Der erste Tag des Jahres ist der Tag des Ausschlafens, aber auch der des Neujahrsspaziergangs. Frei nach dem Motto: Wohin mit dem Kater? An die frische Luft! Einige unserer Autor:innen verraten, wo sie heute spazieren gehen werden.
Neujahrsspaziergang 1: Durch die ruhigen, grünen Gassen
Manch einer braucht am ersten Tag des Jahres neben frischer Luft vor allem Stille. Diesen Menschen sei ein Gang durch beschauliche Gassen empfohlen. Start ist auf der Gleim-Oase in der Gleimstraße direkt an der Grenze zu Pankow. Von hier führt der erste Weg des Jahres über die schweigsame Swinemünder Fußgängerpromenade zum Vinetaplatz. Von dort geht es rechts die parkähnliche Stralsunder hinunter. Kurz die Ohren zuhalten beim Überqueren der Brunnenstraße und schon ist man wieder ganz für sich. Am Ende der Stralsunder Straße wartet ein grünes Gässchen namens Theodor-Heuss-Weg auf den Ruhesuchenden. Über ein paar Treppenstufen (und eine parallele Rollstuhlrampe) geht es zu einer verschlafenen Einbahnstraße. Ende des Spaziergangs ist im Park auf dem Nordbahnhof – auch hier dröhnt nur der eigene Kopf. Andrei Schnell
Neujahrsspaziergang 2: Die Seenkette
Dass die Berliner Landschaft eiszeitlich geprägt ist, hat sicher jeder schon einmal gehört. Sichtbar wird das aber nur an wenigen Stellen. Kein echter Geheimtipp, aber immer einen Ausflug wert: die drei Gewässer am Rand des Volksparks Rehberge. Beginn der Wanderung ist am Parkeingang an der Afrikanischen Straße (Höhe Otawistraße). Nimmt man gleich den ersten Weg rechts, gelangt man an die Südspitze des Möwensees. Diese eiszeitliche Rinne war immer zu feucht, um bebaut zu werden und wurde dann bei der Anlage des Parks 1929 zu einem langgezogenen See umgestaltet. Zu jeder Jahreszeit ist dieser urige See einen Besuch wert, und wenn er zugefroren ist, sowieso. Das Betreten ist aber streng verboten, der See ist eingezäunt und gehört allein den Graureihern.
An seiner Westseite führt eine Promenade hoch zum Hauptweg vor dem Freiluftkino Rehberge. Rechts davon zweigt der nächste Weg hinab zum Entenpfuhl, einem übersichtlichen Teich, der komplett umrundet werden kann. Eine pittoreske Bogenbrücke überspannt den Zufluss an der tiefsten Stelle. Etwas höher und nicht minder verwunschen der kleinste der drei Seen, der Sperlingsee. Seine Ufer sind tief in die Dünenberge eingeschnitten. Er bietet ein unerwartetes, naturnahes Bild, das man im Wedding so nicht vermuten würde. Erklimmt man den Hügel, den Leutnantsberg, hat man eine tolle Seen- und Bergwanderung hinter sich, ideal, um nach einer durchfeierten Silvesternacht einmal kurz aus der Puste zu kommen. Joachim Faust
Neujahrsspaziergang 3: Auf der Grenze
Der Plan ist: In diesem Jahr drehe ich Neujahr eine Runde um meinen Kiez, das Brunnenviertel. Genau auf der Grenze will ich gehen und sehen, was sich dort so alles getan hat. Ich starte am Bahnhof Gesundbrunnen, gehe über die Swinemünder Brücke, dann scharf links an der Bahnlinie entlang in den das neue Wohngebiet im nördlichen Mauerpark. Ob sich das noch immer anfühlt wie ein exterritorialer Ort, so wie früher der Potsdamer Platz (bevor doch ein wenig Leben eingezogen ist)? Ich laufe durch den Mauerpark, zwischen Birkenwäldchen und Mauergarten. Wieviele Hochbeete gibt es da inzwischen eigentlich? Ich werde sie zählen. Ich gehe weiter durch den Park, der sowas wie ein Zentrum des bunten Berliner Lebens, aber an Neujahr vermutlich eher still ist.
An der Bernauer Straße wechsle ich die Straßenseite und folge dem Postenweg entlang der ehemaligen Mauer. Tourist:innen werde ich an diesem Tag wahrscheinlich nur wenig treffen, aber wer weiß? Ob es eine Silvesterparty im Supersonico gab? Ich werde schauen, ob ich Anzeichen dafür entdecke. Ich laufe weiter entlang der Metallstäbe, die den Mauerverlauf markieren und die ich irgendwie mag. Ich schaue mir die Glocken der Versöhnungskirche an und werfe einen Blick über den Zaun in den Gemeinschaftsgarten Niemandsland. Was ist da im gerade abgelaufenen Jahr gewachsen?
Ich gehe weiter bis zum Nordbahnhof und staune mal wieder. Eine tote Brache war das hier vor gar nicht so langer Zeit. Jetzt ist hier das Leben eingezogen, das mich auch regelmäßig anzieht. Ich biege nach rechts in den Park am Nordbahnhof. Ich laufe durch den Park, den ich erst seltsam fand, aber heute als beste grüne Querung zwischen den so gegensätzlichen Kiezen für mich entdeckt habe. Ich bin gespannt, welche aktuellen Themen die Sprayerszene an die einzige legale Sprayerwand in Mitte gesprüht hat. An der North Side Gallery mache ich bestimmt ein paar Fotos (für Weddingweiser-Instagram?), dann gehe ich bis zur Liesenbrücke, die leider noch immer vor sich hin rostet und weiterhin keine grüne Fuß- und Radverbindung zwischen Nordbahnhofpark und Humboldthain ist. Ich notiere mir, dass ich die Verkehrsstadträtin demnächst danach frage, ob sie hier aktiv zu werden plant.
Ich folge der Gartenstraße, gehe unter den Liesenbrücken hindurch und mache wie immer viele Fotos von diesem imposanten Bauwerk. Ich schaue, ob der Friedhofszaun schon fertig ist und gehe noch hinüber zum Himmelbeet. Wie schön wäre es, wenn es dort an der Feuerschale einen Neujahrspunsch gäbe oder das Gartencafé etwas Warmes anbieten würde. Dann könnte ich den noch neuen Gartenstandort genauer anschauen, auch wenn er jetzt schläft. Das wäre doch ein schöner Abschluss für meinen Neujahrsspaziergang! Dominique Hensel
Neujahrsspaziergang 4: Bei Schiller im Schillerpark
Es gibt im nördlichen Wedding nichts Schöneres als am frühen Neujahrstag in den Schillerpark zu gehen, finde ich. Das frische Grün der großen Wiese zu Füßen von Friedrich Schiller auf seinem hohen Sockel ist eine Augenweide. Es sei denn, es ist verschneit. Auch eine große Fläche reines Weiß sind vor allem am verkokelten Neujahr eine Augenweide.
Schließlich begibt man sich per pedes dorthin entlang der Straßen voller Silvesterreste, Böller in Chinarot oder Häuflein mit Raketenfetzen: man wird entschädigt für das Grummelige des Neujahr und das noch verhallende Geballer. Auch im Park stehen hier und da Flaschenreihen um Brandstellen herum und man hat fast noch Jubelrufe und das Zischen der aufsteigenden Feuerblumen im Ohr, aber die grüne Wiese ist groß.
Ein Rundgang durch den Schillerpark ist überschaubar, aber erholsam. Man kann den Fernblick und die aufrechte entschiedene Haltung mit Schiller teilen, während seine Musen eher in sich versunken sinnieren. So manches Attribut oder Graffiti steht dort am Sockel und gibt Anlass zu assoziativen Gedanken über das Zusammenspiel von Alt und Neu.
Auch ein Haiku kommt mir in den Sinn.
Neujahr!
Schiller‘s Blick in die Ferne
Reiner Mut!
Schaut man von der Bastion aus über Schiller‘s Schulter hinweg nach Süden, so hat man eine Weite vor Augen, die dem jährlichen Neubeginn und guten Vorsätzen viel Raum gibt. Renate Straetling
Neujahrsspaziergang 5: Einmal rund um den Plötzensee
Still ruht der See. Still der Sand am Strandbad Plötzensse, still der Anleger der Fischerpinte, deren Paddel- und Ruderboote kieloben an Land liegen. Aber wer am Neujahrstag um die langgezogene Eiszeitrinne neben dem Rehbergepark läuft, wird nicht ganz alleine sein. Viele Familien nutzen den gut ausgebauten Rundweg, um nach den aufregenden Feiertagen die lebenslustige Kinderschar „auszulüften“. Aber das fröhliche Kindergeschrei ist nichts, verglichen mit dem Trubel, der im Sommer herrscht, wenn am für den Badebetrieb gesperrten und durch immer neue Zäune abgesperrten Ostufer täglich hunderte Sonnenhungrige den geschützten Vogelarten den Platz streitig machen. Deutlich sind die Spuren der Übernutzung des östlichen Seeufers inzwischen mit dem bloßen Auge zu erkennen. Sollte der See am Neujahrstag zugefroren sein (was meist erst im Februar geschieht), lässt sich der gleiche Trubel dann auf der zugefrorenen Eisdecke beobachten, nur sind es dann die Eisbadenden, die in der Nähe des Ufers Löcher in die Eisschicht hacken, um ins Wasser zu kommen.
Eine halbe Stunde dauert ein gemütlicher Spaziergang um den gerade mal 750 Meter langen See. Am idyllischsten ist der Blick auf die Natur vom Rastplatz an der Nordspitze aus, an dem fürsorglich Denkende sogar einen hölzernen Wickeltisch für die jüngsten Ausflügler gezimmert haben. Mit etwas Glück lässt sich auch ein Fischreiher blicken, der sich in dieser ruhigen Ecke eingenistet hat. Wer den Spaziergang am ersten Tag im Jahr besinnlich fortführen möchte, kann von dort in Richtung Norden weitergehen zum öffentlich zugänglichen Friedhof am Plötzensee, auf dem etwa 5000 Kriegsopfer aus den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs begraben liegen. Rolf Fischer
Gehört der Neujahrsspaziergang auch zu Euren Ritualen? Wo (im Wedding) verläuft Eure Strecke?