Wie ist es, als evangelische Pfarrerin in einem Multi-Kulti-Bezirk zu leben und zu arbeiten? Veronika Krötke – seit 2016 im Kiez – erzählt aus ihrem Pfarrer-Alltag am Gesundbrunnen. Gemeinsam mit Andreas Hoffmann bildet sie das Pfarrer-Team in der Kirchengemeinde an der Panke.
Tempelartige Kirche St. Paul
“Sonntag, 10 Uhr, die Glocken der Kirche St. Paul – dem tempelartigen umzäunten Schinkelbau an dem sehr pulsierenden Ort Bad- Ecke Pankstraße – läuten. Der ein oder andere dreht sich noch einmal im Bett herum und zieht die Bettdecke über die Ohren, während andere schon am Frühstückstisch versammelt sind und weichgekochte Eier pellen. Sonntagmorgen, auch für mich, wenn ich mit dem Talar unterm Arm die Treppen meiner Wohnung im Gemeindehaus herunterhaste und dem Kirchdienst die Tür aufschließe. Für mich ist Gottesdienstzeit. Ab 9 Uhr werden Lieder gesteckt, Kerzen angezündet, die Mikroanlage überprüft, letzte Absprachen getroffen. Meine Kinder liegen noch im Bett. Und wenn meine Tochter doch mag, kommt sie mit zum Gottesdienst, sitzt bei mir ganz vorne in der ersten Reihe und sammelt zusammen mit dem Kirchdienst Kollekte. Alltag einer Pfarrfamilie. Sonntagnachmittag lohnt sich ein Spaziergang an der Panke. So heißt auch unsere Gemeinde: „an der Panke“. Entlang des kleinen Flüsschens lassen sich die drei sehr unterschiedlichen Kirchen/ Standorte unserer Gemeinde besuchen. Der äußerlich klassizistische Bau der Kirche »St. Paul« (1835) mit einer innenarchitektonischen Gestaltung aus den 1950er Jahren nach der völligen Zerstörung im Zweiten Weltkrieg ist der Hauptstandort unserer Gemeinde. Hier finden in der Regel alle Gottesdienste statt. Unser Gemeindebüro – die sogenannte Küsterei – befindet sich hier, verschiedene Gruppen und Kreise treffen sich im Gemeindehaus – vor allem Seniorinnen und Senioren fühlen sich hier aufgehoben, Kinderchöre und Projektchorarbeit mit unserer Kirchenmusikerin Annette Diening erfreuen sich reger Beliebtheit. Der schöne Innenhof gleicht einer kleinen Oase im tosenden Großstadtverkehr der bekannten Weddinger Straßenkreuzung. Gerne wird hier zu verschiedenen Anlässen gefeiert. Und auch die Weddinger Konfirmandinnen und Konfirmanden treffen sich im Haus.
Beeindruckende Stephanuskirche
Gute zehn Minuten zu Fuß Richtung Wollankstraße ragt der 80 Meter hohe Turm der neugotischen Stephanuskirche empor. Als städtebaulicher Akzent ist sie im Jahr 1904 errichtet worden und vom Humboldthain und anderen Aussichtspunkten gut zu erblicken. Derzeit arbeiten wir an einem Umnutzungskonzept für die sehr sanierungsbedürftige Kirche. Auf Bundesebene sind 5,5 Millionen Euro für eine Sanierung bewilligt – eine Gegenfinanzierung durch das Land Berlin ist aktuell noch fraglich. Da das Kirchenschiff mit dem vermutlich größten Radleuchter Deutschlands (8 Meter im Durchmesser) nicht beheizt werden kann, finden Gottesdienste nur gelegentlich an diesem Ort statt. Dafür ist die Kirche jeden Freitag von 16 bis 18 Uhr geöffnet und ich selbst stehe dort für Gespräche zur Verfügung. Im Frühjahr und Sommer öffnet die Kirche ihre Pforten für ganz unterschiedliche Veranstaltungen: u.a. „Orgel mit Biss“ (30 min Orgelmusik, im Anschluss essen und trinken in der Kirche.), wechselnde Ausstellungen, Kino, Public Viewing und vieles mehr. Auf dem Vorplatz der Kirche bietet der Imbiss „Speisekammer“ leckeren Kuchen, Bio-Eis und Bio-Brot an. Oben im Gemeindehaus findet man das vom Quartiersmanagment Soldiner Kiez geförderte „Müllmuseum“.
Besonders gerne bin ich wöchentlich im anliegenden evangelischen Kindergarten in der Soldiner Straße. Ich bin immer wieder beeindruckt von der Vielfalt der Sprachen, Kulturen und Religionen, die mir durch und in den Kindern begegnen. Mit ihnen jede Woche zu singen und Geschichten zu erzählen ist ein großes Geschenk und eine meiner wichtigsten Aufgaben.
Nochmals gute zehn Minuten fußläufig Richtung S‑Bahnhof Wollankstraße, kurz vor dem Netto-Parkplatz, steht das kleine Gemeindehaus “Martin Luther“, welches nur noch in kleinerem Rahmen gemeindlich genutzt wird.
Wenn ich sonntags frei habe und die Glocken läuten, dann dringt das Läuten auch an mein Ohr – und dann drehe ich mich nochmal herum und schlafe beruhigt weiter. Ich weiß, dass sich nun Menschen auf den Weg machen und gelebt und gefeiert wird in unserer Kirche. Und höre den Klang der Orgel, der leise zu mir herrüberweht. Lange kann ich ehrlicherweise nicht ausschlafen. Meine Kinder sind vom Geläut wach geworden und bestehen darauf, dass ich nun endlich an meinem freien Sonntag Frühstückseier koche und Brötchen aufbacke. Wie in vielen anderen Familien auch.”
Gemeinsam möchten Pfarrer Andreas Hoffmann und ich noch intensiver in den Austausch mit den jeweiligen Kiezakteuren treten (Soldiner Straße und Badstraße), das Bewusstsein für den interkulturellen und interreligiösen Austausch schärfen, die Arbeit mit Familien und Kindern neu beleben, um beispielsweise den St. Martins-Umzug und Krippenspiele und Familiengottesdienste weiterhin gestalten zu können. Und unsere Kirchen öffnen. Dafür braucht es Menschen, die Lust haben und Zeit zur Verfügung stellen, sich ehrenamtlich zu engagieren. Auch für eine »Offene Kirche«. Wir leben, wie viele andere Institutionen auch, von vielen, die mittun.
Website der Kirchengemeinde an der Panke