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Neue Straßennamen: Die Chance der Debatte

8. Juni 2017
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infostele-afrikanisches-viertel
Info­s­te­le “Afri­ka­ni­sches Viertel”

Aktua­li­siert: Kom­men­tar Wir haben vie­le Jah­re Dis­kus­si­on hin­ter uns, in denen es um die gut gemein­te Umbe­nen­nung von Stra­ßen im Afri­ka­ni­schen Vier­tel geht. Nie­mand will, dass mit Stra­ßen­na­men Kolo­ni­al­ver­bre­cher geehrt wer­den. Die aktu­el­le Debat­te kann viel dazu bei­tra­gen, hand­werk­li­che Feh­ler bei den neu­en Stra­ßen­na­men zu vermeiden.

Was falsch lief

  1. Die Jury aus Ver­tre­tern post­ko­lo­nia­ler Initia­ti­ven, Lokal­po­li­ti­kern und Gewer­be­trei­ben­den, die im Mai eine Emp­feh­lung für den Bezirk abgab, war intrans­pa­rent zusam­men­ge­setzt. Für die Glaub­wür­dig­keit der Ent­schei­dung kommt es dar­auf an, dass auch die Jury­mit­glie­der über jeden Zwei­fel erha­ben sind. Auch ist es nicht gut, dass Anwoh­ner und aus­ge­wie­se­ne His­to­ri­ker in der Jury fehlen.
  2. Aus 196 Vor­schlä­gen aus der Bür­ger­schaft muss­te die Jury aus­wäh­len. Anwoh­ner­vor­schlä­ge wur­den nicht berück­sich­tigt. Jetzt kommt es dar­auf an, dass die neu­en Namen eine hohe Akzep­tanz erhal­ten. Die bezirk­li­che Vor­ga­be, dass nur Per­so­nen, idea­ler­wei­se Frau­en, aus­ge­sucht wer­den sol­len, war falsch, weil der Grund für die­se Ein­engung im Dunk­len blieb.

Akzeptanz durch Diskussion

Schon durch­ge­stri­chen: Lüderitzstraße

Gut, dass jetzt die öffent­li­che Dis­kus­si­on in Gang gekom­men ist. Dadurch hat das The­ma Öffent­lich­keit bekom­men, was sich die afri­ka­ni­sche Com­mu­ni­ty im Kiez seit Jahr­zehn­ten wünsch­te. Die Jury dis­ku­tier­te bis­her vor allem hin­ter ver­schlos­se­nen Türen. Die Geheim­nis­krä­me­rei hat der Akzep­tanz für neue Namen unter den 3.000 Anwoh­nern und Gewer­be­trei­ben­den nicht gut getan. Dabei müs­sen sie am Ende mit den Namen leben und die Kos­ten für die Ände­run­gen ihrer Aus­wei­se und Visi­ten­kar­ten tra­gen. Es ist ihnen nur schwer übel­zu­neh­men, wenn sie sich Namen wün­schen, die sich leicht aus­spre­chen las­sen. Die­sen Wunsch als ras­sis­tisch zu bezeich­nen, greift zu kurz. Vor allem jedoch ver­hin­dert der Ras­sis­mus­vor­wurf, dass Befür­wor­ter und Skep­ti­ker mit­ein­an­der ins Gespräch kom­men. Bes­ser wäre es, jetzt die Chan­ce zu nut­zen, um zu erklä­ren, war­um die Umbe­nen­nun­gen not­wen­dig und war­um die neu­en Namen bes­ser sind.

Die nun ein­set­zen­de brei­te Dis­kus­si­on hat beden­kens­wer­te Punk­te ans Licht gebracht. So wur­de einer der Namens­vor­schlä­ge zu recht kri­ti­siert. Es kann nicht sein, dass statt Kolo­ni­al­ver­wal­tern nun mit Köni­gin Nzin­ga eine Skla­ven­händ­le­rin geehrt wer­den soll.

Warum nicht Länder und Städte?

Die Wind­huk­er Straße

Man­che favo­ri­sie­ren eine schnel­le Lösung. So wie die Peter­s­al­lee 1986 per Ver­wal­tungs­akt ein­fach umge­wid­met wur­de, lie­ße sich auch bei Lüde­ritz­stra­ße und Nach­ti­gal­platz vor­ge­hen, sagen man­che. So könn­te der Platz im Nor­den des Afri­ka­ni­schen Vier­tels ein­fach nach einem ande­ren Herrn Nach­ti­gal und die Lüde­ritz­stra­ße nach der Stadt Lüde­ritz in Nami­bia benannt wer­den. Aber gera­de schein­bar ein­fa­che Lösun­gen haben es natür­lich oft in sich.

Wie­der ande­re fra­gen: War­um über­haupt Men­schen wür­di­gen? Flüs­se, Län­der und Städ­te mit deut­schem Afri­ka­be­zug gäbe es genug. War­um wur­de nicht in Betracht gezo­gen, den erst 1990 unab­hän­gig gewor­de­nen Staat Nami­bia  – des­sen Städ­te Swa­kop­mund und Wind­huk eben­falls einen Stra­ßen­na­men im Vier­tel besit­zen – als Namens­ge­ber her­an­zu­zie­hen? Geht uns die­ses Land, das noch am deut­lichs­ten die Spu­ren deut­scher Kolo­ni­al­ge­schich­te trägt, heu­te etwa nichts an? Auch Togo, Kame­run und San­si­bar haben schließ­lich Stra­ßen­na­men im Wedding.

Chance der Diskussion

Die Togo­stra­ße trifft die Afri­ka­ni­sche Straße

Es lie­gen vie­le Vor­schlä­ge auf dem Tisch. Nun kommt es auf Sorg­falt und prak­ti­ka­ble Namen an, sol­len die neu­en Stra­ßen­na­men auch auf brei­te Akzep­tanz sto­ßen. Unre­flek­tier­te Ras­sis­mus­vor­wür­fe gegen alle, die das Pro­ze­de­re kri­tisch sehen, brin­gen die Dis­kus­si­on nicht vor­an. Eine Umbe­nen­nung, die nach kur­zer Zeit wie­der rück­gän­gig gemacht wer­den müss­te, wäre ein Pyr­rhus­sieg für die Auf­ar­bei­tung der Kolonialgeschichte.

Die Dis­kus­si­on soll­te jetzt nicht für been­det erklärt wer­den. Vor allem soll­te die Jury aus ihrem Geheim­ver­steck her­aus­kom­men. Der Schwung der Debat­te soll­te genutzt, die Anwoh­ner­vor­schlä­ge auch wirk­lich ernst genom­men wer­den. Post­ko­lo­nia­le Akti­vis­ten, die sich für das wich­ti­ge The­ma Auf­ar­bei­tung deut­scher Kolo­ni­al­ge­schich­te ein­setz­ten, haben nun end­lich die von ihnen gewoll­te Auf­merk­sam­keit. Natür­lich mel­den sich da auch die Kon­ser­va­ti­ven zu Wort. Das muss man aus­hal­ten. Stadt­rä­tin Sabi­ne Weiß­ler, es besteht jetzt die Chan­ce auf ech­te Betei­li­gung und ech­te Dis­kus­si­on. Ergrei­fen Sie die Gele­gen­heit beim Schopf!

Hin­weis: am 15. Juni wur­de das Ende des Jury­ver­fah­rens bekannt gege­ben. Die BVV-Frak­tio­nen sol­len jetzt Wis­sen­schaft­ler benen­nen, die die Namens­vor­schlä­ge erneut prüft. Am Ende soll eine Beschluss­emp­feh­lung der BVV an das Bezirks­amt erge­hen (Tages­spie­gel)

Text: Redak­ti­on

weddingweiserredaktion

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6 Comments

  1. Die “gehei­me Jury” ist ein Skan­dal. Die seit Jah­ren andau­ern­de Dis­kus­si­on ist geprägt von Anwür­fen und Pro­vo­ka­tio­nen. Und so geht es mun­ter weiter.

    Ein grund­sätz­li­cher Feh­ler dabei war und ist: Durch Ver­ga­be eines Stra­ßen­na­mens “ehrt” man nie­man­den. Man drückt allen­falls sei­ne Ver­eh­rung aus. Das ist ein Unter­schied. In den meis­ten Fäl­len jedoch erin­nert man an etwas oder jemanden.

    Kann man damit leben, dass an Gut­av Nach­ti­gal und Adolf Lüde­ritz erin­nert wird? Oder ist es bes­ser, sie ver­schwin­den in der Versenkung?

    Kann man damit leben, dass die Peter­s­al­lee dazu ein­lädt, sich an bei­de Namens­ge­ber zu erin­nern? Oder ist es bes­ser, sie verschwinden?

    Eines ist dage­gen bis­lang ein­ma­lig: Das Afri­ka­ni­sche Vier­tel lädt auf­grund der ver­ge­be­nen Stra­ßen­na­men dazu ein, sich über das Ver­hält­nis von Preus­sen bzw. Deutsch­land zu Afri­ka zu infor­mie­ren. Wahr­lich sonst eher ein Rand­the­ma. Was da nun Kämpfer*innen gegen Por­tu­gie­sen oder Bri­ten dazu bei­tra­gen sol­len, ent­zieht sich mei­ner Vorstellungskraft.

    Solan­ge, bis nichts Über­zeu­gen­des gefun­den ist: Ruhe ein­keh­ren las­sen! Und ein Afri­ka­ni­sches Muse­um errich­ten! Und die­ses bes­ser machen, als die Afri­ka-Fes­ti­vals, die im Som­mer land­auf, land­ab abge­hal­ten wer­den. Die sind näm­lich nichts ande­res als “Völ­ker­schau reloaded”.

  2. “Vor allem soll­te die Jury aus ihrem Geheim­ver­steck herauskommen.”

    Bra­vo!!

    Und was das Ber­li­ner Infor­ma­ti­ons­frei­heits­ge­setz betrifft:

    Nur zur Erinnerung:

    Eine trans­pa­ren­te Poli­tik, ist eine Poli­tik, die aktiv infor­miert. Nur so kön­nen staat­li­che Ent­schei­dun­gen ver­stan­den und akzep­tiert wer­den. Schon 1997 haben die Grü­nen das ers­te Ber­li­ner Infor­ma­ti­ons­frei­heits­ge­setz vor­ge­legt. Das Ber­li­ner Infor­ma­ti­ons­frei­heits­ge­setz wird wei­ter­ent­wi­ckelt in Rich­tung eines Trans­pa­renz­ge­set­zes mit der Maß­ga­be, dass nicht schüt­zens­wer­te Daten in der Regel auf dem Ber­li­ner Daten­por­tal zur Ver­fü­gung gestellt wer­den. Um Whist­le­b­lower bes­ser zu schüt­zen, wird sich die Koali­ti­on dafür ein­set­zen, dass Arbeitnehmer*innen des öffent­li­chen Diens­tes nicht von arbeits­recht­li­chen Sank­tio­nie­rungs­maß­nah­men betrof­fen sind, wenn sie Miss­stän­de aufdecken.

    aus:

    http://www.gruene-fraktion-berlin.de/themen/t/transparenz

    Eini­ge von uns Grü­nen habe bereits das ” Alz­hei­mer Syndriom ”

    🙂

  3. Eigent­lich könn­te man es kurz und knapp zusammenfassen:

    – die Jury neu aufstellen

    – direkt Betrof­fe­ne ( Anwoh­ner, Gewer­be- und Geschäfts­leu­te, Hei­mat­ver­ei­ne, Orts­ver­ei­ne etc.) sol­len sich für Jury bewerben

    – alle in einen Los-Topf und dann nicht geheim- son­dern öffent­lich und juris­tisch kor­rekt- die Kan­di­da­ten im Los­ver­fah­ren ziehen

    – dann gibt es die „rich­ti­ge Mischung“ !

    – Frau Weiss­ler als Jury- Che­fin – kein Problem, 

    – alle 196 Namens­vor­schlä­ge auf den Tisch und offenlegen 

    – dann 6 davon aus­wäh­len lassen

    – nicht nur auf Frau­en­na­men ver­stei­fen ( der Beschluß von damals ist ja kein Muß,
    son­dern „emp­fiehlt „ja ledig­lich nur , mehr auf Frau­en­na­men zu achten..)

    – aktu­el­le Ereig­nis­se in Afri­ka dies­be­züg­lich bei der Aus­wahl mit berücksichtigen 

    – und sie­he da, es wird zu Namen kom­men- die jeder akzep­tie­ren kann und die auch ins „Afri­ka­ni­sche Vier­tel“ passen,

    ohne daß das Anse­hen von Ber­lin Scha­den nimmt und auch alle betrof­fe­nen Bewoh­ner der Straßen –
    ohne „Alb­träu­me“ ihr Leben wei­ter leben kön­nen.. und auch anfal­len­de Kos­ten mini­miert werden .

    Wie wär ’s Frau Weiss­ler ? Die Gele­gen­heit ( Chan­ce ) gibt es noch ! Ja, man soll­te sie am Schopf packen,
    wie oben schon erwähnt.

  4. Mir ist schlei­er­haft, wie­so eine GEHEIME Jury über der­art wich­ti­ge Ent­schei­dun­gen tagen und bera­ten darf!

    Es soll­te doch wohl allen Betei­lig­ten klar sein, dass einem sol­chen Vor­ge­hen von den Aussenstehenden/Betroffenen äus­sers­tes Miss­trau­en ent­ge­gen gebracht wer­den wird. 

    Somit lau­fen also die­se „hoch­qua­li­fi­zier­ten“ Juro­ren offe­nen Augen ins Ver­der­ben. Und sol­chen Leu­ten – die zu blöd sind, die Fol­gen ihres eige­nen Tuns zu erken­nen – soll man VERTRAUEN??

    Die aktu­el­le Bauch­lan­dung ist noch das Mindeste! 

    Auf­lö­sen, neu und öffent­lich beset­zen, Anlie­ger­be­fra­gun­g/-anhö­rung in die Dis­kus­si­on brin­gen usw. – DAS wäre das kor­rek­te Vorgehen!

  5. “Die Chan­ce jetzt nutzen”! 

    Ja , eine gute Idee –

    Nun sind ja die Mit­glie­der der “Jury” bekannt! Noch wäh­rend des Aus­wahl­pro­zes­ses sind noch 2 !! aus der Jury( Frau Apra­ku , Hr. Mbo­ro, lt. “Ber­li­ner Woche”)ausgetreten, weil sie die Art und Wei­se des Pro­zes­ses nicht mit­tra­gen woll­ten. Und ” Gewer­be­trei­ben­de “? Wel­che Gewer­be­trei­ben­de ? NUR einer – ein “kon­for­mer “Inha­ber einer Wer­be­agen­tur am Nach­ti­gal­platz Herr Maik Fromm­berg( natür­lich auch SPD Mit­glied) war in der Jury ver­tre­ten, der Rest 2 x Grü­ne: Weiss­ler und Njo­u­me, noch
    1 x SPD ( Frau Mor­gen­stern) und 1 x FDP ( Hr. Bas­ti­an Roet ) , der Rest afri­ka­ni­sche Com­mu­ni­ty und Lobbyisten.

    Wenn jetzt wirk­lich mind. 50% von Geschäfts­leu­ten, Ärz­ten , Restau­rants oder sons­ti­gem Gewer­be in die Jury kom­men wür­den und auch Anwoh­ner direkt – dann könn­te es was werden..

    Mir auch uner­klär­lich, war­um die ein­ge­gan­ge­nen 196 Namens­vor­schlä­ge noch immer “unter Ver­schluß” gehal­ten werden !
    War­um wer­den die­se Namen nicht ver­öf­fent­licht ?? Ist das Transparenz ?? 

    Hier sind doch sicher noch inter­es­san­te und pas­sen­de­re Namen ein­ge­gan­gen ( anstatt” Köni­gin Nzin­ga” ) – auch sicher­lich etli­che die mehr­fach genannt wur­den ! War­um gibt Frau Weiss­ler die­se Namen nicht raus ?
    Wider­spricht das nicht dem “Ber­li­ner Infor­ma­ti­ons­frei­heits­ge­setz” – IFG ?)

    Sieht so “akti­ve Mit­ein­be­zie­hung von Anwoh­nern und Gewer­be­trei­ben­den” aus ?
    Das ist es, was den Betrof­fe­nen ” Bauch­schmer­zen und Unwohl­sein ” bereitet…

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