Mastodon

Interview:
Plus und Minus – Bürgermeister zieht Bilanz

17. Juni 2021
Stephan von Dassel

Vor vier Jah­ren führ­ten wir ein Inter­view mit dem damals neu gewähl­ten Bezirks­bür­ger­meis­ter Ste­phan von Das­sel. Nun endet die­se (ers­te) Amts­zeit bald (er wahl­kämpft dafür, den Bezirk eine zwei­te Run­de zu regie­ren). Der 19. Juni ist 100. Tag vor dem Wahl­abend. In der 100-Tages­frist sehen wir die letz­te Gele­gen­heit, um Bilanz zu zie­hen, zurück­zu­schau­en, Erfol­ge und Miss­erfol­ge zu wie­gen. Wir bit­ten den Grü­nen-Poli­ti­ker auf das Geschaff­te und auf das Lie­gen­ge­blie­be­ne der letz­ten fünf Jah­re zu bli­cken. Hier das Interview: 

Behaup­ten wir ein­fach mal, heu­te ist die letz­te Mög­lich­keit, um Bilanz zu zie­hen, bevor der Wahl­kampf heiß­läuft. Wel­che Ihrer Ent­schei­dun­gen als Bezirks­bür­ger­meis­ter ver­bu­chen Sie auf der Haben­sei­te und wel­che auf der Sollseite?

Ste­phan von Das­sel: 85 Pro­zent der Spiel­hal­len wur­den geschlos­sen, die Zahl der kos­ten­pflich­ti­gen Park­plät­ze ver­dop­pelt, mehr Trans­pa­renz bei Lebens­mit­tel­kon­trol­len geschaf­fen, die Ver­wal­tung nach den Spar­or­gi­en wie­der nach­hal­tig gestärkt und mehr als 1.000 neue Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen ein­ge­stellt. Die sind in der Regel viel jün­ger, diver­ser und gehen auch mit einem ande­ren Anspruch an (digi­ta­len) Ser­vice der Ver­wal­tung an die Arbeit.

Fair­trade und kom­mu­na­le Ent­wick­lungs­po­li­tik wur­den im Bezirks­amt ver­an­kert, das Büro des Bezirks­bür­ger­meis­ters, in dem einst Natio­nal­so­zia­lis­ten saßen, im Rat­haus Tier­gar­ten zum Muse­um umge­wan­delt, die Fas­sa­de des Rat­hau­ses am Mat­hil­de-Jacob-Platz zur Open-Air-Gal­lery gestal­tet, neue Prak­ti­kums­plät­ze für bil­dungs­be­nach­tei­lig­te Jugend­li­che geschaf­fen sowie mehr als 50 Lang­zeit­ar­beits­lo­se eingestellt.

Lei­der hat die Pan­de­mie ins­be­son­de­re im Bereich der Bür­ger­äm­ter und des Stan­des­am­tes weni­ger statt mehr Ser­vice ver­ur­sacht. Natür­lich hät­te ich mir gewünscht, dass wir an noch mehr Stel­len die Infra­struk­tur für Rad­fah­ren­de siche­rer und attrak­ti­ver gemacht hätten.

Ziem­lich rat­los bin ich bezüg­lich des Mülls auf Stra­ßen und in Parks. Unse­re Sperr­müllak­ti­ons­ta­ge, Mehr­weg­pro­jek­te, Öffent­lich­keits­kam­pa­gnen, unse­re neu­en Abfall­ei­mer und nicht zuletzt die stär­ke­ren Kon­trol­len durchs Ord­nungs­amt hal­ten vie­le Men­schen anschei­nend nicht davon ab, den öffent­li­chen Raum als gro­ßen Müll­ei­mer zu betrach­ten. Das ärgert mich jeden Tag. Wie zum Bei­spiel auch das rück­sichts­lo­se Ver­hal­ten vie­ler Men­schen gegen­über der Natur am Plöt­zen­see. Da haben wir als Gesell­schaft ins­ge­samt noch viel Arbeit vor uns.

Nach der Wahl 2016 woll­ten Sie, dass die fünf Stadt­rä­te (aus vier Par­tei­en) ein koope­ra­ti­ves Füh­rungs­team bil­den. Heu­te nen­nen das eini­ge den Robert-Habeck-Style. Wie gut ist Ihnen das gelungen?

Als Bezirks­amt­skol­le­gi­um der fünf Stadt­rä­te haben wir für den Umgang unter den Beschäf­tig­ten Vor­bild­cha­rak­ter. Ich bin daher froh über das gute kol­le­gia­le Mit­ein­an­der. Dazu hat sicher­lich bei­getra­gen, dass im Gegen­satz zu frü­her alle Ämter unab­hän­gig von ihrer poli­ti­schen Zuord­nung in glei­cher Wei­se von zusätz­li­chen Stel­len, Gel­dern oder aktu­ell Ver­bes­se­run­gen im IT-Bereich pro­fi­tiert haben. Aber natür­lich rin­gen wir kon­tro­vers ins­be­son­de­re bei der Nut­zung der Fra­ge, wo zusätz­li­che Woh­nun­gen, wo neue Schul‑, Kita- oder Gewer­be­flä­chen ent­ste­hen sol­len und was aus öko­lo­gi­schen Grün­den unbe­baut blei­ben muss.

Sie gin­gen an den Start mit einer Ziel­ver­ein­ba­rung für die Ver­wal­tung. Wel­che Auf­trä­ge haben es bis zum Ziel­ein­lauf geschafft und wel­che nicht? Und war­um nicht?

Sicher ist der ers­te Erfolg bereits, dass wir uns über­haupt auf ein Ziel­sys­tem eini­gen konn­ten, das unse­rer Gesamt­ver­ant­wor­tung für den Bezirk ent­spricht, sehr kon­kre­te Zie­le benennt, sie ste­tig wei­ter­ent­wi­ckelt und den Stand der Ziel­er­rei­chung ehr­lich und öffent­lich dokumentiert.

Aktu­ell haben wir eine posi­ti­ve Baum­bi­lanz, konn­ten unse­re Kul­tur­ein­rich­tun­gen sichern, kön­nen aus­rei­chend Schul­plät­ze anbie­ten und gewin­nen mehr neue Beschäf­tig­te als uns ver­las­sen. In vie­len Berei­chen ‒ wie mehr Per­so­nal fürs Ord­nungs­amt, mehr Kapa­zi­tä­ten für die Ein­bür­ge­rung und mehr Viel­falt in der Ver­wal­tung ‒ sind wir auf einem guten Weg.

Dage­gen sind wir beim Kita-Aus­bau, mehr güns­ti­gem Wohn­raum oder einer bes­se­ren Gesund­heits­quo­te und nicht zuletzt beim Kli­ma­schutz noch weit weg von unse­ren Zie­len. Wir tei­len all unse­re Zie­le immer in ein­zel­ne Schrit­te auf.  So erken­nen wir schnel­ler, wor­an es kon­kret hakt. Oft ist es auch die Zusam­men­ar­beit zwi­schen den Ämtern. Die Zusam­men­ar­beit in einer gro­ßen Behör­de zu ver­bes­sern und die inne­re Büro­kra­tie abzu­bau­en, ist schwie­ri­ger als ich dach­te. Ins­be­son­de­re wäh­rend der Pandemie. 

Sie gehö­ren zu den weni­gen Poli­ti­kern in Mit­te, die der eige­nen Par­tei nicht immer nach dem Mun­de reden. War­um kreu­zen Sie manch­mal lie­ber vor der Bri­se, anstatt die Segel ein­fach in den Wind zu stellen?

Gute Poli­tik beginnt mit der Betrach­tung der Wirk­lich­keit. Und ich habe den Anspruch, alle Men­schen in unse­rem Bezirk zu ver­tre­ten, nicht nur die, die mei­ne Par­tei gewählt haben oder gar Mit­glied in die­ser sind. Bei beson­ders schwie­ri­gen The­men – wie zum Bei­spiel dem Stra­ßen­strich in der Kur­fürs­ten­stra­ße oder den geeig­ne­ten Hil­fen für obdach­lo­se Men­schen – müs­sen wir mög­lichst vie­le Per­spek­ti­ven berück­sich­ti­gen, um zu Ver­bes­se­run­gen für die Betrof­fe­nen zu kom­men. Wenn man sich über das Ziel einig ist, dann kann Streit über den bes­ten Weg dort­hin durch­aus pro­duk­tiv sein. Das zeich­net doch eine leben­di­ge und men­schen­na­he Poli­tik aus.

Man­che haben den Ein­druck, das Ord­nungs­amt haben Sie nicht wider­wil­lig über­nom­men. Obwohl das ein Feld ist, auf dem die Wäh­ler die CDU erwar­ten. Was ist das Grü­ne, das Sie in den letz­ten fünf Jah­ren in das Feld der Sicher­heit und Ord­nung gebracht haben?

Ich will einen öffent­li­chen Raum für alle – Anwoh­nen­de aller Alters­klas­sen und Lebens­la­gen, Ber­lin­be­su­chen­de wie auch ver­meint­li­che Pro­blem­grup­pen. Damit kei­ne Grup­pe eine ande­re domi­niert oder gar ver­drängt, muss die öffent­li­che Hand immer wie­der zuguns­ten der schwächs­ten Grup­pe ein­grei­fen – ob es Kin­der auf einem sprit­zen­be­las­te­ten Spiel­platz, älte­re oder eben sucht­kran­ke Men­schen sind. Mit Ange­bo­ten für hil­fe­be­dürf­ti­ge Men­schen, Ergän­zun­gen der Infra­struk­tur, aber auch der Zusam­men­ar­beit mit der Poli­zei und kon­se­quen­tem Han­deln des Ord­nungs­am­tes ver­su­chen wir das fra­gi­le Gleich­ge­wicht im öffent­li­chen Raum auf­recht zu erhal­ten oder wie­der her­zu­stel­len – situa­ti­ons­an­ge­mes­sen und im Sin­ne des Gemein­wohls. Sich von Kri­tik und Miss­erfol­gen nicht ent­mu­ti­gen zu las­sen, Anwoh­nen­de und Beschäf­tig­te anzu­hö­ren und ihre Sor­gen ernst zu neh­men und immer wie­der bereit zu sein, neue Wege zu gehen – wie bei der geplan­ten künst­le­ri­schen Beleuch­tung der Brü­cken am Alex­an­der­platz – das kenn­zeich­net für mich eine grü­ne Sicher­heits- und Ordnungspolitik.


Inter­view mit Ste­phan von Das­sel zum Start sei­ner Amts­zeit “Bezirks­bür­ger­meis­ter Ste­phan von Das­sel im Inter­view” vom 21. Febru­ar 2017.

Ist ein sol­ches Inter­view zum Ende einer Amts­zeit schon Wahl­kampf? Wir hof­fen nicht. Bilanz zie­hen, kann man eben nur am Ende – oder 100 Tage vor dem Ende. Ver­spro­chen: den nun anlau­fen­den Wahl­kampf wird der Wed­ding­wei­ser beglei­ten. So wer­den Inter­views mit den vier aus­sichts­rei­chen Kan­di­da­ten für das Amt des Bezirks­bür­ger­meis­ters fol­gen (so die­se Rede und Ant­wort ste­hen wollen).

Andrei Schnell

Meine Feinde besitzen ein Stück der Wahrheit, das mir fehlt.

Schreibe einen Kommentar

Your email address will not be published.

MastodonWeddingweiser auf Mastodon
@[email protected]

Wedding, der Newsletter. 1 x pro Woche



Unterstützen

nachoben

Auch interessant?