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Damit Senior:innen wieder rausgehen können:
Mobilität ist (fast) alles

31. Oktober 2022

Mit zuneh­men­dem Alter kann die Beweg­lich­keit außer­halb der Woh­nung ein Pro­blem wer­den. Ich schrei­be dies in die­sem Bei­trag zur Novem­ber-Kolum­ne, weil ich den­ke, gera­de vor Weih­nach­ten, wenn die Men­schen sich auf fami­liä­re Fes­te und Ver­ab­re­dun­gen freu­en, ist es gut zu wis­sen, dass es Mobi­li­täts­hil­fe­diens­te gibt. Damit lässt sich eini­ges pla­nen und orga­ni­sie­ren. Die­ses Wis­sen ist auch gut für die­je­ni­gen, die nicht geh­be­hin­dert sind. 

Fast 10 % der Ber­li­ner sind schwer­be­hin­dert, also mit einem Grad von mehr als 50 % ver­se­hen, und fast 60% der Schwer­be­hin­der­ten sind über 65 Jah­re alt. Somit kann man sagen, dass kör­per­li­che Ein­schrän­kun­gen vor­wie­gend ein Alters­pro­blem sind, ein Teil davon sind auch geh­be­hin­dert, blind oder erblin­det. In Ber­lin haben etwa die Hälf­te der Schwer­be­hin­der­ten (169.021 Per­so­nen lt. LaGe­So am 30.9.22) einen Aus­wei­se mit den Merk­zei­chen „G“ („G“ – erheb­lich geh­be­hin­dert) oder „aG“  („aG“ – außer­ge­wöhn­lich geh­be­hin­dert), Kri­te­ri­en, die für ver­schie­dens­te Ein­schrän­kun­gen des Bewe­gungs­ap­pa­ra­tes gel­ten, also nicht nur sol­che, die sich direkt auf das Geh­ver­mö­gen bezie­hen, im Bezirk Mit­te sind es 16.632 Per­so­nen (LOR-Sta­tis­tik 31.12.21).

Aber wie lässt sich Hil­fe für Spa­zier­gän­ge, Tref­fen und Besor­gun­gen orga­ni­sie­ren? Die Mobi­li­täts­hil­fe­diens­te in Ber­lin schaf­fen Abhil­fe. Die Ange­bo­te dazu, die vom Land Ber­lin sozi­al unter­stützt wer­den, sind kos­ten­güns­ti­ger und ein­fa­cher, als man denkt.

Ein Aus­flug mit Beglei­tung . © Kon­stan­tin Bör­ner für HVD Berlin-Mitte

Der Anschluss an den All­tag mit sei­nen viel­leicht nur noch klei­nen Besor­gun­gen oder an das sozia­le Leben im rei­fen Alter ent­fal­len meist lei­der immer mehr, wenn sich jemand nur schwer bewe­gen kann oder auch gleich­zei­tig ungüns­ti­ge Wohn­be­din­gun­gen vor­lie­gen. Selbst wenn ein Rol­la­tor im All­ge­mei­nen noch hel­fen kann, so woh­nen vie­le älte­re Berliner:innen in Alt­bau­ten ohne Fahr­stuhl oder oft doch mit eigent­lich nur kur­zen Trep­pen­ab­sät­zen vor den Fahr­stuhl­ein­gän­gen, die die Selbst­hil­fe erschwe­ren, gefähr­lich wer­den las­sen oder unmög­lich machen.

So kann das dau­er­haf­te Zurück­zie­hen in die eige­ne Woh­nung zur Gewohn­heit wer­den. Ein­sam­keit, schwin­den­de Lebens­freu­de und lei­der auch die Mög­lich­kei­ten, bei Wech­sel­fäl­len des Lebens und Ver­lus­ten von guten Gefähr­ten, noch­mals Anschluss und neue Freund­schaf­ten zu fin­den, kön­nen die Fol­gen sein. Vor allem in der dunk­len Jah­res­zeit, im Advent und an Weih­nach­ten ist dies beson­ders bekümmernd. 

Aber es gibt erschwing­li­che Hil­fen zur Mobi­li­tät, um sei­ne Ange­le­gen­hei­ten zu regeln und in der Stadt unter­wegs zu sein – in Ber­lin gibt es 13 Mobi­li­täts­hil­fe­diens­te, die jeder einen bestimm­ten Stadt­teil als Ein­satz­ge­biet haben und von einer Koor­di­na­tor­stel­le abge­stimmt wer­den. Die­se Begleit­diens­te sind für über 60-Jäh­ri­ge da, die nicht mehr allei­ne ihre Woh­nung ver­las­sen kön­nen und dafür dann Ange­bo­te bekom­men. Es geht also nur um das Alter und nicht um Pfle­ge­gra­de, denn die­ses Ange­bot steht allen Ü‑60-Jäh­ri­gen mit Bewe­gungs­pro­ble­men zur Verfügung. 

Die Kos­ten für die­se Hil­fen kann man als erschwing­lich anse­hen. Man bezahlt für ein hal­bes Jahr eine Gebühr in Höhe von 40 € und Emp­fän­ger der Alters­grund­si­che­rung zah­len ermä­ßig­te 20 €. Für Son­der­fahr­diens­te zahlt man 30 €, für ein­ma­li­ge Beglei­tun­gen von bis zu zwei Stun­den fal­len nur 5 € an.

Frau Son­ja Möser und Herr Jur­lin vom Mobi­li­täts­hil­fe­dienst Ber­lin-Mit­te – © Rena­te Straetling

Ich führ­te ein Inter­view­ge­spräch mit Son­ja Möser, Pro­jekt­lei­te­rin des Huma­nis­ti­scher Ver­band Deutsch­lands (HVD) – LV Ber­lin-Bran­den­burg KdöR und mit Herrn Jur­lin, dem Ein­satz­lei­ter die­ses Mobi­li­täts­hil­fe­diensts Berlin-Mitte.

Bei­de hat­te ich bereits am Run­den Tisch Senio­ren Park­vier­tel ken­nen­ge­lernt und auch vor weni­gen Jah­ren bei einer Stadt­be­ge­hung im Schil­ler­park mit Stadt­rat Ephra­im Gothe, als man ein hilf­rei­ches Gerät für Roll­stuhl­nut­zer vor­stell­te, einen sta­bi­len elek­tri­schen Trep­pen­stei­ger, der auf Knopf­druck einen Roll­stuhl mit Per­son dar­in­nen über Trep­pen aller Art sicher bewe­gen kann.

Frau Möser, die seit 30 Jah­ren den Mobi­li­täts­dienst der HVD beglei­tet und mit auf­ge­baut hat, berich­tet, wie sich der Dienst ent­wi­ckel­te. Zu Beginn, ab dem Jahr 1992 betreu­te man noch vie­le Berufsrückkehrer:innen in den ers­ten Arbeits­markt, die teils nur begrenz­te Zeit auf den Roll­stuhl oder Beglei­tung ange­wie­sen waren, aber auch Alte. Vie­le Mit­ar­bei­ter kamen damals über die Ver­mitt­lung des Arbeit­am­tes (seit 2005: Job­cen­ter) in nied­rig­schwel­li­gen Maßnahmen.

Frau Son­ja Möser vom HVD in Ber­lin-Mit­te – © Rena­te Straetling

Erst ab dem Jahr 2016 konn­te der HVD erst­mals zehn fes­te Mit­ar­bei­ter als Mobi­li­täts­hel­fer gewin­nen. Hier spielt eben­so wie beim Kli­en­tel das Altern eine Rol­le, denn Nach­wuchs der Kräf­te muss vor­ge­se­hen wer­den. Es geht um das all­ge­mei­ne Mot­to der Mobi-Diens­te, das in Ber­lin „Drau­ßen spielt das Leben …. Wir brin­gen Sie hin!“ heißt. Es geht dar­um, etwas Schö­nes zu erle­ben, wie­der ein­mal im Park oder unter Leu­ten zu sein. Hin­ter die­sem Mot­to ste­hen ber­lin­weit glei­che Stan­dards, die von den Diens­ten ver­ein­bart und ein­ge­hal­ten wer­den. Die Trä­ger­schaft der Mobi-Ser­vices ist nach Bezir­ken unter­schied­lich, in fast allen Bezir­ken unse­rer Stadt ist ein ein­zel­ner Trä­ger wie VdK, Dia­ko­nie, DRK, Johan­ni­ter zustän­dig, nur der Bezirk Rei­ni­cken­dorf hat zwei Anbieter.

Vie­le der Mobi­li­täts­un­ter­stüt­zung bedürf­ti­ge Mitbürger:innen erhal­ten Tipps und Hiwei­se auch über die Ange­hö­ri­gen, die Pfle­ge­diens­te, die Pfle­ge­stütz­punk­te, die kos­ten­los, auch über eine 0800-Tele­fon­num­mer bera­ten, und ande­re Pro­jek­te, die nahe am altern­den Men­schen dabei sind, so bei­spiels­wei­se vom Tan­dem-Dienst LeNa, Leben­di­ge Nach­bar­schaft, im Wed­ding, ange­sie­delt auf dem Gelän­de des Paul-Gerhardt-Stifts.

Der Begleit­dienst wird ein­mal wöchent­lich für etwa 1,5 bis 2 Stun­den ange­bo­ten, und die­se Art von Unter­stüt­zung ist auch eine Beglei­tung auf dem Lebens­weg, wie Frau Möser betont. Es geht also um das schö­ne Erleb­nis und weni­ger um Ein­kaufs­hil­fen oder ande­re Diens­te, jedoch auch um die klei­nen Besor­gun­gen und Termine.

Im Jahr 2021 hat HVD fast 350 Kli­en­ten mit Mobi-Diens­ten unter­stützt. Die Dau­er der Kli­en­ten­bin­dung ist dabei sehr unter­schied­lich. Herr Jur­lin hebt her­vor, dass eini­ge weni­ge der HVD-Kli­en­ten bis zu 22 Jah­re regel­mä­ßig beglei­tet wur­den, etli­che über 10 Jah­re oder gar über 15 Jah­re. Der Alters­durch­schnitt liegt bei etwa 80 Lebens­jah­ren. Den­noch muss der Trä­ger jedes Jahr etli­che neue Kli­en­ten werben.

Die Ein­satz­lei­ter kom­men zur Neu­auf­nah­me vor Ort zu den Mobi­li­täts­ein­ge­schränk­ten, um eine Bestands­auf­nah­me zu Pro­to­koll zu neh­men, um die rich­ti­gen Ein­satz­ar­ten anzu­bie­ten und die tech­ni­schen Not­wen­dig­kei­ten zu erkunden.

Ein beglei­te­ter Aus­flug – © Kon­stan­tin Bör­ner für HVD Berlin-Mitte

Es gibt ver­schie­de­ne Arten beim unter­stüt­zen­den Fort­be­we­gen zu hel­fen wie bei­spiels­wei­se das Unter­ha­ken bei Unsi­cher­hei­ten beim Gehen, die Blin­den­füh­rung, mit dem Rol­la­tor oder mit dem Roll­stuhl oder auch wei­te­ren Schie­be­hil­fen unter­wegs zu sein.

In der Coro­na­zeit muss­ten mit dem Ein­set­zen des ers­ten Lock­downs umge­hend fle­xi­ble­re und neue Anpas­sun­gen vor­ge­nom­men wer­den, und schließ­lich waren man­che der Rege­lun­gen noch nicht aus­ge­reift, und im Früh­jahr 2021 tra­ten völ­lig neue Situa­tio­nen mit Abhän­gig­kei­ten von Hil­fen recht abrupt ein.

Vie­le Kli­en­ten muss­ten dann nach dem Lock­down wie­der Mut fin­den raus­zu­ge­hen. Und die­se Men­schen soll­ten sich etwas gön­nen, emp­fiehlt Frau Son­ja Möser, denn auch die kur­zen Aus­flü­ge brin­gen doch Glück in den Alltag.

Die Begeg­nun­gen, da sie auf Gegen­sei­tig­keit beru­hen, soll­ten auch den Erfah­rungs­schatz der Mobi-Diens­te nutz­bar machen, denn vie­le Beglei­te­te glau­ben fälsch­lich, dass der Roll­stuhl „das Ende ins Leben brin­ge“, wohin­ge­gen es auch Alter­na­ti­ven gibt und man recht genau im Ein­zel­fall erklä­ren kön­ne, wo eben vor allem auch Chan­cen des Hilfs­mit­tels lie­gen, um wie­der Kraft zu schöp­fen oder die Mus­keln wie­der zu trainieren.

Auch sind zusätz­li­che Ange­bo­te mög­lich, das sind Spa­zier­gän­ge, Grup­pen­aus­flü­ge und Grup­pen­tref­fen. Die­se hel­fen, neue sozia­le Kon­tak­te auzu­bau­en. Der HVD ist hier­bei offen für Ideen und Anre­gun­gen der Klienten.

Also dann: Auf eine mobi­le­re und leben­di­ge Advents- und Weihnachtszeit!

Kon­tak­te und Informationen

HVD

https://www.berliner-mobilitaetshilfedienste.de/bezirksstellen.html

https://www.berlin.de/sen/soziales/besondere-lebenssituationen/seniorinnen-und-senioren/mobilitaetshilfedienste/

https://www.berliner-mobilitaetshilfedienste.de/

https://www.berlin.de/sen/pflege/pflege-und-rehabilitation/pflegestuetzpunkte/

VBB-Begleit­ser­vice im Nahverkehr

Anmer­kung „ Ende 2021 leb­ten in Ber­lin 339 870 und in Bran­den­burg 267 820 schwer­be­hin­der­te Men­schen, das waren 9,2 Pro­zent der Bevöl­ke­rung in Ber­lin .… Als schwer­be­hin­dert gel­ten Per­so­nen, denen ein Grad der Behin­de­rung von 50 und mehr zuer­kannt wur­de. .. .. Betrof­fen sind über­wie­gend älte­re Men­schen. So waren 58 Pro­zent der Ber­li­ner Schwer­be­hin­der­te … 65 Jah­re und älter.“ Häu­figs­ter Grund mit ca 27% aller Fäl­le sind dabei nicht ortho­pä­di­sche oder Geh-Pro­ble­me, son­dern die Beein­träch­ti­gung inne­rer Orga­ne.“ Quel­le: Sta­tis­tik Ber­lin Brandenburg

Gespräch, Recher­chen und Text © Rena­te Straetling

Renate Straetling

Jg 1955, aufgewachsen in Hessen; ab 1973 Studium an der FU Berlin, Sozialforschung, Projekte und Publikationen.
Selfpublisherin seit 2011
www.renatestraetling.wordpress.com
Im Wedding seit 2007.
Mein Wedding-Motto:
Unser Wedding: ein großes lebendiges Wimmelbild ernsthafter Menschen!

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