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Afrikanisches Viertel inspiriert zu Theaterstück:
Mit versöhnlichem Blick

7. Mai 2023

Das jah­re­lan­ge Dra­ma um die neu­en Stra­ßen­na­men im Afri­ka­ni­schen Vier­tel hat es jetzt sogar auf die inter­na­tio­na­le Büh­ne geschafft. Die Schwei­zer Insze­nie­rung des Stü­ckes „Viel­leicht“ des Afro-Euro­pä­ers Céde­ric Djed­je hat­te im April auch ein kur­zes Gast­spiel beim Fes­ti­val FIND 2023 in der Schau­büh­ne am Leh­ni­ner Platz. Es ist ein Stück, das unbe­dingt wei­te­re Auf­füh­run­gen in den Schu­len und auf den Büh­nen Ber­lins erle­ben sollte.

„Peut-être (Viel­leicht)“ ist ein Stück vol­ler Fröh­lich­keit und Zuver­sicht – was zuerst ein­mal über­rascht, wenn man weiß, mit wel­cher Ver­bis­sen­heit um die neu­en Stra­ßen­na­men in Ber­lin jahr­zehn­te­lang gekämpft wer­den muss­te. Ein Stück vol­ler Spiel­freu­de und vol­ler Freu­de über das gegen alle Wider­stän­de Erreich­te.
„Wie wer­den wir fei­ern, wenn wir unser Ziel erreicht haben?“ Das war die ers­te Fra­ge des Autors, der auch selbst auf der Büh­ne stand. In den bun­tes­ten Far­ben mal­te er mit sei­ner Schau­spiel­kol­le­gin Safi Mar­tin Ye das Stra­ßen­fest aus, sie im Afri­ka­ni­schen Vier­tel fei­ern wer­den, wenn die Stra­ßen end­lich nach Afri­ka­ne­rin­nen und Afri­ka­nern benannt sein wer­den. Das pass­te zu dem Büh­nen­bild, das sich aus schwe­ben­den Papier­dra­chen zusam­men­setz­te, dem Spiel­zeug, das für hoch­flie­gen­de Träu­me steht.

„Wie beschreibst du das Afri­ka­ni­sche Vier­tel im Wed­ding einer Per­son, die noch nicht da war?“ Die­se Auf­ga­be stell­te sich der fran­zö­sisch­spra­chi­ge Autor Céde­ric Djed­je, als er 2018 als Sti­pen­di­at für ein hal­bes Jahr von Genf in den Wed­ding zog und in der Wie­sen­stra­ße 29 wohn­te. Sei­ne Ein­drü­cke hat er in das Thea­ter­stück ein­flie­ßen las­sen, das im Novem­ber 2022 in Genf sei­ne Urauf­füh­rung hat­te. Der graue, raue Wed­ding vor­ge­stellt im schö­nen rei­chen Genf. Die­ser Kon­trast hät­te Stoff genug gebo­ten. Und doch wider­steht er der Ver­su­chung, in die übli­chen Migran­ten­ghet­to-Kli­schees von Müll, Armut und Gewalt zu ver­fal­len, von denen die Wed­ding-Berich­te deut­scher Medi­en voll sind. Er schaut genau hin und das tut dem Stück gut. „Das Afri­ka­ni­sche Vier­tel war kein afri­ka­ni­sches Ghet­to, wie ich es aus Paris oder Brüs­sel kann­te. Kein Vier­tel, in dem vor allem afri­ka­ni­sche Migran­ten wohn­ten“, lässt er das erstaunt das Publi­kum wis­sen. Und er freut sich. Er erzählt, wie es damals war, als er als jun­ger Mann mit einer Dating-App unter­wegs war im Wed­ding. Er fühlt sich als „Gold­nug­get“, weil er als einer der weni­gen Afri­ka­ner im Wed­ding ein attrak­ti­ver Dating-Part­ner ist. Bis dahin ist das Stück ein Tage­buch eines lebens­fro­hen Gast-Sti­pen­dia­ten, der sich ger­ne zu Dates im Ban­tou-Vil­la­ge in der Kame­ru­ner Stra­ße trifft. Djed­je erfährt, dass der Wed­ding „im Kom­men“ ist, was er auf Fran­zö­sisch in „Un quar­tier en deve­nir“ und poli­tisch in „Es wird ein Vier­tel für die wei­ße Mit­tel­schicht“ über­setzt. Und spä­tes­tens da wird das Pri­va­te politisch.

Als Sohn afri­ka­ni­scher Eltern von der Elfen­bein­küs­te geht er mit ande­ren Augen durch die Stra­ßen. Und es bedrückt ihn mehr und mehr, dass man hier unter Afri­ka vor allem Safa­ri und exo­ti­sche Tie­re ver­steht. Die Bil­der im U‑Bahnhof Afri­ka­ni­sche Stra­ße zei­gen Löwen und Nas­hör­ner, aber kei­ne Men­schen aus Afri­ka. Die Stra­ßen sind nicht nach Afri­ka­nern benannt, son­dern nach Tätern des deut­schen Kolo­nia­lis­mus wie Lüde­ritz und Peters. Er sucht nach dem tie­fe­ren Grund für sein Unbe­ha­gen und trifft sich im „Fre­de­ricks, dem ehe­ma­li­gen „Lüde­ritz-Eck“, das für ihn ein Bei­spiel für eine gen­tri­fi­zier­te Knei­pe ist, mit Mit­glie­dern von Ber­lin-Post­ko­lo­ni­al, der Initia­ti­ve, die sich seit Jah­ren für die Umbe­nen­nung der Stra­ßen im Afri­ka­ni­schen Vier­tel kämpft. „Das Afri­ka­ni­sche Vier­tel ist kein Vier­tel der Afri­ka­ner, es ist ein kolo­nia­les Vier­tel, in denen die Deut­schen die Namen der Län­der ver­ewi­gen woll­ten, die sie besa­ßen – oder ger­ne beses­sen hät­ten.“, wie er grin­send hinzufügt.

Was dann folg­te war eine Auf­klä­rung über die deut­schen Kolo­ni­al­krie­ge in Afri­ka – halb Expe­di­ti­on, halb Geis­ter­bahn­fahrt. Eine Lehr­stun­de über das Leben und den Tod der Täter und der Opfer, die nichts aus­spar­te aber auch hier sei­ne Leich­tig­keit behielt. Slap­stick-Ein­la­gen mit Ope­ret­ten­uni­for­men, die das Tref­fen von Carl Peters und Kai­ser Wil­helm II zei­gen soll­ten, erin­ner­ten an die Auf­klä­rungs­stü­cke des Grips-Thea­ters, die auch schwie­ri­ge The­men mit einem Augen­zwin­kern zei­gen kön­nen. Und mit Iro­nie prä­sen­tiert er auch die Posi­tio­nen der Wed­din­ger Initia­ti­ve „Pro Afri­ka­ni­sches Vier­tel“, die die Umbe­nen­nung jah­re­lang ver­zö­ger­te. So als sei­en sie ein Witz. „Geis­ter gegen Geis­ter“ nann­te er den Kampf. Namen toter Män­ner gegen Namen ande­rer toter Männer.

Zum Schluss wird das Poli­ti­sche wie­der per­sön­lich, als der Autor, nun sei­ner kolo­nia­len Geschich­te bewusst, in einen Dia­log mit sei­ner per Video ein­ge­spiel­ten Mut­ter geht, und sie fragt, war­um sie ihm nicht ihre Mut­ter­spra­che bei­gebracht habe. War­um er nur die Kolo­ni­al­spra­che Fran­zö­sisch spre­che. Sym­bo­li­siert wer­den die wie­der­ge­fun­de­nen Wur­zeln durch einen Hau­fen Erde, aus dem die Schau­spie­ler zärt­lich Bil­der von afri­ka­ni­schen Wider­stands­kämp­fern ausgraben.

Das in dem Stück von 2022 nur erträum­te Fest zur Umbe­nen­nung hat es inzwi­schen gege­ben. Der König der Dua­la war da und unter­strich mit sei­ner Anwe­sen­heit die Wich­tig­keit und die Wür­de die­ses Augen­blicks, die sich Céde­ric Djed­je und sei­ne Co-Autorin Noé­mi Michel gewünscht haben. Und obwohl das Stück hier ste­hen bleibt (und höchs­tens von wei­te­ren Umben­nen­un­gen von Stra­ßen träumt), wäre es wich­tig, dass mehr Men­schen in Ber­lin es sehen kön­nen. Weil es ein fran­zö­sisch­spra­chi­ges Stück ist, könn­te ich mir eine Auf­füh­rung im Cent­re Fran­çais vor­stel­len. Aber auch das Prime-Time-Thea­ter wür­de sich als Büh­ne anbie­ten. Es gibt einem als Bewoh­ner des Afri­ka­ni­schen Vier­tels genug Gele­gen­heit, über sich selbst zu lachen.

Fotos Thea­ter­stück: Doro­thée Thé­bert Fil­li­ger, Foto Schau­büh­ne außen: Rolf Fischer

Rolf Fischer

Ich lebe gerne im Wedding und schreibe über das, was mir gefällt. Manchmal gehe ich auch durch die Türen, die in diesem Teil der Stadt meistens offen stehen.

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