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Kochen in der Flüchtlingsunterkunft: Eine Frage der Würde

21. April 2015

kochen_gotenburger2Jan Nadol­ny ist Koor­di­na­tor der Erst­auf­nah­me­ein­rich­tun­gen und Gemein­schafts­un­ter­künf­te in der Flücht­lings­hil­fe des AWO Kreis­ver­ban­des Ber­lin-Mit­te. Lena Reich, Quar­tiers­rä­tin und aktiv bei der Unter­stüt­zungs­in­itia­ti­ve „Wed­ding hilft!“, im Gespräch mit ihm über das Kochen in den Flüchtlingsunterkünften.

Sie koor­di­nie­ren die Unter­künf­te für geflo­he­ne Men­schen in der Pank­stra­ße und in der Goten­bur­ger Stra­ße, die der­zeit 330 Men­schen beher­ber­gen. Wie sind die täg­li­chen Mahl­zei­ten dort organisiert? 
Jan Nadol­ny: In den Erst­auf­nah­me­ein­rich­tun­gen wer­den die Bewoh­ner solan­ge voll ver­pflegt, bis ihr Asyl­an­trag bear­bei­tet wird. Es gibt also Früh­stück, Mit­tag­essen und Abend­brot. Ein Wagen mit war­men und kal­ten Geträn­ken steht 24 Stun­den zur Ver­fü­gung. Die Unter­brin­gung in einer Erst­auf­nah­me­ein­rich­tung soll in der Regel nicht län­ger als drei Mona­te dauern.

Wird das Essen vor Ort zubereitet? 
Jan Nadol­ny: Wir befin­den uns in einer alten Schu­le, da gibt es kei­nen Raum für eine Groß­kü­che mit Maschi­nen für 180 Men­schen. Eine Cate­ring­fir­ma lie­fert uns das Essen täg­lich. Wir geben es aus der „Bain Marie“ (Spei­sen­wär­mer, Anmer­kung der Redak­ti­on) her­aus auf Tel­lern raus. In einem Rhyth­mus von zehn Tagen wie­der­holt sich das Essen allerdings.

kochen_gotenburger1Es gibt aber kei­ne Königs­ber­ger Klopse? 
Jan Nadol­ny: Him­mel, nein! Der Koch bemüht sich schon um die Leu­te, die aus dem Mit­tel­meer­raum kom­men: Reis, Fisch, Gemü­se, Huhn. Der Koch erkun­digt sich regel­mä­ßig, ob es denn schmeckt, was er da so kocht. Das tut es. Natür­lich haben die Bewoh­ner wie alle ande­ren auch ver­schie­de­ne Ess­ge­wohn­hei­ten. Die hört er sich dann auch an. Vege­ta­ri­er zu sein ist ja kein Pri­vi­leg für Nichtflüchtlinge.

Kön­nen die Bewoh­ner den­noch sel­ber kochen? 
Jan Nadol­ny: Erst wenn das Lan­des­amt für Gesund­heit und Sozia­les (LaGe­So) den Geflüch­te­ten Geld zuspricht, kön­nen sie auch selbst­stän­dig ein­kau­fen und kochen. Idea­ler­wei­se soll dies an einen Umzug in eine eige­ne Woh­nung gekop­pelt sein. Das ist aber lei­der für die Mehr­zahl kaum mög­lich, weil der Woh­nungs­markt über­las­tet ist. Das LaGe­So stellt also inner­halb der ers­ten drei Mona­te vom Sach­leis­tungs- auf den Geld­leis­tungs­be­zug um. Das wie­der­um ist abhän­gig davon, ob die Geflüch­te­ten in der Unter­brin­gung kochen können.

Wel­che Koch­mög­lich­kei­ten gibt es in den Unterkünften? 
Jan Nadol­ny: Der Platz ist begrenzt: Nur die Bewoh­ner im Geld­leis­tungs­be­zug kochen. In der Goten­bur­ger­stra­ße haben wir die ehe­ma­li­ge Schü­ler­kü­che in Betrieb genom­men. Dort ste­hen nun erst ein­mal vier Her­de, an denen vier­zig Per­so­nen kochen dür­fen. Das ist gesetz­lich gere­gelt. In der Pank­stra­ße sind es sechs Her­de. Ich per­sön­lich ver­ste­he es schon, dass man denen, die nach einer lan­gen Rei­se erschöpft ankom­men, die Sor­ge um die Ver­pfle­gung erst­mal nimmt. Aber, dass das bis zu drei Mona­te dau­ert, hal­te ich für zu lange.

Kann das auf Dau­er reichen? 
Jan Nadol­ny: Da es einer­seits zu weni­ge freie Woh­nun­gen, ander­seits auch gut ein­ge­rich­te­te Wohn­hei­me für Geflüch­te­te und Asyl­be­wer­ber gibt, kann die Anzahl der Her­de in den Not­un­ter­künf­ten zu einem Nadel­öhr wer­den: Die Umstel­lung vom Sach­leis­tungs- zum Geld­leis­tungs­be­zug ver­zö­gert sich dadurch für die Bewoh­ner. Denn Geld­leis­tun­gen dür­fen nur gewährt wer­den, wenn gleich­zei­tig die Vor­aus­set­zun­gen geschaf­fen sind, dass ein Mensch selbst kochen kann.

Wie sehen Sie die Selbst­ver­sor­ger, die bei ihnen wohnen? 
Jan Nadol­ny: Sie kön­nen sich frei in der Stadt bewe­gen und das Essen holen, das nach ihrem Geschmack ist. Das muss schon ein irres Gefühl sein, wenn man Schritt für Schritt wie­der über sich selbst bestim­men kann. Ich ver­ste­he es schon, dass man denen, die nach einer lan­gen Rei­se erschöpft ankom­men, die Sor­ge um die Ver­pfle­gung erst­mal nimmt. Aber, dass das bis zu drei Mona­te dau­ert, bis Geflüch­te­te das Geld bekom­men, um selbst ein­kau­fen und kochen und kön­nen, hal­te ich für zu lange.

Und wenn der Kreis­lauf dann gebro­chen ist? 
Jan Nadol­ny: Wenn Du Gast­ge­ber sein kann, kannst Du das Gefühl der Hilfs­be­dürf­tig­keit nach und nach abschal­ten. Das ist enorm wich­tig für alle. Es ist eine Fra­ge der Wür­de, jeman­dem sein selbst­ge­koch­tes Essen anbie­ten zu können.

Das müss­ten doch vie­le Wed­din­ger kennen… 
Jan Nadol­ny: Es gibt weni­ge Orte in Ber­lin, an denen man von der Viel­falt der Kul­tu­ren so sehr pro­fi­tiert wie im Wed­ding. Die Asyl­su­chen­den kön­nen hier ara­bi­sche, afri­ka­ni­sche und asia­ti­sche Lebens­mit­tel ein­kau­fen. Nach hei­mi­schen Gewür­zen muss man nicht lan­ge suchen. Auf der Stra­ße spre­chen vie­le die Mut­ter­spra­chen der Geflüch­te­ten. Wenn das nicht die idea­le Auf­nah­me­ge­sell­schaft ist!

Der nächs­te Run­de Tisch der Unter­stüt­zungs­in­itia­ti­ve „Wed­ding hilft!“ fin­det am 21. April um 19 Uhr in der Kult­hal­le in der Prin­zen­al­lee 58 statt. Dort kön­nen sich Inter­es­sier­te über die Akti­vi­tä­ten von „Wed­ding hilft!“ infor­mie­ren, Fra­gen stel­len oder eige­ne Hil­fe­s­an­ge­bo­te ein­brin­gen. Mehr: www.wedding-hilft.de

Der Text ist im Kiez­ma­ga­zin “Sol­di­ner” im März 2015 erschie­nen. Der Wed­ding­wei­ser koope­riert mit dem Pro­jekt und über­nimmt aus­ge­wähl­te Bei­trä­ge. Redak­ti­ons­blog: www.dersoldiner.wordpress.com 
Text: Lena Reich, Fotos: Domi­ni­que Hensel

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