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Neuer Name für den Nettelbeckplatz?

30. März 2023
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Im Wed­ding gibt es seit 1875 eine Kol­ber­ger Stra­ße. Ganz in der Nähe hat man 1874 einem der berühm­tes­ten Söh­ne der Stadt Kol­berg eben­falls einen Platz gewid­met, dem See­mann Joa­chim Net­tel­beck (1738−1824), der sich vor allem als Ver­tei­di­ger der Fes­tung Kol­berg gegen die napo­leo­ni­schen Trup­pen einen Namen gemacht hat­te. Nun aber soll, für vie­le über­ra­schend, der Net­tel­beck­platz umbe­nannt wer­den. Wie ist es zu die­sem Beschluss im Bezirks­par­la­ment gekommen?

Umstrittener Namenspate

Joa­chim Net­tel­beck galt schon zu Leb­zei­ten als schil­lern­de Per­sön­lich­keit. Bereits als Elf­jäh­ri­ger hat­te Net­tel­beck auf Skla­ven­schif­fen gear­bei­tet und war auch spä­ter aktiv im Ver­skla­vungs­han­del tätig. Sei­ne Ver­stri­ckung in den Kolo­nia­lis­mus ist heu­te unum­strit­ten. So hat die Ham­bur­ger Mor­gen­post im April 2011 Net­tel­beck als einen der „Män­ner, die es durch ihre Gräu­el­ta­ten in fer­nen Län­dern zu zwei­fel­haf­tem Ruhm gebracht haben“, bezeich­net. Spä­ter ver­such­te er durch sei­ne guten Ver­bin­dun­gen zum Staat, für Preu­ßen Kolo­nien zu erwer­ben. Von den Natio­nal­so­zia­lis­ten wur­de Net­tel­beck von der Pro­pa­gan­da als beson­ders patrio­tisch dar­ge­stellt, bei­spiels­wei­se in dem Film “Kol­berg” aus dem Jahr 194344.

Nettelbeckplatz
Foto: And­rei Schnell

Als Namens­ge­ber ist Net­tel­beck also kaum trag­bar. Die Bezirks­ver­ord­ne­ten­ver­samm­lung (BVV) hat das Bezirks­amt daher 2021 mit der Ein­lei­tung eines Umbe­nen­nungs­ver­fah­rens beauf­tragt (wir berich­te­ten). Auf Betrei­ben der CDU-Frak­ti­on wur­de der Beschluss um den Auf­trag ergänzt, dass die Ent­schei­dung, die Infor­ma­ti­on über die Umbe­nen­nungs­grün­de und die Namens­fin­dung im Zusam­men­spiel mit zahl­rei­chen Akteu­ren, dar­un­ter den Anrainer:innen, zu erfol­gen hat. Am Ende soll ein Votum der Anwoh­ner­schaft ein­ge­holt wer­den, ob sie für die Umbe­nen­nung sind. Die­ses Votum soll in die abschlie­ßen­de Ent­schei­dung der Bezirks­gre­mi­en ein­be­zo­gen werden. 

Ein­sen­dun­gen wer­den in einem Bera­tungs­gre­mi­um geprüft und dis­ku­tiert. Dem Bera­tungs­gre­mi­um gehö­ren neben Mit­glie­dern der Bezirks­ver­ord­ne­ten­ver­samm­lung und des Bezirks­amts auch Men­schen aus der Nach­bar­schaft und auch zivil­ge­sell­schaft­li­cher Orga­ni­sa­tio­nen an, die sich für die Umbe­nen­nung des Net­tel­beck­plat­zes ein­ge­setzt hatten.

Im Gre­mi­um sol­len geeig­ne­te Namen aus­ge­wählt wer­den, die dann dem Aus­schuss für Wei­ter­bil­dung und Kul­tur der BVV Mit­te vor­ge­schla­gen wer­den. Der Aus­schuss erwirkt schließ­lich einen Beschluss der BVV.

Direk­te Anwohner:innen gibt es übri­gens nicht – die Haus­num­mern der Häu­ser am Platz bezie­hen sich auf die Gericht‑, die Lin­dower, die Pank- und die Rei­ni­cken­dor­fer Straße. 

Namensvorschläge werden online gesammelt

Anders als bei den umstrit­te­nen Namens­vor­schlä­gen im Afri­ka­ni­schen Vier­tel wer­den dies­mal online Ideen gesam­melt, bis 24. April kann man etwas ein­rei­chen. Dies­mal ist prin­zi­pi­ell jeder erdenk­li­che Name mög­lich, nur bestimm­te Bedin­gun­gen sind zu erfül­len. So wer­den nur Vor­schlä­ge berück­sich­tigt , die dem Ber­li­ner Stra­ßen­ge­setz und den Aus­füh­rungs­vor­schrif­ten zu § 5 des Ber­li­ner Stra­ßen­ge­set­zes (AV Benen­nung) ent­spre­chen. Ein in Ber­lin vor­han­de­ner Stra­ßen­na­me kann nicht erneut ver­wen­det wer­den. Bei der Ver­wen­dung von Per­so­nen­na­men gilt, dass die namens­ge­ben­de Per­son bereits fünf oder mehr Jah­re tot sein muss. Dar­über hin­aus gibt es spe­zi­el­le Anfor­de­run­gen des Bezirks: Ein Bezug zur Stadt Ber­lin, ins­be­son­de­re zum Stadt­be­zirk Mit­te, ist gewünscht. Die Wür­di­gung erfolgt von Per­so­nen und Ereig­nis­sen bzw. Orten, deren Namen mit der Stär­kung der Demo­kra­tie, der huma­nis­ti­schen Gesin­nung, der wis­sen­schaft­lich-tech­ni­schen Ent­wick­lung, der inter­na­tio­na­len Bemü­hun­gen um Frie­den und Men­schen­rech­te u.a. ver­bun­den sind.

Einen Vor­schlag gibt es schon seit letz­tem Jahr: Der Hei­mat­ver­ein Wed­ding e.V. hat vor­ge­schla­gen, den Platz in “Platz der unbe­sun­ge­nen Hel­din­nen” umzu­be­nen­nen. Bernd Schimm­ler, Vor­sit­zen­der des Hei­mat­ver­eins, begrün­det den Vor­schlag: „Als ein Zei­chen für die Zivil­cou­ra­ge im Klei­nen ehren wir die Wed­din­ger Frau­en, die im Nazi­reich jüdi­schen Mit­bür­gern das Leben geret­tet haben.“ In Yad Yas­hem in Isra­el sind die­se Frau­en bereits als „Gerech­te unter den Völ­kern“ aus­ge­zeich­net worden.

weddingweiserredaktion

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10 Comments

  1. Also ehr­lich jetzt mal, haben wir nicht ande­re Pro­ble­me, als die­se schwach­sin­ni­gen Umbe­nen­nun­gen ? Was soll das…das ist nun mal Geschichte…soll die­se jetzt auch umge­schrie­ben wer­den, weil da lau­ter ” böse” Begrif­fe exis­tie­ren. Wis­sen die Leu­te vor Lan­ge­wei­le nicht, was sie machen sol­len, es gibt genug zu tun. Ich kann die­sen Blöd­sinn von Gen­dern, Umbe­nen­nung von Stra­ßen und Plät­zen, Ände­run­gen von Buch­tex­ten nicht mehr hören. Ein Hoch auf die moder­ne Gesellschaft…würg.

    • Ihr Frau­en, ord­net euch euren Män­nern unter, so wie ihr euch dem Herrn unter­ord­net. Denn wie Chris­tus als Haupt für sei­ne Gemein­de ver­ant­wort­lich ist, …
      Ephe­ser 5.22 ‑33.
      Das ist Diskriminierung!!
      Ver­leug­nen oder gar ver­bren­nen wir jetzt die Bibel?
      SARKASMUS ENDE!!
      Es freut mich, dass ich nicht allein auf wei­ter Flur mit mei­ner Mei­nung bin.

  2. Es gehört zur Geschich­te Deutschlands,
    Ver­leug­nen wir Vergangenheit?
    Wann wird Sie­mens­stadt umbenannt?
    Wes­halb gibt es, in den Medi­en ange­prie­sen, einen Hype um die Krupp Villa?
    Mar­tin Luther, wie haben wir ein Jahr gefei­ert und plötz­lich ist er in Ungna­de gefal­len, da es anti­se­mi­tisch e Aus­sa­gen gab?
    Ver­ban­nen wir dem­nächst die alten Dich­ter und Den­ker und Autoren, weil in der Lite­ra­tur von Negern, India­nern, Zigeu­nern etc., etc. .…, die Rede ist?
    Mir wur­de bei­gebracht, wenn man sich mit Geschich­te beschäf­tigt, so darf man die­se nicht mit dem Jetzt betrach­ten und gleich­set­zen, son­dern die dama­li­ge Welt­ord­nung ver­su­chen zu verstehen.
    Was haben Kolum­bus, Magel­lan, Dra­ke usw. gemacht?
    Wer hat Hum­boldt in Süd­afri­ka geführt und wie hat er die Men­schen benannt?
    Es ist Wei­ter­ent­wick­lung und wir soll­ten end­lich auf­hö­ren, die Lan­ge­wei­le eini­ger Leu­te für sol­chen Irr­sinn zu bezahlen.

  3. ich bin so dank­bar das es leu­te gibt die kein leben haben und sich in der BVV um wich­ti­ge din­ge kümmern.
    ‑iro­nie ende-
    des­halb wäh­le ich kei­ne BVV mehr und bin in kei­nem ver­ein mehr,dafür ist mir die lebens­zeit zu schade.

    • Zeit, dei­ne unge­frag­te Mei­nung zu äußern, um Men­schen zu dis­kre­di­tie­ren, die sich um eine leb­haf­te und inte­gra­ti­ve Stadt­ge­mein­schaft bemü­hen, fin­dest du aber trotz­dem. Prioritäten.

  4. Schön, dass dies­mal die Bür­ge­rin­nen und Bür­ger ein­be­zo­gen wer­den sol­len. Ich hof­fe, dass dies­mal auch die Umset­zung der Umbe­nen­nung in der Senats­ver­wal­tung klappt. Als Bewoh­ner einer im Dezem­ber 2022 umbe­nann­ten Stra­ße im Afri­ka­ni­schen Vier­tel kann ich bei der S‑Bahn mit dem neu­en Stra­ßen­na­men noch nicht mal online ein 29-Euro-Ticket kau­fen. Auch bei ande­ren Online­por­ta­len wird der neue Name nicht akzeptiert.

  5. Guten Mor­gen
    Bevor man dem Herrn Net­tel­beck ……, der 1771 !!! in Ams­ter­dam auf einem hol­län­di­schen Skla­ven­schiff als Ober­steu­er­mann anheu­er­te , das dicht an der afri­ka­ni­schen Küs­te ent­lang fuhr, um bereits ver­sklav­te Men­schen bei ein­hei­mi­schen Anbie­tern gegen Waf­fen, Schieß­pul­ver, Tabak, Schnaps, Tex­ti­li­en und Krims­kram zu erhan­deln. Er nutz­te das Pri­vi­leg des Ober­steu­er­manns, selbst einen Gewinn durch den Han­del mit Gold­staub zu erzie­len….. wegen mög­li­chen !? Skla­ven­han­del jetzt noch nach­träg­lich „ankla­gen“ will , soll­te man sich viel­leicht mal mit dem Ursprung des Skla­ven­han­dels aus­ein­an­der­set­zen . Mög­li­cher­wei­se erfährt man dan Din­ge die einem die Trä­nen in die Augen treibt , wer damit so sein Lebens­un­ter­halt verdiente ….
    Klei­ner Hin­weis…. Die Jagd auf Skla­ven und die Ver­brin­gung zu den Schif­fen wur­de in der Mehr­heit der Fäl­le von ara­bi­schen und afri­ka­ni­schen Händ­lern betrie­ben; die Euro­pä­er waren an der stei­gen­den Nach­fra­ge nach Skla­ven betei­ligt, jedoch nicht direkt an der Skla­ven­jagd oder am inner­afri­ka­ni­schen Sklavenhandel.
    https://de.wikipedia.org/wiki/Atlantischer_Sklavenhandel
    Mein Vor­schlag wäre Platz M (Hob­recht-Plan) …. poli­tisch Kor­rekt und Gen­der Neutral :))))
    in die­sem Sinne

  6. Umbe­nen­nun­gen

    Ich hal­te es grund­sätz­lich für sinn­voll und gut, Stra­ßen und Plät­ze nach ihren Namen zu über­prü­fen und auch kri­tisch zu hin­ter­fra­gen oder die Benen­nung zu ver­än­dern. Was mir aber gar nicht gefällt, ist, dass mit einer Umbe­nen­nung die­se Namen kom­plett aus dem Bewusst­sein ver­schwin­den. Das mag ange­mes­sen sein, bei bestimm­ten Per­so­nen der deut­schen Geschich­te (z.b. Nazi-Grö­ßen aus der Zeit von 33 bis 45), ansons­ten aber führt das zu einer Art “schö­ne, hei­le, nie so vor­han­de­ne Welt”
    Ich wür­de es sehr begrü­ßen, wenn unter den neu­en Namens­schil­dern einer Stra­ße, eines Plat­zes, kurz der alte Name stün­de und der Grund, wes­halb das geän­dert wur­de (und wann). So bleibt zum einen der Kon­text vor­han­den und zum ande­ren auch die Aus­ein­an­der­set­zungs­mög­lich­keit mit die­ser his­to­ri­schen Tatsache.
    Es ist rich­tig, dass ent­spre­chend trau­ma­ti­sier­te Men­schen damit unter Umstän­den immer wie­der nega­tiv getrig­gert wer­den könn­ten, ich den­ke trotz­dem, dass das Inter­es­se der All­ge­mein­heit an Erin­ne­rung, Trans­pa­renz, Klar­heit und (geschicht­lich beding­ter) Ver­ant­wor­tung hier höher wiegt.

    • Hal­lo Esther, das mit dem “alten Namen” unter dem “neu­en Namen” ist ein gran­dio­ser Vor­schlag. Ob die­ser gehört und dann ggf. umge­setzt wird, bezwei­fel ich stark. Leider.
      Beim Punkt “getrig­gert wer­den” auf Grund eines Straßen‑, bzw Namens­schil­des bin ich nicht bei dir.
      MfG, Charlie

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