Auf den ersten Blick bietet das Büro von Michael Rost einen ungewöhnlichen Anblick. In dem schmalen Raum, der an einen Hinterhof an der Seestraße grenzt, stehen alte Holzmöbel, ein Klavier und ein Schreibtisch mit einem nostalgischen Fernsprecher. An den Wänden hängen viele alte Gemälde, bunt zusammengewürfelt. Aber auch wegen des Kronleuchters fühlt sich der Besucher an einen Ort versetzt, der nicht in die heutige Zeit und vielleicht auch nicht in den Wedding passt.
Die Grundkomponenten
Alle diese Dinge ergeben jedoch ein Gesamtbild, wenn man sich mit Michael Rost unterhält. Sobald der gebürtige Berliner zu erzählen beginnt, werden viele Gegenstände lebendig. Er plaudert los, berlinert, was das Zeug hält, und schnell sind drei Stunden vorbei. Jedes Detail in diesem Raum hat eine Geschichte, angefangen vom Telefon, mit dem er sich als Kind schon mit seinen Freunden verabredet hat. Ein Landschaftsgemälde wurde ihm von einem Verkäufer geschenkt, als er seine Wohnung aufgab. Das barocke Bild von einer eleganten jungen Frau mit dem riesigen goldenen Rahmen wiederum wurde ersteigert, es zeigt die feinfühlige Seite von Michael Rost. Denn trotz seiner technischen Begabung, dem Abitur mit Maschinenbauausbildung und dem Berufswunsch, Ingenieur zu werden, studierte er nach dem Wehrdienst Tonsatz und Komposition an der Weimarer Hochschule für Musik. Daran erinnert im Büro auch das Klavier, an dem er schon als Kind übte.
Der Wedding jedoch, der war zunächst unerreichbar, wenn er an der Wollankstraße auf Pankower Seite stand. Umso beeindruckender war der Tag Ende 1989, als ein Kranwagen die Betonteile der Mauer unter der S‑Bahnbrücke weghob. Der damals 29-Jährige stand daneben und es öffnete sich eine neue Welt, voller persönlicher Freiheiten und neuer Möglichkeiten.
Die Rahmenbedingungen
Jeder Einschnitt birgt eine Chance, davon ist Michael Rost überzeugt. Als er nach dem Zusammenbruch der DDR arbeitslos wurde, machte er sich mit einer eigenen Musikschule bei Gera selbstständig. Gemeinsam mit seiner damaligen Frau bewohnte er ein gotisches Haus, das die beiden jahrzehntelang sanierten. Der historische Fensterrahmen im Schaufenster der Seestr. 42 ist ein Relikt dieses Lebensabschnitts.
Seine vielen Talente waren zu dieser Zeit aber noch nicht zusammengekommen. Baustein für Baustein sammelte er Erfahrungen in unterschiedlichsten Branchen. Er versuchte sich als Versicherungsvertreter und Finanzberater, doch das war ihm zu unehrlich. „Ich wollte den Leuten im Osten nichts verkaufen, was sie nicht brauchen“, sagt er. Auf den ersten Blick eine erstaunliche Aussage für jemanden, der heute als Makler arbeitet. Vielleicht aber auch erst recht bemerkenswert, weil es in diesem Beruf nicht nur schwarze Schafe geben kann, schon gar nicht im Wedding, wo er sich über die Jahre seine Stammkundschaft aufgebaut hat. Da kommt es noch, anders als man vermuten würde, mehr als anderswo auf Ehrlichkeit, Vertrauen und eine gute Kenntnis der hiesigen Verhältnisse an.
Eine frühere Weiterbildung am Grimme-Institut öffnete Michael Rost in der nächsten Lebensphase die Türen für eine neue Karriere als Dokumentarfilmer beim MDR und KIKA, später nach der Trennung von seine Frau als Hörfunk– und Fernsehjournalist beim NDR-Regionalstudio in Greifswald. Seine schöpferische Kraft kam aber in der vorpommerschen Provinz als Lokal- und Kulturreporter nicht voll zur Geltung. „Wenn ich mal eine Villa im Grunewald verkaufe und daran viel verdiene, setze ich eine meiner Filmideen um”, sagt Michel Rost lachend. In seinem Aktenschrank lägen einige spannende Drehbuchentwürfe aus dieser Zeit, erzählt er.
Die Herausforderung
Eine neue Liebe führte ihn zurück nach Berlin und mitten in den Wedding. Mit Anfang 50 stand ein Neuanfang an, doch diesmal in einer Branche, in der man als Ein-Mann-Unternehmen seinen Lebensunterhalt verdienen kann. „Ich habe mich immer für alte Häuser interessiert“, sagt er, „ich habe ein Faible für alte Dinge und ihre Geschichte.“ Und so tut es ihm weh, wenn leichtfertig von zu beseitigenden Bausünden die Rede ist, wenn schöne und interessante Häuser verschwinden. Wenn man mit Bauen zu tun hat, sieht man, was alles kaputtgemacht wird. „Nehmen wir ein altes Mietshaus“, sagt Michael Rost. „Die Substanz aus dem Jahr 1910 funktioniert oft noch immer, anders als bei heutigen Bauten, bei denen alle paar Jahrzehnte alles umgerüstet werden muss.“ Alte Fenster, alte Grundrisse, bautechnische Details und Ornamente, das alles interessiert den schöngeistigen Makler aus dem Wedding.
Aber es brauchte einen langen Atem – die ersten neun Monate hat Michael Rost vergeblich auf den ersten Kunden gewartet. „Die großen Immobilienentwickler machten lange einen großen Bogen um den Wedding, denn hier war nicht viel zu verdienen“, erzählt er. Als er 2011 anfing, kümmerte er sich lieber um die privaten Eigentümer, die nur eine Wohnung verkaufen wollten. Senioren, die sich verkleinern wollen, weil sie ins Heim umziehen müssen. Alteingesessene Hausbesitzer, die nur wenige Wohnungen vermieten. Das große Geschäft wird woanders abgewickelt. „Kein Verkäufer aus Heiligensee würde sich einen Makler aus dem Wedding suchen“, das ist Michael Rost bewusst.
Das Ergebnis
Deswegen bleibt sein Gewinn überschaubar. „Ein schönes Einfamilienhaus mit einem großen Garten in Potsdam hat ein größeres Auftragsvolumen als meine Tätigkeit hier für ein ganzes Jahr” sagt er augenzwinkernd. Aber dass sich der Markt rasant verändert, bemerkt er auch hier. „Die Wohnungspreise im Wedding haben sich in den letzten sechs Jahren
verdoppelt”, hat er beobachtet. Und auch die Motivation für einen
Wohnungskauf hat sich geändert: Jetzt kaufen auch typische Mieter eine Wohnung, weil sie bei der frustrierenden Suche nach einer neuen Mietwohnung keine Chancen haben und für einen Kredit nicht mehr als für die Miete bezahlen müssen. Oder weil sie ihre Sparguthaben in eine sichere Wertanlage investieren wollen – und eine Wohnung in Berlin, auch im Wedding, ist nun mal eine sichere Wertanlage. Für Verkäufer aus dem Ausland und für Erbengemeinschaften, die außerhalb von Berlin sind und den Kiez nicht kennen, spricht für „Wedding Immobilien“, dass das Büro direkt vor Ort ist. So kann sich Michael Rost mit seiner Ortskenntnis und seinen guten Kontakten schnell um Angelegenheiten kümmern.
Rückblickend betrachtet kam für Michael Rost einiges zusammen, was ihn für seine Tätigkeit als Makler im Wedding qualifiziert. „Ich habe gern mit Menschen, mit Ökonomie, aber auch mit alten Häusern zu tun“, sagt der 59-Jährige, der viel jünger wirkt. „Ich rede mit den Leuten. Ist das Vertrauen da, können wir alle Karten offen auf den Tisch legen. Es geht ja nicht immer nur ums Geld, sondern auch um Entscheidungen fürs Leben. Die kann nur der gut treffen, der möglichst viele unterschiedliche Informationen hat, der nah an der Lebenswirklichkeit dran ist.” Er schätzt es, dass im Wedding in weiten Teilen noch eine kleinteilige Eigentümerstruktur vorhanden ist.
„Das Gefühl des Lebens ist mir in meiner Arbeit wichtig“, sagt Michael Rost, und was er vielleicht meint, ist, dass es noch ein Stück Menschlichkeit auf einem entfesselten Markt geben muss. Und damit kommen wir wieder auf die Einrichtung seines Büros zurück, die nichts mit Kälte zu tun hat: ein Klavier, Bilder voller Geschichten an der Wand – und die Liebe zu den schönen Dingen des Lebens.
Klingt ganz nach dem Titel “Eine wahren Geschichte im Stadteil Wedding in Berlin“. Viel Glück für den beginn deines Michael Rost und willkommen zurück im Wedding.