Mastodon

Lesermeinung: “Die bringen wir schon irgendwie unter…”

1. Juli 2015
2

Eine Wed­ding­wei­ser-Lese­rin weist auf die neu­er­dings über­lau­fe­nen Schu­len in Ber­lin-Mit­te hin. Erst kurz vor den Som­mer­fe­ri­en zeich­net sich ins­be­son­de­re an der Eri­ka-Mann-Grund­schu­le eine uner­war­tet hohe Zahl von Erst­kläss­lern ab. Eltern und Ver­ant­wort­li­che müs­sen sich lang­sam Sor­gen machen: ist so noch eine ver­nünf­ti­ge Betreu­ung von Schul­kin­dern möglich? 

Vor der Erika-Mann-Schule
Vor der Erika-Mann-Schule

“Immer mehr Men­schen zie­hen nach Mit­te, auch in den Wed­ding. Das ist nichts Neu­es, soll­te man den­ken. Die Kin­der­gär­ten sprie­ßen wie die Pil­ze aus dem Boden, und wenn man vor, sagen wir fünf Jah­ren, noch in klei­ner Run­de auf dem Spiel­platz mit den Kin­dern tob­te und sich den Platz auf der Park­bank nach dem Son­nen­stand aus­such­te, da nimmt man heu­te den, der noch frei ist. Vor vier Jah­ren hat­te ich noch kein Pro­blem, mein Kind an der Wunsch­schu­le anzu­mel­den, auch wenn sie nicht im Ein­zugs­be­reich lag. In die­sem Jahr haben etli­che Eltern auch gut acht Wochen vor dem neu­en Schul­jahr noch kei­ne ver­bind­li­che Zusa­ge für einen Schul­platz für ihr Kind.

Hin­ter­grund ist, dass die Schul­be­hör­de von dem hohen Anstieg der Neu­an­mel­dun­gen über­rascht wur­de. Auf der Sit­zung der BVV am 18. Juni erklär­te Sabi­ne Smen­tek, die Schul­stadt­rä­tin von Ber­lin-Mit­te, ihre Behör­de hät­te mit etwa 3.000 Neu­an­mel­dun­gen in die­sem Jahr gerech­net. Tat­säch­lich waren es 3.500. In der Ver­gan­gen­heit sei­en außer­dem von den Anmel­dun­gen auch vie­le wie­der zurück­ge­zo­gen wor­den, weil Kin­der an Schu­len außer­halb des Bezirks einen Schul­platz gefun­den hat­ten. Auch das sei die­ses Jahr anders, es blie­ben mehr Kin­der im Bezirk. Die­se zusätz­li­chen 500 Erst­kläss­ler muss man nun, wie ein Abge­ord­ne­ter der SPD sag­te, „irgend­wie unterbringen“.

50 Erstklässler mehr an der Erika-Mann-Grundschule

Anna-Lindh-Schule
Anna-Lindh-Schu­le

Mit­te Juni 2015, also einen gan­zen Monat vor Feri­en­be­ginn, wur­de neben wei­te­ren Schu­len auch die Eri­ka-Mann-Grund­schu­le davon unter­rich­tet, dass statt der regu­lä­ren Anzahl von 90 Erst­kläss­lern im kom­men­den Schul­jahr 140 neue Schü­ler auf­ge­nom­men wer­den sol­len – also 50 Kin­der mehr, eine Stei­ge­rung um 56%.

Die Pro­ble­me sind offen­sicht­lich: Zum einen gibt es nicht genü­gend Klas­sen­räu­me und Hort­räu­me samt Aus­stat­tung, sowie Leh­rer und Erzie­her. Aber auch das gan­ze Schul­kon­zept funk­tio­niert mit zwei zusätz­li­chen Klas­sen nicht mehr. Die Schul­ein­gangs­pha­se an der Eri­ka-Mann-Grund­schu­le besteht aus den Klas­sen 1–3, auf die die bis­her 90 Schul­an­fän­ger auf­ge­teilt wer­den. Die hin­zu­kom­men­den 50 Erst­kläss­ler müss­ten in jahr­gangs­ho­mo­ge­nen Klas­sen unter­rich­tet wer­den. Wobei nun auch wie­der nicht klar ist, nach wel­chen Kri­te­ri­en die Kin­der auf­ge­teilt wer­den soll­ten, immer­hin haben sicher­lich alle Eltern, die ihre Kin­der an der Eri­ka-Mann-Grund­schu­le ange­mel­det haben, die Erwar­tung, dass auch ihrem Kind eben das so erfolg­rei­che Bil­dungs­kon­zept zuteil­wird. Über­haupt sind die Kapa­zi­tä­ten gera­de im Hin­blick auf die beson­de­ren Ange­bo­te, die die Schu­le zu einer inter­na­tio­nal renom­mier­ten Schu­le gemacht haben, schon jetzt aus­ge­las­tet. Selbst so bana­le Din­ge wie die Mit­tags­ver­sor­gung klappt mit 50 wei­te­ren Schü­lern nicht mehr. Die Men­sen sind so klein, dass jetzt schon die Kin­der in vier Schich­ten essen. Wenn noch 50 hin­zu­kom­men, bekom­men die­se ihr Mit­tag­essen ent­we­der kurz nach der Früh­stücks­pau­se um 11.20 Uhr oder am Nach­mit­tag um 14.40 Uhr.

Die Situa­ti­on ist für kei­nen fair: Nicht für die Schü­ler, die schon auf der Eri­ka-Mann-Grund­schu­le ler­nen und nun wahr­schein­lich die her­vor­ra­gen­den Ange­bo­te der Schu­le in Zukunft nicht mehr nut­zen kön­nen, weil Fach­räu­me (Wer­ken, Thea­ter, Chor, Musik, Schü­ler­bi­blio­thek etc.) und das Per­so­nal für die neu­en Schü­ler ein­ge­setzt wer­den müs­sen; aber auch nicht für die neu­en Schü­ler, die unter schlech­te­ren Bedin­gun­gen ein­ge­schult wer­den, als die Jahr­gän­ge noch vor ihnen. Auch den Leh­rern und Erzie­hern wird das nicht gerecht. Erfah­rungs­ge­mäß wird die Über­las­tung von Leh­rern und Erzie­hern zu mehr Kran­ken­ta­gen und damit Unter­richts­aus­fall führen.

Jetzt keine Planung möglich

Schulgebäude Trift- Ecke Müllerstr.
Schul­ge­bäu­de Trift- Ecke Müllerstr.

Hin­zu kommt, dass nor­ma­ler­wei­se die Pla­nung an den Schu­len für das kom­men­de Schul­jahr schon längst lau­fen müss­te. Als mein Kind ein­ge­schult wur­de, wur­den die ange­hen­den Erst­kläss­ler schon im April zu einem Schnup­per­tag von ihren zukünf­ti­gen Klas­sen­ka­me­ra­den ein­ge­la­den, bei dem auch der „Bären­stark – Test“, ein Sprach­ent­wick­lungs­test, durch­ge­führt wur­de. Ver­mut­lich ist momen­tan noch nicht ein­mal klar, wer denn über­haupt die neu­en zwei Klas­sen als Klassenlehrer/in über­neh­men soll.

Sor­gen macht mir zudem, wie das Schul­amt die Pro­ble­me für die kom­men­den Jah­re lösen will. Momen­tan hin­ken sie ihren Auf­ga­ben gewal­tig hin­ter­her. Im Prin­zip müss­ten sie sich spä­tes­tens jetzt Gedan­ken dar­über machen, wie sie die gestie­ge­nen Schü­ler­zah­len in den kom­men­den Jah­ren bewäl­ti­gen wer­den. Ich befürch­te, dass die Pro­ble­me ein­fach mit­ge­schleppt wer­den und dazu füh­ren, dass die Schu­len auch in den kom­men­den Jah­ren mehr Schü­ler auf­neh­men müs­sen und die Eng­päs­se dann pro­vi­so­risch man­gel­ver­wal­tet werden.

Wenn man rea­lis­tisch davon aus­geht, dass der Anstieg der Schü­ler­zah­len sich fort­set­zen wird, dann kommt man nicht umhin, still­ge­leg­te Schu­len zu reak­ti­vie­ren oder neue Schu­len zu bau­en. Für die­se Pro­gno­se reicht eine über­schlä­gi­ge Schät­zung: Bei 25 Kin­dern pro Klas­se, drei bis vier Zügen pro Klas­sen­stu­fe und 6 Klas­sen­stu­fen kommt man auf rund 450 – 600 Kin­der pro Grund­schu­le. Allein mit den 500 zusätz­li­chen Erst­kläss­lern die­ses Jah­res könn­te man also schon eine gan­ze Schu­le fül­len. Hoch­ge­rech­net auf die nächs­ten sechs Grund­schul­jah­re bedeu­te­te das also 5 ‑6 Schu­len zusätz­lich allein in Mitte.

Kapazitäten erweiteren – ohne neue Schulen?

(C) Labyrinth Kindermuseum
© Laby­rinth Kindermuseum

Im Schul­ent­wick­lungs­plan 201415201920, Stand 04/2014, wur­de noch von wesent­lich weni­ger Schü­lern aus­ge­gan­gen. Doch auch dar­in fin­det sich schon die Emp­feh­lung zur „Kapa­zi­täts­er­wei­te­rung, bei­spiels­wei­se durch Mobi­le Sys­tem­bau­ten oder Hin­zu­nah­men bis­her nicht zu Schul­zwe­cken genutz­ter Gebäude(teile) (…) spä­tes­tens bis zum Ende des Betrach­tungs­zeit­rau­mes 2019/20“. Über­setzt heißt das also Unter­richt im Con­tai­ner und die Nach­mit­tags­be­treu­ung fin­det im Klas­sen­raum statt. Gleich­zei­tig heißt das aber auch, dass das Schul­amt jeden­falls bis­her kei­ne Neu­eröff­nung wei­te­rer Schu­len anvi­siert. Und danach? Was pas­siert mit den Kin­dern beim Wech­sel in die wei­ter­füh­ren­den Schulen?

Ich den­ke, das ist ein The­ma, das nicht nur Eltern von der­zei­ti­gen Grund­schü­lern inter­es­sie­ren soll­te, son­dern auch Eltern von Kin­der­gar­ten­kin­dern, denn gera­de für ihre Kin­der wer­den sich die Bedin­gun­gen sehr ver­schlech­tert haben, wenn wir uns jetzt nicht alle gemein­sam dage­gen weh­ren. Es betrifft auch nicht nur die Eri­ka-Mann-Grund­schu­le, bei der Bezirks­ver­ord­ne­ten­ver­samm­lung waren auch Eltern, Leh­rer und Erzie­her ande­rer Schu­len zuge­gen, die sicher­lich vor den­sel­ben Pro­ble­men ste­hen. Es macht Sinn, dass sich alle Betrof­fe­nen zusam­men­tun, um sich gemein­sam zu engagieren.”

Ein Bei­trag von Julia Flint-Ayadi

 

weddingweiserredaktion

Die ehrenamtliche Redaktion besteht aus mehreren Mitgliedern. Wir als Weddingerinnen oder Weddinger schreiben für unseren Kiez.

2 Comments

  1. […] wis­sen, dass die wegen ihrer Kon­zep­te begehr­ten Grund­schu­len sehr über­lau­fen sind und wegen der uner­war­tet hohen Schü­ler­zah­len extrem vie­le neue Schü­ler ver­kraf­ten müs­sen. Um sich aber für eine Wed­din­ger Schu­le entscheiden […]

Schreibe einen Kommentar zu Moritz Berger Antworten abbrechen

Your email address will not be published.

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.

MastodonWeddingweiser auf Mastodon
@[email protected]

Wedding, der Newsletter. 1 x pro Woche



Unterstützen

nachoben

Auch interessant?