Österlicher Moment Es gibt diese Religionen ja nicht erst seit gestern, deshalb sind sie oft gar nicht so von gestern. Ich meine aber nicht Godspots und Online-Predigten, das päpstliche Schauspiel im Livestream, oder dergleichen. Ich stelle es fest, als wir hinter der Kirche mit den Kindern Eier suchen, und zum Feiertag die Orgel spielt. Durch die geöffneten Seitenfenster dringt die Musik nach draußen, einige Menschen sitzen mit Abstand in der Nähe im Hinterhof, um zu lauschen. Ein Lied kennen alle, oder es wurden ein paar Zettel verteilt, jedenfalls singen viele kräftig mit. Das klingt sehr schön.
Von meinem Platz bei den versteckten Osternestern sehe ich auch auf die andere Seite der Kirche, durch die Vergitterung schaut ein Obdachloser, der verblüfft den vielen Stimmen in der Luft nachlauscht. Er hat die Kapuze tief ins Gesicht gezogen, den Schal hoch bis zu den Augen. Ein paar Momente später wühlt er ein Smartphone aus seinem Handwagen und fängt an, eine Aufnahme zu machen. Das war dann mein österlicher Moment.
Meditation über die Aufnahme
Als die Handys in unser Leben kamen, hat man sie noch sehr verlacht. Ich arbeitete als Schüler auf Straßenfesten, zur besseren Koordination hatte unser Chef ein ungefähr zwei Kilo schweres Brikett zum Telefonieren angeschafft. Ich glaube er hatte auch Telekom-Aktien. Zum Glück rückte er das Gerät nicht raus, sondern trug es selbst herum. Damit wir ihn anrufen konnten, verteilte er Telefonkarten an die Verkaufsstellen. Trotzdem man mit dem Akku des Telefons auch tägliche Übungen im Gewichtheben machen konnte, hielt er nicht sehr lang. Ich glaube, er hatte schnell einen zweiten Akku dabei und konnte auch im Auto laden. Heute kann man mit Akkus dieser Größe das Auto selbst 100 Kilometer fahren. Dass wir uns alle darüber amüsierten, störte ihn nicht, da bin ich mir sicher. Schon ein oder zwei Jahre später schlichen wir ja selbst um Mobilfunkgeräte herum und zählten unsere Ersparnisse.
Man machte Witze über die, die telefonierend herumspazierten, viele Erstbesitzer von Handy versteckten sich damit in Telefonzellen zum Telefonieren. Als dann alle begannen, auf ersten Geräten herumzudrücken, sah das technische Spielzeug von gerade noch schon wie ein Dinosaurier aus. Und war ja auch ungefähr so schwer. Da hatte man etwas, bevor alle anderen es hatten, und sobald es alle hatten, hatte man das älteste, abgehängteste Gerät. Meine Galerie an Mobilfunkgeräten im Schrank taugt schon für eine kleine historische Ausstellung, vermutlich wäre es besser gewesen, sie nach der Ablage an jemanden zu verschenken, der damals eins gebraucht hatte, oder sie zu verkaufen. Das kleine Handymuseum in meinem Schrank hat nicht so viel Sinn, außer ich will ein paar Mikrogramm Gold aus den Platinen schmelzen.
Ausblick
Heute ist jedem ein Telefon angewachsen, viele sind auch wieder ähnlich schwer wie die ersten Geräte, könnten aber selbsttätig eine Rakete zum Mond fliegen. Bald gibt es sie hoffentlich als Implantat, denn unpraktisch ist das schon, diese Faustkeile immer in der Arschtasche herumzutragen. Satelliten steuern uns damit, Funksignale von uns werden zu Big Data, und man kann spontan eine wackelige Aufnahme mit etwas rauschigem Ton davon machen, dass ein paar Menschen zusammen etwas in den Pandemie-Himmel singen. Ob er die Aufnahme jemals noch einmal anschaut, wer kann das sagen? Das meiste wird aufgenommen, ohne dass es noch einmal angeschaut wird. Aber dass es überhaupt etwas gibt, was man aufnehmen will, ist das eigentliche Hoffnungszeichen. Vielleicht moderner als die Technik selbst.