Mit seinem Buch “Heimaterde” gehört der Berliner Lucas Vogelsang zu den großen Newcomern der Leipziger Buchmesse. Der gebürtige Spandauer redet mit uns über Heimatgefühle, seinen Kumpel Ken Duken und warum Berlin die beste Stadt ist, um arbeitslos zu sein.
“Bin in 10 Minuten bei der Bäckerei Schön. Frag nach Yasemin und dem Buch Heimaterde, dann gibt es einen Chai-Tee.” Diese SMS, die uns Lucas Vogelsang am Anfang unseres Kiezspaziergangs durch den Wedding schickt, erzählt selbst schon eine Geschichte: Der junge Autor, hier nennen ihn alle nur Lucas, kennt die Leute im Kiez und sie kennen ihn. In seinem Erstlingswerk Heimaterde nehmen sie eine wichtige Rolle ein, denn der Wedding bildet das Rückgrat des Buches.
So sind wir gleich am Anfang unseres Spaziergangs mittendrin in Lucas’ Buch, das in dieser kleinen, türkischen Bäckerei Schön, beginnt. Hier geht der 31-Jährige gerne hin, um mit den Leuten in Kontakt zu kommen oder einfach nur, um das Leben im Kiez zu beobachten. Als einen “Tausch der Biografien”, beschreibt Lucas seine Reportagen. So entstanden auch die Geschichten in seinem Buch, für das er Menschen in ganz Deutschland befragte, was Heimat für sie bedeutet: “Für einen fiktiven Roman fehlte mir bisher die Fantasie. Warum soll ich etwas erfinden, wenn ich so viele tolle Geschichten auf der Straße finden kann?”
“Jede Kneipe, jeder Nachbar kann eine Geschichte sein, man muss nur hartnäckig bleiben und die Leute ansprechen”, sagt Lucas. So lernte er auch den Schauspieler Ken Duken kennen, den er im früheren coffeemamas am Adenauer Platz für ein Interview gewinnen wollte. Dieses kam zwar nie zustande, dafür sind die beiden Männer nun gute Bekannte. Überhaupt hat Lucas, seit 10 Jahren Journalist für Zeitungen wie den Tagesspiegel oder die Zeit, immer Stories über Berlin parat.
Zwischen Graffiti und Flieder
Lucas selbst ist in Spandau aufgewachsen, lebte zwischendurch in Charlottenburg, Mitte und jetzt eben im Wedding. Wo fühlt er sich nun zu Hause? “Meine Heimat ist eigentlich ganz Westberlin”, sagt Lucas. “Den Wedding mag ich, weil die Menschen hier echter sind als woanders. Mir gefällt außerdem dieser tolle Mix aus Zugezogenen und Einheimischen.” Also hat er kein Problem mit Prenzlschwaben? “Auch ich als Urberliner gentrifiziere im Wedding ja sozusagen mit. Man muss Begegnungen forcieren. Denn in Begegnungen lösen sich Klischees auf.”
Das mit den Worten hat Lucas drauf. Am liebsten würde er, der im Kopf immer Reporter ist, den Artikel auch gleich selber benennen: “Graffiti und Flieder” nämlich. Denn beim Schlendern entlang dem Fluss Panke weist er uns enthusiastisch auf die vielen Gegensätze hin: Hier ein dunkles Industriegelände mit Graffiti, gleich dahinter eine schöne Allee mit Fliederbäumen – so etwas liebt er an seinem Kiez. Aber auch entlang der Tegeler Straße ist er gerne unterwegs, beispielsweise im Café Göttlich , wo “das Essen genau so schmeckt wie der Name des Cafés es verspricht”. Im Partybezirk Friedrichshain wirst du Lucas dagegen eher selten treffen. “Vielleicht, weil ich im Westen aufgewachsen bin, vielleicht auch weil ich nie Student war, aber mit diesem Bezirk verbinde ich eigentlich nichts.”
Fußball ist der beste Eisbrecher
In Kreuzberg dagegen würde er gerne mal wohnen. Deswegen gefällt ihm auch das Dujardin an der Uferstraße, in dem er immer Käsekuchen isst: “Hier ist es wie in Kreuzberg, ohne nach Kreuzberg fahren zu müssen”, sagt Lucas und lacht. “Die Leute sitzen schon bei 12 Grad draußen. Das gibt es so nur in Berlin. Drei Sonnenstrahlen und die ganze Stadt scheint arbeitslos zu sein.”
Als eine der letzten Stationen will Lucas uns noch den Fußballkäfig zeigen, wo die Karriere der berühmten Boateng-Brüder begann, die auch in seinem Buch vorkommen. An diesem Tag hängen in dem Rechteck aus Staub und Beton nur ein paar Jugendliche ab – an die Boatengs, die Wedding-Ikonen, erinnert das große Gewachsen auf Beton-Graffiti um die Ecke. Lucas, der als Kind immer Fußball-Kommentator werden wollte, ist heute Mitglied der Fußball-Autorennationalmannschaft, die vom Deutschen Fußballbund und dem Auswärtigen Amt gefördert wird. Er beschreibt den Sport als eine “Kommunikation mit den Beinen”. Das ist bei seinen Reportagen oft hilfreich: “Wenn du beim Fußball gemeinsam leidest und kämpfst, kannst du danach eigentlich alles fragen.”
Und was macht der Berliner Autor, wenn er nicht Fußball spielt oder schreibt? “Abends gehe ich auch mal ins Anita Berber in der Pankstraße, tanzen eher in der Nachbarschaft.” Ein bisschen Entspannung muss eben auch mal sein, denn “dieses Buch, all die Biografien, das hat Kraft gekostet”, so Lucas. Für ein neues Buch lässt er sich deshalb noch etwas Zeit, mehr von Lucas Vogelsang kannst du in seinen Reportagen für die Welt am Sonntag lesen.
Autorin: Julia Stürzl, QIEZ.de
Dieser Beitrag erschien ursprüngich bei unserem Kooperationspartner qiez.de
Unsere Rezension von Heimaterde