Wenn Bernd Kunckel nach rechts aus dem Fenster in der vierten Etage schaut, sieht er einen Hof in der Gerichtstraße. Grafitti, ein Streetart-Kunstwerk, buntes Weddinger Leben. Wenn er gerdeaus schaut, hat er ebenfalls einen guten Überblick. Er sieht dann durch eine Glasscheibe in den Nebenraum und kann die Jugendlichen sehen, für die dieser Ort eine Chance bedeutet. Seit acht Jahren kümmern sich hier Sozialarbeiter und Lehrer um junge Menschen, die einen Weg außerhalb der Regelschule suchen oder wie Bernd Kunckel es sagt: „Hier sind Jugendliche, die in der Schule nicht weiterkommen, an denen sich die Lehrer die Zähne ausgebissen haben“.
„Hier bei uns können die Jugendlichen ihre Schulpflicht erfüllen, eine Tagesstruktur einüben, sich praktisch ausprobieren und auf einen Abschluss vorbereiten“, sagt Bernd Kunckel. Die Bedingungen dafür sind gut: kleine Gruppen, viel Beziehungsarbeit, gemeinsames Frühstück, Praxisprojekte, wenige Regeln. „Die Jugendlichen abholen“ nennt es Bernd Kunckel. Abgeholt werden die Jugendlichen im Rahmen der Move-Projekte. Das sind Projekte der Jugendberufshilfe des freien Trägers Zukunftsbau. 1996 gab es das erste Move-Projekt, inzwischen gibt es viele Ableger: für schulmüde Jungen und Mädchen an bestimmten Weddinger Schulen, speziell für Mädchen oder für Jugendliche mit Fluchterfahrungen.
Bernd Kunckel arbeitet seit 20 Jahren bei Zukunftsbau, die Move-Projekte koordiniert er seit fünf Jahren. Wie viele seiner Kollegen bringt er eine weitere Qualifizierung mit, er ist Tischler. Damit könnte er mit den Jugendlichen neben dem Unterricht in der Holzwerkstatt arbeiten. Doch dafür hat er als Koordinator keine Zeit. „Der Bedarf nach solchen Projekten ist riesig. Die Arbeit hier ist sinnstiftend und bietet viel Freiheit und Abwechslung, die Bezahlung ist auch gut. Das Problem ist: wir finden trotzdem immer schwerer Personal“, sagt Kunckel.
Nicht nur die Wirtschaft oder der Pflegebereich sind von Personalmangel betroffen. Auch im sozialen Bereich bleiben immer mehr Stellen unbesetzt. Die Corona-Pandemie hat das Problem vergrößert: „Wenn wir früher eine Stelle geschaltet haben, bekamen wir 40 bis 60 Bewerbungen. Heute denke ich: Es muss doch Leute geben, die den Job machen wollen!“ Aktuell braucht Bernd Kunckel für die Gerichtstraße einen neuen Kollegen, für andere Move-Projekte werden weitere Sozialpädagogen oder Erziehner gesucht (www.zukunftsbau.de/stellen).
Der Text stammt aus der Weddinger Allgemeinen Zeitung (–> E‑Paper), der gedruckten Zeitung für den Wedding. Geschrieben wurde er von Dominique Hensel. Wir danken dem RAZ-Verlag!
Toller Beruf, nur das Stundenmodell leider überholt. Die Menschen wollen nicht mehr 40h arbeiten, zumal das in diesem herausfordernden Arbeitsfeld besonders hinterfragenswert ist. Für gelingende und nachhaltige soziale Arbeit muss der Raum zur Erholung und Reflexion bestehen.