­fürs­ten­damm wur­den, als Ber­lin sein 750-jäh­ri­ges Stadt­ju­bi­lä­um feierte.

Etwas wei­ter süd­lich wur­de Walt­her Rathen­au das „Ers­te Opfer des Drit­ten Reichs“, wie es sein Bio­graf Hel­muth M. Bött­cher beschreibt. An der Stel­le, wo der Reichs­au­ßen­mi­nis­ter von rechts­ra­di­ka­len Atten­tä­tern durch Schüs­se und eine Hand­gra­na­te ermor­det wur­de, fin­det man heu­te einen Gedenk­stein, und noch etwas wei­ter Rich­tung Süden steht sei­ne Vil­la, die er 1910 errich­ten ließ.

Der Wedding und Rathenau: Eine eigene Geschichte.

Emil Rathen­au, Walt­hers Vater, grün­de­te in den 1880er Jah­ren die AEG, bald einer der welt­größ­ten Elek­tro­kon­zer­ne und damit einer der Schritt­ma­cher der Indus­tri­el­len Revo­lu­ti­on in Ber­lin. Das monu­men­ta­le Ein­gangs­tor und die teils his­to­ri­schen Gebäu­de auf dem AEG-Gelän­de am Wed­din­ger Hum­boldt­hain zeu­gen noch heu­te davon.

Vater von Walt­her Rathen­au grün­de­te die AEG mit einer wich­ti­gen Fabrik im Wed­ding. Foto: Hen­ning Marcard.

Die Fami­lie Rathen­au leb­te an der Gren­ze zum Wed­ding in der Chaus­see­stra­ße 99. Dort kam der ers­te Sohn Walt­her zur Welt.

Die Fami­lie Rathen­au war jüdisch. Als beken­nen­der Jude wuss­te Walt­her Rathen­au um die Res­sen­ti­ments, die einer Kar­rie­re in der Poli­tik ent­ge­gen­stan­den. Die Anfein­dun­gen, die er spä­ter als deut­scher Außen­mi­nis­ter ertra­gen muss­te, waren auch immer juden­feind­lich ein­ge­färbt. Dabei war Walt­her Rathen­au poli­tisch ein Libe­ra­ler mit teils revo­lu­tio­nä­ren Vor­stel­lun­gen bezüg­lich der Metho­den, die Aus­wüch­se des Kapi­ta­lis­mus ein­zu­däm­men. Bis heu­te fin­det man unter deut­schen Minis­tern und Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­ten kei­ne jüdi­schen Reprä­sen­tan­ten mehr.

Walt­her Rathen­au war Schrift­stel­ler, Phi­lo­soph, Lieb­ha­ber und För­de­rer der Küns­te. Aber auch Orga­ni­sa­tor der Kriegs­wirt­schaft wäh­rend des ers­ten Welt­krie­ges. Bedeu­tend für Wed­din­ger, die sich mit der Geschich­te des Afri­ka­ni­schen Vier­tels beschäf­ti­gen: Nach der Nie­der­schla­gung der auf­stän­di­schen Here­ro und Nama in der ehe­ma­li­gen Deut­schen Kolo­nie Deutsch-Süd­west­afri­ka (heu­te Nami­bia) beglei­te­te Walt­her Rathen­au den Lei­ter des Reichs­ko­lo­ni­al­am­tes Bern­hard Dern­burg als Wirt­schafts-Sach­ver­stän­di­ger auf zwei Rei­sen zunächst nach Deutsch-Ost­afri­ka (heu­te Tan­sa­nia, Rwan­da, Burun­di) und spä­ter nach Süd­afri­ka und Deutsch-Süd­west­afri­ka. Er ver­ur­teil­te die Gräu­el­ta­ten, die deut­sche Kolo­ni­al­her­ren an der afri­ka­ni­schen Bevöl­ke­rung ver­übt hat­ten, und kon­sta­tier­te, dass die deut­schen Kolo­ni­al­ge­bie­te dau­er­haft kei­nen wirt­schaft­li­chen Nut­zen für das Kai­ser­reich bie­ten wür­den. Ein ers­ter Schritt auf dem lan­gen, stei­ni­gen Weg der Dekolonisation.

Sei­ne außen­po­li­ti­schen Über­zeu­gun­gen und Hand­lun­gen ori­en­tier­ten sich dar­an, dass ein Aus­gleich der Inter­es­sen aus­schließ­lich auf dem Wege der Diplo­ma­tie erreicht wer­den kön­ne. Vie­le Außen­mi­nis­ter haben sich seit Kriegs­en­de 1945 auf Walt­her Rathen­aus Prin­zi­pi­en berufen.

Walt­hers Mut­ter Mat­hil­de gelang es nach sei­nem gewalt­sa­men Tod, den bekann­ten Kunst­lieb­ha­ber und Schrift­stel­ler Har­ry Graf Kess­ler dafür zu gewin­nen, eine ers­te auto­ri­sier­te Bio­gra­fie über Wal­ter Rathen­au zu ver­fas­sen, die 1928 erschien. Kess­ler und Rathen­au waren ein­an­der gut bekannt und ihnen war gemein­sam, dass sie „ewi­ge Jung­ge­sel­len“ waren. So sag­te man damals.

Tipp: Kess­lers Rathen­au-Bio­gra­phie ist als kos­ten­lo­ses E‑Book für Ama­zon Kind­le erhältlich.

Der versiegte Rathenau-Brunnen im Volkspark Rehberge

Im Volks­park Reh­ber­ge stößt man auf den Rathen­au-Brun­nen: ein Denk­mal, eine Skulp­tur, eine trau­ri­ge Geschich­te. 1930 vom Bild­hau­er Georg Kol­be geschaf­fen, beein­druckt der Brun­nen bis heu­te die expres­sio­nis­ti­sche, stren­ge und monu­men­ta­le Form­ge­bung. Zwei Reli­ef­plat­ten am Auf­gang zum Pla­teau zei­gen die Köp­fe von Emil und Walt­her Rathen­au im Profil. 

Nach­dem die Natio­nal­so­zia­lis­ten unter Hit­ler im Jahr 1933 die Macht in Deutsch­land über­nom­men hat­ten, dau­er­te es nicht lan­ge: Noch im sel­ben Jahr wur­de der Rathen­au-Brun­nen im Volks­park Reh­ber­ge demon­tiert und spä­ter ein­ge­schmol­zen. Walt­her Rathen­aus Schrif­ten fie­len den Bücher­ver­bren­nun­gen der Nazis zum Opfer.

Es folg­ten zwölf Jah­re Nazi-Bar­be­rei, die bedin­gungs­lo­se Kapi­tu­la­ti­on, Besat­zung, Ber­lin-Blo­cka­de, Luft­brü­cke, Mau­er­bau und kal­ter Krieg.

Erst 1987, zur 750-Jahr-Fei­er Ber­lins, wur­de der Rathen­au-Brun­nen im Volks­park Reh­ber­ge rekon­stru­iert. Eine Doku­men­ta­ti­on der Arbei­ten ist hier zu fin­den. Eine groß­flä­chi­ge Abbil­dung des spru­deln­den Brun­nens im Jahr 1989 ziert den U‑Bahnhof Rehberge.

Tris­tesse jedoch, wenn man den Brun­nen heu­te besucht: seit gut 20 Jah­ren fließt kein Was­ser mehr über die Bron­ze­schrau­be. Das Brun­nen­be­cken ist tro­cken – immer­hin wird offen­bar der dort hin­ein­ge­wor­fe­ne Abfall regel­mä­ßig ent­sorgt. Die Brun­nen­plas­tik und die zum Ensem­ble gehö­ren­den Mau­ern und Säu­len sind groß­flä­chig durch Graf­fi­ti ver­un­stal­tet. Eine Tafel, die die Sym­bo­lik und his­to­ri­sche Bedeu­tung des Brun­nens erklärt, sucht man ver­ge­bens. Auch der Denk­mal­schutz, sonst ger­ne sehr gründ­lich, scheint sich nicht zu kümmern.

Hun­dert Jah­re genü­gen also, um Anlass und Geschich­te des Denk­mals in Ver­ges­sen­heit gera­ten zu las­sen. Allen Bür­gern und Grup­pen, die sich heu­te für Erin­ne­rungs­or­te, Mahn­ma­le, Gedenk­stät­ten usw. ein­set­zen, soll­te dies eine War­nung sein: Hun­dert Jah­re nur und die Poli­tik, die Öffent­lich­keit, die Ver­wal­tung und die Insti­tu­tio­nen, die sich auf eine zu ehren­de Per­son beru­fen – sie wen­den sich ab.

Schlecht gepflegte Erinnerungsorte in der gesamten Stadt

Der Gedenk­stein am Ort des Atten­tats in der Koe­nigs­al­lee prä­sen­tiert sich in einer ähn­lich trau­ri­gen Sze­ne­rie: Die nicht ver­rot­te­ten Über­res­te eines Kran­zes der Rathen­au-Gesell­schaft – man fragt sich, ob sie dort seit dem 100. Geburts­tag oder seit dem 90-jäh­ri­gen Jah­res­tag des Atten­tats lie­gen. Die BSR umkreist den Gedenk­ort offen­bar auch in gebüh­ren­dem Abstand. Und auch das Rathen­au-Muse­um in den Räu­men von Schloss Frei­en­wal­de: dau­er­haft geschlos­sen, Zukunft unge­wiss.

GVer­rot­ten­de Krän­ze statt Pfel­ge des Gedenk­or­tes Koe­nigs­al­lee. Foto: Hen­ning Marcard.

Ledig­lich die Rathen­au-Vil­la in der Koe­nigs­al­lee und die Grab­stät­te der Fami­lie auf dem Wald­fried­hof Schö­ne­wei­de befin­den sich nicht in einem bekla­gens­wer­ten Zustand.

Weiterführende Links

Wir. Der Mut­mach-Pod­cast der Ber­li­ner Morgenpost

Von Hit­ler zu Putin, von Rathen­au zu Selenskij

Vor 100 Jah­ren: Walt­her Rathen­au wird Außenminister

Die frü­hen Jah­re der Wei­ma­rer Republik

1. Wer war Walt­her Rathenau?

Doku­men­ta­ti­on von Jür­gen Corleis

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Gastautor

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  1. Herz­li­chen Dank an den Autor und den Wed­ding­Wei­ser für den infor­ma­ti­ven Bei­trag und das Bemü­hen, Auf­merk­sam­keit für das ein­zig­ar­ti­ge und ver­nach­läs­sig­te Denk­mal zu schaffen.

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