Am 16. März feiert das Müll Museum Soldiner Kiez seinen dritten Geburtstag. Gastautorin Lena Reich, die eine der beiden Gründerinnen der Kultureinrichtung in der Prinzenallee ist, hat eine Reportage über die zurückliegenden Jahre des außergewöhnlichen Museums geschrieben. Gefeiert wird der Geburtstag mit Sekt und Selters. Eingeladen sind alle, die im Müll Potential sehen können.
Ein Spiegel lehnt an einer Laterne. Er wird von zwei braunen Pappkartons gehalten. Eine hellblaue Steppdecke hat sich über den eingeknickten Deckel gelegt. An ihr kleben Rotkohl, rosa Sauce und Fladenbrotfetzen. Einer der Müllberge, für die der Wedding berühmt ist und Anlass für die Gründung des ersten Müll Museums in Berlin vor drei Jahren.
„Die kommen über Nacht,“ meint die Mittvierzigerin mit den langen roten Haaren, die sie stets offen trägt und deutet auf den Müllhaufen. In ihren Händen hält sie schwarze Plastiktütchen. Drei Mal am Tag geht sie mit ihren Hunden die Panke entlang, kennt jedes Detail „Noch mehr stört aber der Müll vorne an der Straße. Da fressen Ratten und Füchse zusammen aus den Mülltüten. Da kann ich aber nicht mehr mit den Hunden hin. Die drehen durch.“ Die Mieterin der Wohnanlage an der Wollankstraße habe sich schon mehrmals beschwert. Doch die beiden Hausverwaltungen, zwei Hedgefonds, würden sich gegenseitig die Verantwortung für die Müllentsorgung in der Fußgängerunterführung zu schieben. „Wenn hier so Doofköpfe rumlaufen, die alles hinschmeißen, ist das unerzogen. Wenn ich aber Miete zahle und die Eigentümer sich nicht um ihre Tonnen kümmern, dann ist das ‘ne viel größere Sauerei. Die schieben dann alles auf uns ab.“ Derweil ist die Nachbarschaft in sich zerstritten.
„Klarer Fall fürs Müll Museum“, strahlt Susanne Schulze-Jungheim vom Müll Museum Soldiner Kiez (MüMu). „Wir nehmen genau diese Art von Müllstreitereien zum Anlass, über das zu reden, was im Kiez los ist. Müllberge spiegeln wie keine zweite Underdog-Skulptur im öffentlichen Raum den Zustand der heutigen Gesellschaft.“ Einige Streitfälle konnten so durch stures Nachhaken schon gelöst werden. In einer Hausanlage vis à vis des Müll Museum Soldiner Kiez, das in dem Gemeindehaus der stark sanierungsbedürftigen Stephanuskirche liegt, war der Hinterhof verkümmert, die Spielgeräte abgebaut und Kakerlaken gingen in den 116 Wohnungen ein und aus. Das Müll Museum Soldiner Kiez klärte die Mieterschaft über ihre Rechte auf, machte der Hausverwaltung den Vorschlag, einen Teil des Hinterhofes zu sanieren – und prompt tauchte über Nacht ein Hygieneplan auf, der die Schädlingsbekämpfung für ein Jahr sicherte. Schulze-Jungheim spricht also aus Erfahrung. „Wer sich einmal einem Müllberg genähert hat, landet prompt in einer Rechtsdebatte, die jede Nachbarschaft sprengen könnte.“
Sperrmüll enttarnt Antiziganismus. Herumflirrender Verpackungsmüll hinterfragt die YouOnlyLiveOnce-Generation. Mit weggeworfenem Essen verheddern sich Klimakämpfer und jene, die lautstark die soziale Frage stellen. Bauschutt entlarvt eine Branche, die meilenweit von Antidiskriminierung und Mindestlohn entfernt ist.
Seit drei Jahren ist Theaterpädagogin Schulze-Jungheim Teil des Museumskollektivs, das im März Geburtstag feiert. In wöchentlichen Workshops nähern sich die Gäste dem Thema Müll an. Von den 1930er Jahren bis zur Jetztzeit spiegeln die Kunstwerke das wieder, das als Müll bezeichnet wird und erzählen darüber hinaus die Geschichte des Soldiner Kiezes: von dem Kinderbuch „Ede und Unku“ der jüdischen Kommunistin Alex Wedding, das am 10. Mai 1933 von Deutschen Studenten auf dem Bebelplatz in Berlin Mitte verbrannt wurde, über einen Döner des Knetkünstlers Hendrik Jacobs, der auf die Gastarbeiterküche und Spiele-Industrie gleichermaßen aufmerksam macht, bis zu einem Auto aus Brettern, das an Wellblechhütten und mobile Arbeiterschaft erinnern soll und daran, dass nur ein Mensch mit einer Mülltonne ein anerkannter Bürger ist. „Uns interessiert auch Müll, der nicht auf dem ersten Blick sichtbar ist“. Schulze-Jungheim steht vor einem Bild des Architektur-Fotografen Benjamin Renter. Zu sehen ist eine Außenwand eines Plattenbaus, die von weißen Tupfern bedeckt ist – Algen zwischen den Styroporplatten, die für die Dämmung des Wohngebäudes verwendet wurden und nun wie eine poetische Schneedecke den unsichtbaren Müll ankündigen. Denn das Dämmmaterial ist klar definierter Sondermüll.
Seit der Eröffnung des Museums 2019 sind über tausend Gäste der Einladung gefolgt, das sich an das Modell britischer Museen der kostenlosen Bildungsangebote anlehnt und durch öffentliche Fördergelder des Sozialen Zusammenhalts bereits zum zweiten Mal finanziert wird. Die diversen Künstler*innen kommen alle aus dem Wedding oder sind Schüler*innen des Oberstufenzentrums KIM Osloer Straße. Weil das Museum eng mit den u.a. Schulen, Jugendclubs und Vereinen aus dem Soldiner Kiez zusammenarbeitet, waren der erste Lockdown eine enorm harte Probe nach einem Jahr auf der Überholspur. „Das MüMu versteht sich als soziale Skulptur, die wie so vieles durch Corona auseinanderzubrechen droht“, so Lena Reich, die Ideengeberin des Museums.
Die Rettung kam durch ein TikTok-Sponsoring. Das chinesische Unternehmen unterstütze fünfzig Kulturinstitutionen, wie das Schwuz Berlin oder Kampnagel Hamburg mit bis zu 100.000 €, um die Pandemie zu überstehen und unter dem Hashtag #creatorsfordiversity für mehr Diversität zu werben. Das MüMu bewarb sich mit dem Argument, dass der Soldiner Kiez längst ein diverser Kiez sei, der mit allem Übel der Welt, unter anderem auch Müll, zu kämpfen hat und dennoch versucht, solidarisch zu sein – und erhielt den Zuschlag. „Der Kiez konnte endlich zeigen, dass ihm seine Umwelt nicht egal ist und dass er mit verdammt vielen Müllbergen zu kämpfen hat.“ Über fünfzig Minivideos zu den Kunstwerken, Vorurteile, Jugendarbeit, Produkt-Biographien, Verdrängung, Lebensmittelspenden konnte der Verein Müll Museum e.V. so produzieren – und den Kontakt zum Kiez halten.
Das Müll Museum Soldiner Kiez feiert am 16. März seinen 3. Geburtstag mit Musik und lädt alle ab 11 Uhr zu Sekt & Selters. Es gelten die 3G-Regeln. Die Lichtmalerin Djurdjica Terzic wird die Stephanuskirche bespielen – und den alten Wihelminischen Raum in bunten Farben erklingen lassen.
Das Müll Museum Soldiner Kiez ist auf TikTok aktiv unter @muellmuseumsoldinerkiez.
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Wow!! must visti 🙂
Müllvermeidung ist Pflicht!
Ein kleines Müll-Gedicht:😉
ALLES MÜLL ODER WAS?
Plastikflut und Wegwerftrend,
Man konsumiert permanent.
Der Mensch des Anthropozän
Lässt sich’s auf Erden gut geh’n.
Mit Snacks und Coffee to go
Hält er sein Leben im Flow.
Der westliche Lebensstil -
Von Mehrweg hält man nicht viel.
Müllberge bedrohen die Stadt,
Der gelbe Sack ein Feigenblatt.
Von Müllvermeidung keine Spur,
Unrat verschandelt Wald und Flur.
Plastikinseln auf den Meeren,
Wie lange soll’s noch währen?
Kommen wir endlich zur Vernunft,
Vermüllen nicht uns’re Zukunft.
Homo sapiens muss aufwachen,
Seine Hausaufgaben machen.
Die Jagd nach ewigem Wachstum
Bringt letztlich den Planeten um.
Das oberste Gebot der Zeit
Muss heißen Nachhaltigkeit.
Statt nur nach Profit zu streben,
Im Einklang mit der Natur leben.
Rainer Kirmse , Altenburg
Herzliche Grüße aus Thüringen