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Mit langem Atem und viel Feingefühl

4. August 2019
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Ein Mann steht vor einem Laden

Auf den ers­ten Blick bie­tet das Büro von Micha­el Rost einen unge­wöhn­li­chen Anblick. In dem schma­len Raum, der an einen Hin­ter­hof an der See­stra­ße grenzt, ste­hen alte Holz­mö­bel, ein Kla­vier und ein Schreib­tisch mit einem nost­al­gi­schen Fern­spre­cher. An den Wän­den hän­gen vie­le alte Gemäl­de, bunt zusam­men­ge­wür­felt. Aber auch wegen des Kron­leuch­ters fühlt sich der Besu­cher an einen Ort ver­setzt, der nicht in die heu­ti­ge Zeit und viel­leicht auch nicht in den Wed­ding passt. 

Die Grund­kom­po­nen­ten

Alle die­se Din­ge erge­ben jedoch ein Gesamt­bild, wenn man sich mit Micha­el Rost unter­hält. Sobald der gebür­ti­ge Ber­li­ner zu erzäh­len beginnt, wer­den vie­le Gegen­stän­de leben­dig. Er plau­dert los, ber­li­nert, was das Zeug hält, und schnell sind drei Stun­den vor­bei. Jedes Detail in die­sem Raum hat eine Geschich­te, ange­fan­gen vom Tele­fon, mit dem er sich als Kind schon mit sei­nen Freun­den ver­ab­re­det hat. Ein Land­schafts­ge­mäl­de wur­de ihm von einem Ver­käu­fer geschenkt, als er sei­ne Woh­nung auf­gab. Das baro­cke Bild von einer ele­gan­ten jun­gen Frau mit dem rie­si­gen gol­de­nen Rah­men wie­der­um wur­de erstei­gert, es zeigt die fein­füh­li­ge Sei­te von Micha­el Rost. Denn trotz sei­ner tech­ni­schen Bega­bung, dem Abitur mit Maschi­nen­bau­aus­bil­dung und dem Berufs­wunsch, Inge­nieur zu wer­den, stu­dier­te er nach dem Wehr­dienst Ton­satz und Kom­po­si­ti­on an der Wei­ma­rer Hoch­schu­le für Musik. Dar­an erin­nert im Büro auch das Kla­vier, an dem er schon als Kind übte.

Der Wed­ding jedoch, der war zunächst uner­reich­bar, wenn er an der Wollank­stra­ße auf Pan­kower Sei­te stand. Umso beein­dru­cken­der war der Tag Ende 1989, als ein Kran­wa­gen die Beton­tei­le der Mau­er unter der S‑Bahnbrücke weg­hob. Der damals 29-Jäh­ri­ge stand dane­ben und es öff­ne­te sich eine neue Welt, vol­ler per­sön­li­cher Frei­hei­ten und neu­er Möglichkeiten.

Die Rah­men­be­din­gun­gen

Jeder Ein­schnitt birgt eine Chan­ce, davon ist Micha­el Rost über­zeugt. Als er nach dem Zusam­men­bruch der DDR arbeits­los wur­de, mach­te er sich mit einer eige­nen Musik­schu­le bei Gera selbst­stän­dig. Gemein­sam mit sei­ner dama­li­gen Frau bewohn­te er ein goti­sches Haus, das die bei­den jahr­zehn­te­lang sanier­ten. Der his­to­ri­sche Fens­ter­rah­men im Schau­fens­ter der See­str. 42 ist ein Relikt die­ses Lebensabschnitts.

Sei­ne vie­len Talen­te waren zu die­ser Zeit aber noch nicht zusam­men­ge­kom­men. Bau­stein für Bau­stein sam­mel­te er Erfah­run­gen in unter­schied­lichs­ten Bran­chen. Er ver­such­te sich als Ver­si­che­rungs­ver­tre­ter und Finanz­be­ra­ter, doch das war ihm zu unehr­lich. „Ich woll­te den Leu­ten im Osten nichts ver­kau­fen, was sie nicht brau­chen“, sagt er. Auf den ers­ten Blick eine erstaun­li­che Aus­sa­ge für jeman­den, der heu­te als Mak­ler arbei­tet. Viel­leicht aber auch erst recht bemer­kens­wert, weil es in die­sem Beruf nicht nur schwar­ze Scha­fe geben kann, schon gar nicht im Wed­ding, wo er sich über die Jah­re sei­ne Stamm­kund­schaft auf­ge­baut hat. Da kommt es noch, anders als man ver­mu­ten wür­de, mehr als anders­wo auf Ehr­lich­keit, Ver­trau­en und eine gute Kennt­nis der hie­si­gen Ver­hält­nis­se an.

Eine frü­he­re Wei­ter­bil­dung am Grim­me-Insti­tut öff­ne­te Micha­el Rost in der nächs­ten Lebens­pha­se die Türen für eine neue Kar­rie­re als Doku­men­tar­fil­mer beim MDR und KIKA, spä­ter nach der Tren­nung von sei­ne Frau als Hör­funk– und Fern­seh­jour­na­list beim NDR-Regio­nal­stu­dio in Greifs­wald. Sei­ne schöp­fe­ri­sche Kraft kam aber in der vor­pom­mer­schen Pro­vinz als Lokal- und Kul­tur­re­por­ter nicht voll zur Gel­tung. „Wenn ich mal eine Vil­la im Gru­ne­wald ver­kau­fe und dar­an viel ver­die­ne, set­ze ich eine mei­ner Film­ideen um”, sagt Michel Rost lachend. In sei­nem Akten­schrank lägen eini­ge span­nen­de Dreh­buch­ent­wür­fe aus die­ser Zeit, erzählt er.

Die Her­aus­for­de­rung

Eine neue Lie­be führ­te ihn zurück nach Ber­lin und mit­ten in den Wed­ding. Mit Anfang 50 stand ein Neu­an­fang an, doch dies­mal in einer Bran­che, in der man als Ein-Mann-Unter­neh­men sei­nen Lebens­un­ter­halt ver­die­nen kann. „Ich habe mich immer für alte Häu­ser inter­es­siert“, sagt er, „ich habe ein Fai­ble für alte Din­ge und ihre Geschich­te.“ Und so tut es ihm weh, wenn leicht­fer­tig von zu besei­ti­gen­den Bau­sün­den die Rede ist, wenn schö­ne und inter­es­san­te Häu­ser ver­schwin­den. Wenn man mit Bau­en zu tun hat, sieht man, was alles kaputt­ge­macht wird. „Neh­men wir ein altes Miets­haus“, sagt Micha­el Rost. „Die Sub­stanz aus dem Jahr 1910 funk­tio­niert oft noch immer, anders als bei heu­ti­gen Bau­ten, bei denen alle paar Jahr­zehn­te alles umge­rüs­tet wer­den muss.“ Alte Fens­ter, alte Grund­ris­se, bau­tech­ni­sche Details und Orna­men­te, das alles inter­es­siert den schön­geis­ti­gen Mak­ler aus dem Wedding.

Aber es brauch­te einen lan­gen Atem – die ers­ten neun Mona­te hat Micha­el Rost ver­geb­lich auf den ers­ten Kun­den gewar­tet. „Die gro­ßen Immo­bi­li­en­ent­wick­ler mach­ten lan­ge einen gro­ßen Bogen um den Wed­ding, denn hier war nicht viel zu ver­die­nen“, erzählt er. Als er 2011 anfing, küm­mer­te er sich lie­ber um die pri­va­ten Eigen­tü­mer, die nur eine Woh­nung ver­kau­fen woll­ten. Senio­ren, die sich ver­klei­nern wol­len, weil sie ins Heim umzie­hen müs­sen. Alt­ein­ge­ses­se­ne Haus­be­sit­zer, die nur weni­ge Woh­nun­gen ver­mie­ten. Das gro­ße Geschäft wird woan­ders abge­wi­ckelt. „Kein Ver­käu­fer aus Hei­li­gen­see wür­de sich einen Mak­ler aus dem Wed­ding suchen“, das ist Micha­el Rost bewusst.

Das Ergeb­nis

Des­we­gen bleibt sein Gewinn über­schau­bar. „Ein schö­nes Ein­fa­mi­li­en­haus mit einem gro­ßen Gar­ten in Pots­dam hat ein grö­ße­res  Auf­trags­vo­lu­men als mei­ne Tätig­keit hier für ein gan­zes Jahr” sagt er augen­zwin­kernd. Aber dass sich der Markt rasant ver­än­dert, bemerkt er auch hier. „Die Woh­nungs­prei­se im Wed­ding haben sich in den letz­ten sechs Jah­ren
ver­dop­pelt”, hat er beob­ach­tet. Und auch die Moti­va­ti­on für einen
Woh­nungs­kauf hat sich geän­dert: Jetzt kau­fen auch typi­sche Mie­ter eine Woh­nung, weil sie bei der frus­trie­ren­den Suche nach einer neu­en Miet­woh­nung kei­ne Chan­cen haben und für einen Kre­dit nicht mehr als für die Mie­te bezah­len müs­sen.  Oder weil sie ihre Spar­gut­ha­ben in eine siche­re Wert­an­la­ge inves­tie­ren wol­len – und eine Woh­nung in Ber­lin, auch im Wed­ding, ist nun mal eine siche­re Wert­an­la­ge. Für Ver­käu­fer aus dem Aus­land und für Erben­ge­mein­schaf­ten, die außer­halb von Ber­lin sind und den Kiez nicht ken­nen, spricht für „Wed­ding Immo­bi­li­en“, dass das Büro direkt vor Ort ist. So kann sich Micha­el Rost mit sei­ner Orts­kennt­nis und sei­nen guten Kon­tak­ten schnell um Ange­le­gen­hei­ten küm­mern.
Rück­bli­ckend betrach­tet kam für Micha­el Rost eini­ges zusam­men, was ihn für sei­ne Tätig­keit als Mak­ler im Wed­ding qua­li­fi­ziert. „Ich habe gern mit Men­schen, mit Öko­no­mie, aber auch mit alten Häu­sern zu tun“, sagt der 59-Jäh­ri­ge, der viel jün­ger wirkt. „Ich rede mit den Leu­ten. Ist das Ver­trau­en da, kön­nen wir alle Kar­ten offen auf den Tisch legen. Es geht ja nicht immer nur ums Geld, son­dern auch um Ent­schei­dun­gen fürs Leben. Die kann nur der gut tref­fen, der mög­lichst vie­le unter­schied­li­che Infor­ma­tio­nen hat, der nah an der Lebens­wirk­lich­keit dran ist.” Er schätzt es, dass im Wed­ding in wei­ten Tei­len noch eine klein­tei­li­ge Eigen­tü­mer­struk­tur vor­han­den ist.

„Das Gefühl des Lebens ist mir in mei­ner Arbeit wich­tig“, sagt Micha­el Rost, und was er viel­leicht meint, ist, dass es noch ein Stück Mensch­lich­keit auf einem ent­fes­sel­ten Markt geben muss. Und damit kom­men wir wie­der auf die Ein­rich­tung sei­nes Büros zurück, die nichts mit Käl­te zu tun hat: ein Kla­vier, Bil­der vol­ler Geschich­ten an der Wand – und die Lie­be zu den schö­nen Din­gen des Lebens.

Ladengeschäft in der Seestraße

Joachim Faust

hat 2011 den Blog gegründet. Heute leitet er das Projekt Weddingweiser. Mag die Ortsteile Wedding und Gesundbrunnen gleichermaßen.

1 Comment Leave a Reply

  1. Klingt ganz nach dem Titel “Eine wah­ren Geschich­te im Stadteil Wed­ding in Ber­lin“. Viel Glück für den beginn dei­nes Micha­el Rost und will­kom­men zurück im Wedding.

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