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„Oleanna“ und die Macht der Worte in der „Alten Kantine“

2. Februar 2015
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“Ole­an­na”, Alte Kan­ti­ne Wed­ding. Foto: Kat­ja Hantsche

Klein und ver­schüch­tert sitzt Stu­den­tin Carol (Frie­de­ri­ke Drews) auf ihrem Platz am Schreib­tisch des Pro­fes­sors John (Tho­mas Gie­ge­rich). Sie hat Angst, die Prü­fung nicht zu bestehen und möch­te ihn um Hil­fe bit­ten. Carol setzt an, von ihren Sor­gen zu berich­ten, John illus­triert gefäl­lig die sei­nen, geht auf und ab, setzt sich auf den Schreib­tisch, spricht ins Publi­kum. Er ist selbst­si­cher, das hat er gelernt – als Kind für dumm gehal­ten, hat er es doch geschafft und lehrt nun ande­re. Den­noch ent­weicht ihm Kri­tik an der Schi­ka­ne, die das Sys­tem, der Lehr­be­trieb in sei­nen Augen ist. Eine Macht­hei­sche­rei, in der er jedoch ein gemach­ter Mann gewor­den ist. Die Pro­fes­sur auf Lebens­zeit steht bevor, par­al­lel wird ein gemä­ßes Haus für die Fami­lie gebaut, er ist ein gemach­ter Mann.

Es fin­det ein Dia­log statt, der kei­ner sein wird. Zwei sich stän­dig unter­bre­chen­de Mono­lo­ge aus zwei Wel­ten, die sich schon auf ver­ba­ler Ebe­ne nicht tref­fen, anein­an­der vor­bei­ge­hen. Gestört wird das Wort­ge­met­zel durch stän­di­ge Anru­fe von Johns Frau, es geht um den Haus­bau. Carol möch­te ihre Nöte dar­le­gen, ist auf­ge­bracht, bricht in Trä­nen aus. Er beru­higt sie, legt ihr beschwich­ti­gend die Hän­de auf die Schul­ter. Akt I endet, als John tele­fo­nisch zu einer Par­ty gela­den wird, er bricht unver­se­hens auf, Carol ihren Satz ab.

„Ole­an­na“, das der ame­ri­ka­ni­sche Autor David Mamet 1992 in Anleh­nung an einen pres­se­be­kann­ten Fall um sexu­el­le Beläs­ti­gung am Arbeits­platz schrieb, greift in sei­nem Lauf Femi­nis­mus, Gleich­heit, akzep­tier­te Kon­ven­tio­nen, eli­tä­re Struk­tu­ren, Gewalt und sexu­el­le Beläs­ti­gung auf.

Carol will das Aufsehen

In Akt II erfährt der Zuschau­er in einem wei­te­ren geschei­ter­ten Ver­such des Dia­logs und Ver­ste­hens, dass Carol John der sexu­el­len Beläs­ti­gung bezich­tigt hat, sie ver­weist auf das Macht­spiel, dass durch sei­ne Hän­de auf ihren Schul­tern statt­fand. Er beteu­ert, er habe kei­ne Absich­ten gehabt, ihr geht es um die erfolg­te Sache an sich. Die Situa­ti­on eska­liert schließ­lich, John hält Carol gewalt­sam vom Ver­las­sen sei­nes Büros ab.

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Frie­de­ri­ke Drews (Carol). Regis­seur Hans Hirsch­mül­ler und Tho­mas Gie­ge­rich (John). Foto: Tho­mas Wenzel

An einem wei­te­ren Tag, Akt III, gibt Gie­ge­rich sei­ner Figur John den Anblick eini­ger auf­rei­ben­der Näch­te: rotes Gesicht, zer­zaus­te Haa­re, er sitzt schlaff in sei­nem Stuhl. Carol steht auf­recht, ges­ti­ku­liert, geht auf und ab, pre­digt. Es geht um das eli­tä­re Sys­tem, das Patri­ar­chat der Uni­ver­si­tät und der Gesell­schaft, das Ungleich­ge­wicht von Mann und Frau und das kon­ven­tio­nel­le, sexis­ti­sche Wort („Sie sehen heu­te hin­rei­ßend aus“, sprach der Pro­fes­sor zu einer Stu­den­tin). Die Phra­se, die dahin­plät­schert und doch anzüg­lich ist, die Frau in eine Ecke drängt. Die jedoch so stan­dar­di­siert ist, dass es wenig Auf­se­hen gibt. Carol will das Auf­se­hen, aktiv. Sie will ein Exem­pel sta­tu­ie­ren, geht auf dem Rechts­weg und ver­bal bis zum Äußers­ten. Der Wort­an­teil hat sich gewan­delt, sie ver­weist den Pro­fes­sor radi­kal auf sei­nen Platz. Bis ihm der Kra­gen platzt, er sie zusam­men­schlägt und das Wort „Fot­ze“ laut in den Raum dringt, gefolgt von wei­te­ren wüs­ten Beschimp­fun­gen. Doch Carol steht wie­der auf. Ihre Wor­te „Einer muss immer lei­den, bis­wei­len lei­den wir alle“ schlie­ßen das Stück.

Rich­ten kann nur, wer zuhört 

Gefühl­te Tat ver­sus gewoll­te Tat – sie ist der Trop­fen, der Carols Fass, gefüllt mit Unge­rech­tig­keit, schie­fer Macht­la­ge, einem har­ten Kampf um Bil­dung und sozia­len Auf­stieg, zum Über­lau­fen bringt und sie zur Kämp­fer­na­tur erwach­sen lässt – stolz dar­ge­stellt von Frie­de­ri­ke Drews. Regis­seur Hans Hirsch­mül­ler hat die Pro­ben meis­ten­teils am Tisch statt­fin­den las­sen, die Cho­reo­gra­phie soll­te sich von selbst erge­ben. Dies gelang. Ganz natür­lich wächst die Kör­per­hal­tung mit dem Wortanteil.

Hin­zu kommt der zer­hack­te Dia­log, der dem hilf­lo­sen Zuschau­er den Puls in die Höhe treibt. Feh­len­des Ver­ständ­nis und man­geln­des Zuhö­ren, bekann­te The­ma­ti­ken, die jedoch nie ver­ge­hen kön­nen, wenn die Gesell­schaft nicht zuhört.

Der Zuschau­er hört. „Rich­ten kann nur, wer zuhört“ heißt es im Trai­ler von „Ole­an­na“.

Doch fällt das Rich­ten schwer, Carol ern­tet mit ihren im Kern wah­ren Ansa­gen Lacher im Publi­kum. Ihre Beweg­grün­de, ihr Anlie­gen, ihr Räso­nie­ren, so wahr und rele­vant sie sind, basie­ren doch auf einer Ges­te, der „Tat“, die für den Zuschau­er nicht der logi­sche Aus­lö­ser für ihren Kampf sein kann. Ihre Wor­te glei­ten dadurch ins Absur­de. Die Berech­ti­gung für ihr eige­nes Tun, die es in der Rea­li­tät gibt, fehlt.

Das ist die Schwä­che von Mamets Werk, die der Dis­kus­si­on in den zwei Pau­sen jedoch kei­nen Abbruch tut. Im Publi­kum wer­den Erfah­run­gen und Mei­nun­gen ausgetauscht.

Pola­ri­sie­ren­den Zünd­stoff zum wah­ren Gespräch, und das ist wich­tig, gab es damit auch wäh­rend der aus­ge­buch­ten Pre­mie­re und der Fei­er danach.

Zu sehen ist „Ole­an­na“ am 4. und 5. Febru­ar um 19:30 Uhr in der Alten Kan­ti­ne in den Wed­din­ger Ufer­hal­len, Ufer­stra­ße 8–11. Die Wor­te der Macher hier im Wed­ding­wei­ser.

Simo­ne Lindow

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